Digital-Learning-Trends

Der Abschied vom klassischen Lernen

Kommentar  05.11.2020
Von  und
Katharina Luh ist Partnerin Change & Learning bei der Unternehmensberatung EY.
Senior Manager Digital Learning bei der Unternehmensberatung EY
Auch dank Corona erlebt das digitale Lernen ein Hoch. Neue Lernszenarien sorgen dafür, dass diese Art der Fortbildung smarter und attraktiver wird.
Die Corona-Pandemie hat dem Digital Learning einen Schub verliehen. Lesen Sie, warum das klassische Lernen keine Zukunft mehr hat.
Die Corona-Pandemie hat dem Digital Learning einen Schub verliehen. Lesen Sie, warum das klassische Lernen keine Zukunft mehr hat.
Foto: TierneyMJ - shutterstock.com

Virtual Reality (VR), attraktive Lernplattformen und User Generated Content: Im Idealfall greifen die aktuellen Trends rund um digitales Lernen ineinander und sorgen dafür, dass in den Unternehmen Lernen und Arbeiten immer stärker verschmelzen. In Zukunft - so lautet die große, über allem stehende Vision - wird es das Lernen, zumindest so wie wir es bisher verstanden haben, gar nicht mehr geben.

Vielmehr werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mithilfe schlauer Tools und ausgewählter Inhalte bestmöglich bei ihren Aufgaben unterstützt - unmittelbar in dem Moment, in dem sie zusätzliches Know-how benötigen. Auf diese Weise wandelt sich Schritt für Schritt die Weiterbildung auf Vorrat, das Lernen im gesamten Unternehmen wird schneller, zielgerichteter und kostengünstiger.

Trends im Digital Learning 2020

Die Coronakrise ist ein guter Zeitpunkt, um die neuen Tools einzuführen. Schließlich zeigen sich ihre Vorteile jetzt deutlich, da noch immer viele Mitarbeiter im Homeoffice sind und Weiterbildung, aber auch der direkte Austausch vor Ort, nur eingeschränkt möglich ist. Mit dem Erfolg, der sich bei den Pilotprojekten in der Regel sehr schnell einstellt, schwinden dann die oftmals bestehenden Vorbehalte gegenüber den neuen Technologien. Folgende Trends zeichnen sich dabei ab:

1. Emotional und unmittelbar

Bei Augmented Reality (AR) und VR handelt es sich eindeutig um einen Zukunftsmarkt. So kommt VR-Technologie zunehmend nicht nur in Anwenderschulungen für Maschinen, sondern auch im Training von Softskills zum Einsatz. Mit einer VR-Brille kann der Angestellte in eine Szene aus seinem Arbeitsalltag schlüpfen und aus vorgegebenen Möglichkeiten auswählen, wie er beispielsweise auf einen verärgerten Kunden reagiert.

Auf seine Entscheidung hin tritt wiederum der virtuelle Kunde in Aktion. Ein solch realistisches und interaktives Lernszenario erhöht die emotionale Einbindung beim Online-Lernen. Im Vergleich zu Klassenraumtrainings, lassen sich die Lektionen skalieren und zu jeder Zeit und von jedem Ort aus flexibel absolvieren. Hinzu kommt: Nehmen viele Mitarbeiter an den Trainings teil, lässt sich durch Auswertung der Daten erkennen, ob diejenigen Mitarbeiter mit den höchsten Umsatzzahlen auch im Training gute Ergebnisse erzielen - oder ob hier der Inhalt vielleicht anzupassen ist. Der Einsatz von Augmented Reality wiederum - etwa bei der Wartung von Maschinen - zeigt bereits eine Möglichkeit für das Lernen in Echtzeit auf: Während ein Mitarbeiter eine Maschine repariert, wird ihm zum Beispiel eingeblendet, welche Fehler auftreten und welche Maßnahmen er ergreifen muss, um den Fehler zu beheben.

2. Das Netflix des Lernens

Learning Experience Plattformen werden als Netflix für das Lernen bezeichnet, weil sich hier die digitalen Lerninhalte für den Nutzer übersichtlich und ansprechend präsentieren lassen. Gleichzeitig sorgen sie dafür, dass die Kurse immer besser auf den Einzelnen zugeschnitten sind. Dazu werden die Nutzererfahrungen gesammelt und ausgewertet. Noch einen Schritt weiter gehen sogenannte adaptive Plattformen. Bei ihnen wird die Aufbereitung der Inhalte an die Vorlieben verschiedener Lerntypen angepasst, die zuvor ermittelt wurden.

