Personalwesen mit KI

Was darf Künstliche Intelligenz?

19.05.2020
Von  und
Kerstin Broßat, Talent Strategy & Diversity Lead für Accenture in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Russland.
Dr. Andreas Braun ist Geschäftsführer Data+AI Lead bei Accenture.
Je mehr Künstliche Intelligenz, Algorithmen und Analytics - auch im Personalwesen - genutzt werden, desto lauter wird die Frage nach dem ethischen Umgang mit Daten.

Kundenerwartungen an Projekte mit Künstlicher Intelligenz (KI) sind zu Beginn meist sehr hoch gesteckt und die Ambitionen weitreichend. Viele Unternehmen erhoffen sich schnell neue Geschäftsmodelle oder Wachstumsfelder sowie signifikante Einsparungen und andere kleine Wunder. In der Tat ist es keineswegs schwierig, unter "Laborbedingungen" schnell erste Erfolge zu verzeichnen. Die besondere Herausforderung liegt jedoch darin, im Labor erfolgreiche KI-Modelle produktiv in die bestehende Organisation zu übertragen. Das hat viel damit zu tun, dass KI im Wesentlichen auf Daten basiert und deren Qualität und Zugänglichkeit, je nach IT-Altlasten und -Komplexität, von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Nicht selten werden im Laufe der Implementierung die Erwartungen Schritt für Schritt kleiner - und am Ende ist man zufrieden, wenn sich Aufgaben fehlerfrei umsetzen lassen. Eine echte Messung des durch KI generierten Unternehmenswertes findet dann meist nicht mehr statt.

Künstliche Intelligenz kann die HR-Abteilung im Recruiting enorm unterstützen. Allerdings ist die KI dabei immer nur so gut und objektiv, wie es ihr die ethischen Rahmenbedingungen der menschlichen Programmierung vorgeben.
Künstliche Intelligenz kann die HR-Abteilung im Recruiting enorm unterstützen. Allerdings ist die KI dabei immer nur so gut und objektiv, wie es ihr die ethischen Rahmenbedingungen der menschlichen Programmierung vorgeben.
Foto: Wetzkaz Graphics - shutterstock.com

Viele der kleineren KI-Erfolge sind aber schon durchaus wertvoll. So kann KI beispielsweise bei der Analyse von Betrugsfällen bei Banken und Versicherern unterstützen, indem sie Fälle im Vorfeld markiert und bewertet. Im zweiten Schritt kommentiert der Mensch die Einschätzungen und Markierungen. Auf diese Weise lernt die KI dazu und wird bei dieser Aufgabe immer besser. Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass KI kritische Entscheidungen mit Auswirkungen auf Menschen selbständig trifft. Ob nun im Personalwesen oder in anderen Bereichen, wir befinden uns meist noch im Stadium der Prozessoptimierung und -vereinfachung beziehungsweise Effizienzsteigerung. Damit ist KI heute vor allem ein System, das die Fähigkeiten der Menschen ergänzt und erweitert - aber nicht ersetzt. Und dies hilft vor allem bei repetitiven Aufgaben. Wenn der Mensch über längere Zeit einer eintönigen und ermüdenden Tätigkeit nachgehen muss, kann es geschehen, dass ihm Fehler unterlaufen. Einer Maschine passiert das nicht. Sie langweilt sich nicht.

HR mit KI - effizienter, schneller und objektiver

Im Personalbereich erleichtert KI die Arbeit von Recruitern beispielsweise durch das maschinelle Auslesen von Lebensläufen sowie deren Priorisierung und Scoring, aber auch ganz einfach bei der Terminfindung. Im Sourcing kann sie ebenfalls hilfreich sein, wenn es darauf ankommt, möglichst viele Datenquellen einzubeziehen. Ein von Accenture entwickeltes Tool hilft beispielsweise dabei, Kundenprojekte mit den richtigen Experten zu besetzen. Die Plattform fasst dazu alle internen Informationsquellen zusammen und macht entsprechend der Datenlage Vorschläge. Neben klassischen Skills-Datenbanken und Rollenbeschreibungen werden auch die Profile der Mitarbeiter berücksichtigt, die jeder für sich anlegt und pflegt. So können in diesen Profilen auch Wünsche und Ziele für die persönliche Weiterentwicklung hinterlegt werden. An dieser Stelle vereinfacht die Automatisierung nicht nur die Arbeit der Abteilung Human Resources (HR), gleichzeitig können sich Mitarbeiter auch um ihre Karrierepläne kümmern.

Künstliche Intelligenz - Datenqualität und Kontext entscheiden

In der Diskussion rund um den Einsatz von KI und der damit verbunden Frage nach Ethik ist zu bedenken, dass Algorithmen nur so gut oder so schlecht sind, wie die Daten, womit sie trainiert werden. Sie diskriminieren nicht, sondern liefern Ergebnisse auf Grundlage dessen, was sie gelernt haben. Um Bias oder systemische Verzerrungen vorzubeugen, ist es also wichtig, dass der Kontext gut gesetzt ist und die Datenqualität stimmt.

