Was die Digitalisierung hemmt

Spagat zwischen Kerngeschäft und Innovation bleibt schwierig

27.11.2018
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.
Die Digitalisierung in den Unternehmen nimmt nur langsam Fahrt auf. Als wichtigste Hindernisse benennt eine aktuelle Studie die mangelnde Bereitschaft der Manager, ihren Führungsstil zu ändern, Inseldenken sowie die zu starke Konzentration auf das Kerngeschäft.

Unternehmen konzentrieren sich trotz der Herausforderungen des digitalen Wandels weiter vor allem auf den Ausbau ihres Kerngeschäfts. Dies ist Ergebnis der aktuellen Studie des Personaldienstleisters Hays "Zwischen Effizienz und Agilität - Spagat zwischen Kerngeschäft und Digitalisierung sorgt für Spannungen".

Vor einer neuen Führungskultur, in der sich Manager und Mitarbeiter auf Augenhöhe begegnen, ist in vielen Unternehmen noch wenig zu sehen.
Vor einer neuen Führungskultur, in der sich Manager und Mitarbeiter auf Augenhöhe begegnen, ist in vielen Unternehmen noch wenig zu sehen.
Foto: Rawpixel.com - shutterstock.com

So ist es für 52 Prozent der Befragten offenbar wichtiger, ihr Kerngeschäft weiterzuentwickeln als neue Geschäftsfelder (26 Prozent) zu optimieren. Auch die Effizienzsteigerung steht mit 62 Prozent höher im Kurs als der Ausbau der Agilität. Hays-Sprecher Frank Schabel interpretiert die Situation folgendermaßen: "Neuer Wein in alten Schläuchen …"

Führungsstil, Kerngeschäft, Silodenken - was den digitalen Wandel hindert

Aus Sicht der Befragten behindern vor allem drei Punkte die digitale Transformation: Den Führungskräften falle es schwer, ihren Führungsstil zu ändern (61 Prozent). Das Kerngeschäft nehme nach wie vor zu viel Zeit in Anspruch (60 Prozent) und last, but not least, seien die Fachbereiche durch Inseldenken geprägt (59 Prozent).

"Seit der Hays-Agilitäts-Untersuchung vor drei Jahren hat sich tatsächlich nicht viel verändert", erklärt Schabel. Bereits damals habe das Ergebnis "Organisationen streben nach Stabilität - und nicht nach Wandel" gelautet. Dass sich unter den digitalen Vorreitern kaum etablierte Unternehmen befinden, wundert den Hays-Manager nicht: "Es gibt nun einmal kein Drehbuch für den digitalen Wandel, bei dem sowohl das Kerngeschäft gesichert ist als auch neue Themen entwickelt werden." Die Forderung vieler Agilitätsevangelisten, etablierte Unternehmen sollten wie Start-ups agieren, erscheint ihm angesichts der Herausforderungen im Kerngeschäft als Makulatur.

Frank Schabel, Hays: "Es gibt nun einmal kein Drehbuch für den digitalen Wandel, bei dem sowohl das Kerngeschäft gesichert ist als auch neue Themen entwickelt werden."
Frank Schabel, Hays: "Es gibt nun einmal kein Drehbuch für den digitalen Wandel, bei dem sowohl das Kerngeschäft gesichert ist als auch neue Themen entwickelt werden."
Foto: Hays

Aus Sicht der Befragten fällt es vor allem den Verantwortlichen schwer, ihren Führungsstil zu ändern. "Mangelnder Mut bei den Chefs, die häufig ihren alten Führungsmustern verhaftet bleiben,", stehen, darin ist sich Schabel sicher, dem digitalen Wandel im Wege. Laut Studie wissen die Führungskräfte, wie wichtig ein Systemumbau ist, fühlen sich aber selbst in der Situation gefangen. Zwar würden sie von ihren Mitarbeitern stärkere Eigenverantwortung sowie bessere Softskills verlangen, sehen aber gleichzeitig bei ihrer eigenen mentalen Haltung durchaus Entwicklungs- und Nachholbedarf.