So sieht der eine Lernende mehr Grafiken und Bilder, der andere wird häufiger in Quizform abgefragt oder zur Interaktion mit anderen Teilnehmern aufgefordert. Oder es wird gezielt der Wissensstand des Lerners abgefragt und daraufhin der Inhalt eines Kurses angepasst. Mittlerweile gibt es eine - ursprünglich für die akademische Aus- und Fortbildung von Kinderärzten in den USA entwickelte - Plattform, die innerhalb einer Lernsequenz auf das Niveau des Lerners oder der Lernerin reagiert, um das Lernen effizient zu gestalten.

3. Mehr Passgenauigkeit und Transparenz

Immer mehr Bedeutung gewinnt auch der gegenseitige Austausch der Beschäftigten untereinander. Dazu lassen sich dann die entsprechenden Funktionen einer Learning Experience Platform nutzen. So können die Lerner ihren Kolleginnen und Kollegen in Chats und Themen-Channels Inhalte empfehlen, teilen, bewerten und Experten und Mentoren zu bestimmten Themengebieten finden. Kollegen können dann bestimmte Themen-Channels abonnieren. Je besser die Bewertung eines Beitrags, desto weiter oben wird er in einer Treffersuche angezeigt. Das erhöht die Glaubwürdigkeit der Inhalte, da hier diejenigen beurteilen, die sich auch mit dem Thema auskennen. Wichtig ist es jedoch auch, den Austausch auf der Plattform durch Moderatoren anzustoßen und die Mitarbeiter regelmäßig zum Mitmachen zu motivieren. Die Inhalte nur bereitzustellen, reicht in der Regel nicht aus.

4. Training on the Job

Insbesondere beim Thema Software-Schulung macht eine neue Technologie von sich reden, mit der die Zukunftsvision vom Training on the Job bereits Wirklichkeit geworden ist: so genannte Digital Adoption Platforms. Mit ihrer Hilfe wird der Nutzer on the job und in Echtzeit durch ein Softwareprogramm oder eine App geführt. Ein eigens für die jeweilige Anwendung erstellter Ratgeber, der über die Software gelegt wird, erklärt ihm, was genau in diesem Moment zu tun ist beziehungsweise welche verschiedenen Möglichkeiten er hat.

Die Vorteile liegen auf der Hand: Es sind weniger Schulungen - im virtuellen Klassenraum oder vor Ort - nötig. Die Software wird effektiver eingesetzt, die Mitarbeiter aus dem Support werden entlastet, und es braucht auch keine Kollegen mehr, die einem neuen Mitarbeiter den Weg durch das ERP-System, die HR- oder die Kollaborations-Software weisen. Sinnvoll sind solche digitalen "Walkthroughs" jedoch nicht nur bei Softwareanwendungen: Als Schritt-für-Schritt-Anleitung können sie die Kollegen und Kolleginnen durch jegliche Art von Prozessen führen, sie zum Beispiel beim Kundensupport unterstützen, einen erheblichen Teil des Onboardings übernehmen oder neu erlernte Führungstechniken in eine leicht verständliche Schritt-für-Schritt-Anleitung übersetzen. Um bestmöglich von der Einführung von Digital Adaption Platforms zu profitieren, die derzeit Unternehmen wie Userlane, SAP oder tts verstärkt am Markt anbieten, sollten Betriebe diese mit einem ganzheitlichen Konzept und von einer zentralen Stelle aus einführen.

5. Schneller Austausch

Idealerweise können Mitarbeiter in nur wenigen einfachen Schritten selbst Inhalte, etwa in Form von Videos oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen, erstellen, sogenannten User Generated Content. Das beschleunigt den Austausch innerhalb einer Organisation und führt automatisch dazu, dass sich diese an Fragen und dem Bedarf des Unternehmens orientieren. Wichtig ist, dass die Schwelle zur Produktion der selbsterstellten Inhalte möglichst niedrig ist - dass Videos zum Beispiel einfach mit der Laptop- oder Smartphone-Kamera aufgenommen werden können. Insbesondere an diesem Punkt stellen sich Firmen häufig die Frage, ob sie die Beiträge ihrer Mitarbeiter vor der Freischaltung überprüfen sollen. Bedenken an dieser Stelle sind verständlich, in der Regel jedoch zahlt sich das Vertrauen in die Beschäftigten aus.