Ein Blick in die Praxis zeigt, dass das nicht immer einfach ist. In einem Kundenprojekt wurde im Recruiting eine KI darauf trainiert, aus Lebensläufen die Kandidaten zu ermitteln, die für eine Karriere in einem Unternehmen geeignet sein könnten. Das Ergebnis: Die KI schlug überwiegend Männer vor. Der Grund: Historisch gesehen waren Männer im Unternehmen "erfolgreicher" als Frauen - zumindest in dem Bewertungszeitraum, der in diesem Fall zugrundegelegt wurde, und anhand von Faktoren wie Beförderungen in eben diesem Zeitraum. Davon abgesehen gab es in der Vergangenheit einfach mehr Männer im Unternehmen.

Daraus ergab sich die Annahme der KI, dass Männer, statistisch gesehen, erfolgreicher waren. Gemessen an den Daten war diese Folgerung faktisch richtig. Die Ursache, warum weniger Informationen zu Frauen enthalten waren, lag jedoch außerhalb der verfügbaren Daten. Das Gute ist, dass sich bei KI-Systemen mathematisch schnell sehen lässt, wo Fehler entstehen (Stichwort: Ergebnisse) beziehungsweise wo sie zustande gekommen sind (Stichwort: Eingabedaten). Derartige Probleme sind also leicht zu erkennen und zu korrigieren. Im vorliegenden Fall konnte entsprechend der Firmenstrategie, die perspektivisch eine Geschlechterverteilung 50:50 vorsieht, durch Kalibrierung gegengesteuert werden.

Das Beispiel zeigt, dass KI Prozesse zwar optimiert und Arbeit erleichtert, jedoch nicht als eigenständige Instanz, vom Menschen losgelöst, agiert und unkontrolliert Entscheidungen trifft. Ohne den Menschen und seine Fähigkeit, Daten kontextabhängig beurteilen und interpretieren zu können, geht es nicht. KI ist nur ein Werkzeug, mit dem der Mensch umzugehen lernen muss.

Deshalb ist es wichtig, nicht zu schnell zu kurzsichtige und einseitige Regulierungen vorzunehmen. Dies könnte das große Potenzial der KI für die Zukunft der Arbeit zu sehr einschränken. Wir müssen keine Angst vor intelligenten Maschinen haben, die in unser Arbeitsleben eingreifen - solange wir einen verantwortungsvollen Umgang mit KI sicherstellen. Egal an welcher Stelle wir KI einsetzen, ein fundiertes menschliches Urteilsvermögen bleibt ein entscheidender Faktor ihrer Integration.

Das schließt mit ein, dass Daten nicht unkontrolliert gesammelt werden können. Die DSGVO wirkt durch Regulierung der Daten und deren Verwendung bereits tief in die KI hinein und macht die Anwendung vielleicht in Europa komplizierter. Trotzdem schließen sich ein umfassender Datenschutz und ein Einsatz der KI nicht aus: Daten können gesetzeskonform gesammelt und KI sehr nützlich angewendet werden, wenn die Anwender genau wissen, was sie wollen. KI-Systeme passen sich an uns an, nicht umgekehrt.

Sinnvolle Rahmenbedingugen für KI schaffen

Es gibt viele sinnvolle Anwendungen für KI - eben dort, wo sie sehr fokussiert innerhalb eines fest definierten Gebiets Einsatz finden kann. Innerhalb dieses Sektors lassen sich die richtigen Fragen stellen und eine einheitliche sowie ausreichend hohe Datenqualität herstellen, um sinnvolle Analysen anstellen und KI-Algorithmen anwenden zu können.

Den Menschen verdrängen kann die KI nicht. Sie ist keine eigenständige Instanz, die von ihm losgelöst funktioniert. Denn es bedarf eines Menschen, der den Kontext kennt, um gefundene Korrelationen abschließend bewerten zu können. Und nur er kann abwägen, ob es sich möglicherweise um falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse handelt.

Im Bereich HR und letztlich auch in den meisten anderen Sparten müssen wir uns bewusst sein, dass wir beim Einsatz von KI heute in der Regel von Machine Learning und Predictive Analytics sprechen. Wir sind weit davon entfernt, dass KI im Recruiting eigenständige Entscheidungen trifft - auch aus rechtlichen Gründen. Nichtsdestotrotz sind Ethik und Bias wichtige, nicht zu unterschätzende Themen. Um Big Data und KI sinnvoll einzusetzen, ist Datenschutz mehr Voraussetzung und weniger Hindernis. (pg)