Sensible Kommunikation der IT mit Fachbereichen

Als ein weiteres Top-Hemmnis sehen zumindest die befragten Fachbereichsleiter die mangelnde Integration der IT-Landschaft. Ein Vorwurf, von dem IT-Chefs nichts hören wollen. Der Hays-Manager hat Verständnis dafür: "Das geschieht schon aus reinem Selbstschutz." Dabei würden die Fachbereiche tatsächlich darunter leiden, wenn neue digitale Lösungen nicht in die IT-Landschaft integriert werden. Doch Schabel sieht noch ein anderes Problem: "Wenn man ehrlich ist, war die Kommunikation zwischen IT- und Fachbereiche oft ein sensibles Thema." Daran hätte sich nicht allzu viel geändert.

Für die Zukunft erhofft er sich, dass alle Beteiligten - Mitarbeiter und Führungskräfte - mehr Bereitschaft zeigen zu experimentieren." Dazu gehöre zum einen, die Strukturen für mehr Selbstorganisation zu öffnen und zum anderen, dass Chefs ihren Kontrollstatus aufgeben. Zwar würde sich - vor allem in den großen Firmen - einiges in puncto digitale Transformation bewegen, insgesamt indes dem Markttempo hinterhinken. Das sieht auch Klaus Breitschopf so, Vorstandsvorsitzender Hays AG: "Etliche Unternehmen sind in der Tat die Digitalisierung angegangen, doch die bestehenden Organisationsstrukturen erweisen sich als zu unflexibel."

Spagat zwischen digitalen Projekten und operativen Aufgaben

Dennoch sind, so die Ergebnisse der Hays-Studie, immer mehr Mitarbeiter neben ihren operativen Aufgaben auch in digitale Projekte eingebunden - was zu großen Spannungen führt. So bestätigen 86 Prozent der Befragten Konflikte in der Priorisierung zwischen Projekt- und Linienaufgaben. "Dieser Spagat kann bei vielen Fachbereichen zu einer Zerreißprobe führen", betont Schabel.

Wie aber sehen das diejenigen, die in der Praxis Tag für Tag mit der Problematik zu tun haben? Mario Lochmann, Leiter IT-Management bei Ontras Gastransport GmbH, berichtet: "Das Angebot von technischen Dienstleistungen ist nahezu unmöglich, wenn für die Dokumentation einer technischen Änderung zu lange Zeiträume benötigt werden. Allein um die Geschwindigkeit zu erhöhen, brauchen wir eine neue Form der Zusammenarbeit." Die Implementierung neuer Tools reicht seiner Meinung nach hier nicht aus. Sein Fazit: "Vielmehr sehen wir uns gefordert, die Prozesse ebenso wie die Denkweise von Mitarbeitern und Führungskräften entsprechend agiler Prozesse grundlegend zu reflektieren."

Thomas Wolf, Vice President Engineering, iwis antriebssysteme GmbH & Co. KG, wiederum macht sich über die veränderte Art der Kommunikation Gedanken: "Meines Erachtens kann die digitale Kommunikation den physischen Kontakt nicht ersetzen. Mindestens einmal im Jahr sollte deshalb ein persönliches Treffen stattfinden. Mittelfristig sehe ich eine Gefahr, dass bei dem digitalen Austausch das Gefühl für den Menschen verloren geht. Deshalb ist eine Vertrauensbasis zwischen allen Beteiligten - gerade auch angesichts der kulturellen Unterschiede - schlicht essenziell."

In seinem Fazit verzichten Hays und PAC bei der Studie bewusst auf die üblichen Spiegelstriche und belassen es bei dem Aufruf, mit herkömmlichen Mustern zu brechen und neue Formen der Zusammenarbeit auszutesten - aber alles ohne Garantie, dass der Wandel auch wirklich gelingt.

Inhalte und Methodik

Zur Hays-Studie "Zwischen Effizienz und Agilität" wurde analog zur Umfrage vor drei Jahren eine telefonische Befragung unter insgesamt 226 Führungskräften, allesamt mit Personalverantwortung, in Unternehmen ab 500 Mitarbeitern durchgeführt.