6. Häppchenweise up-to-date

Externe Lernplattformen wie LinkedIn Learning und Udacity ermöglichen es Unternehmen stets auf aktuelle Lerninhalte, etwa zum Thema Künstliche Intelligenz, Digitalisierung oder Blockchain, zuzugreifen. Damit versprechen sie Firmen Hilfe bei der Mammutaufgabe, ganze Kohorten von Mitarbeitern schnell, qualitativ hochwertig und möglichst kostengünstig für den digitalen Wandel zu qualifizieren.

Angeboten werden berufsbegleitende Weiterbildungen und Studiengänge, die sich streng bedarfsorientiert in kleinen Einheiten absolvieren lassen. Weitere Vorzüge sind der starke Praxisbezug und das schnelle Feedback, das die Lernenden von den Online-Tutoren und -Tutorinnen erhalten. Obwohl das didaktisch gut gemachte Online-Lernen viel Zuspruch erfährt, waren und sind die Abbrecherquoten beim reinen Online-Lernen nach wie vor doch recht hoch.

In den Firmen setzt sich daher der Ansatz durch, die Lernenden bei längeren Weiterbildungskursen durch regelmäßige Vor-Ort-Veranstaltungen zu unterstützen. Auch im Bereich externer Lerninhalte entwickelt sich das Angebot stets weiter: Mittlerweile sind Unternehmen bei der Auswahl der Kurse nicht mehr auf die Zusammenarbeit mit ausgewählten Online-Anbietern beschränkt. So genannte Content-Kuratoren wie Go1 und AndersPink stellen die gewünschten Lerninhalte auch plattformübergreifend zusammen. Dies ermöglicht Arbeitgebern einen flexiblen und einfach zu verwaltenden Zugang zu aktuellen Inhalten aus unterschiedlichen Bereichen. Einzelne Anbieter sind hingegen auf bestimmte Themenbereiche wie Technologie, Sprachen oder soziale Kompetenzen spezialisiert.

7. Motivationsfaktor Zertifikate

Der Reiz der Weiterbildung steigt, wenn der Erfolg auch nach außen gezeigt werden kann. Zunehmend gibt es daher für die absolvierten Online-Schulungen Zertifikate - sogenannte Micro Degrees oder Badges, die die Mitarbeiter zum Beispiel bei Linkedin und in anderen Netzwerken teilen. So können sie ihre Weiterbildungsaktivitäten auch außerhalb ihrer eigenen Firma zeigen. Auch bezüglich der Dokumenten-Echtheit hat sich einiges getan: In naher Zukunft wird ein Bewerber alle Zeugnisse und Abschlüsse - auch von Universitäten und Arbeitgebern - vollständig digital und validiert vorlegen können. Hier spielt die Blockchain-Technologie eine wichtige Rolle, die die Verifizierung der Abschlüsse ermöglicht.

Jetzt mit Pilotprojekten starten!

Es braucht kein von vornherein perfektes und allumfassendes Gesamtkonzept, um mit ersten Pilotprojekten zu beginnen. Diese sind ein hervorragender Startpunkt für die Ausweitung des digitalen Lernens in den Unternehmen, denn mit den ersten sichtbaren Erfolgen schwinden die bestehenden Vorbehalte gegenüber den neuen Technologien. Dazu ist es wichtig, dass über die erfolgreichen Projekte gesprochen wird und sie sich dadurch im Unternehmen verbreiten.

Ebenfalls bedeutsam bei der Arbeit mit Pilotprojekten ist, dass diese auf der Basis von Daten, aber auch gemeinsam mit den Anwendern evaluiert und gegebenenfalls nachzubessern sind. So lässt sich der Umgang mit den neuen Technologien Schritt für Schritt verbessern. Diese Vorgehensweise verspricht nicht nur schnelle Erfolge, sie entspricht auch den aktuellen Forderungen nach Flexibilität und Agilität in der Projektarbeit ebenso wie in der betrieblichen Weiterbildung.

Gleichzeitig ist es unerlässlich, sich vor der Einführung einer neuen Lerntechnologie - beziehungsweise vor der Anschaffung einer neuen Software darüber im Klaren zu sein, was diese für das Unternehmen leisten soll. Andernfalls wird aufgrund schöner Versprechungen womöglich eine Lösung eingekauft, die nicht besonders gut zu den eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen passt. Auch bei der Anschaffung einer Lernplattform sollten Firmen unbedingt vorher klären, woher die entsprechenden Inhalte kommen sollen, damit die Technik darauf ausgerichtet werden kann.