Process Mining Best Practices

Von erfolgreichen Projekten lernen

02.04.2020
Von 
Dr. Lars Reinkemeyer ist Global Process Mining Lead bei Siemens und Buchautor.
Process Mining steht momentan bei vielen CIOs weit oben auf der Agenda, da es einen konkreten Mehrwert in unterschiedlichsten Anwendungsfällen liefert. Aber wie funktioniert es? Was ist zu beachten? Und wie kann ein konkreter Mehrwert sichergestellt werden?
Process Mining steht momentan bei vielen CIOs hoch im Kurs, weil es einen konkreten Mehrwert in unterschiedlichsten Anwendungsfällen liefern kann.
Process Mining steht momentan bei vielen CIOs hoch im Kurs, weil es einen konkreten Mehrwert in unterschiedlichsten Anwendungsfällen liefern kann.
Foto: Peshkova - shutterstock.com

Ähnlich einem Röntgenbild ermöglicht Process Mining ungeahnte Einblicke in komplexe Prozessabläufe und unterstützt Prozessexperten bei aktuellen Herausforderungen wie Prozessverbesserungen, Automatisierung und digitaler Transformation. Wie die Recherchen zu meinem Buch "Process Mining in Action" ergaben, sind dabei die Zielsetzungen der Unternehmen trotz unterschiedlicher Branchen überwiegend ähnlich: transparente Einblicke in tatsächliche Prozessschritte, Identifikation von Komplexitätstreibern und Förderung von Innovationen beziehungsweise digitaler Transformation.

Process Mining - Use Cases

Typische Anwendungsfälle erstrecken sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Kundenprozessen über Fertigung, Einkauf, Shared Service, Kundenservice, Governance, Consulting, Strategie, Produkt-Management bis hin zum internen Audit. Siemens und Uber etwa nutzen Process Mining, um ihre Kundenprozesse transparent zu durchleuchten. Ziel ist es dabei, Automatisierungspotenziale zu identifizieren und die Anzahl der manuellen Tätigkeiten zu reduzieren. Zudem sollen so Abwicklungen standardisiert und Antwortzeiten verkürzt werden. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Uber realisierte nach eigenen Angaben durch die im Anschluss mögliche standardisierte, vereinfachte und schnellere Abwicklung von Kundenanfragen Produktivitätsverbesserungen in Höhe von 20 Millionen Dollar.

Siemens konnte bei der Abwicklung von Kundenbestellungen über 10 Millionen manuelle Tätigkeiten einsparen. Der Münchner Technologiekonzern setzt Process Mining aber auch erfolgreich im Einkauf ein: Indem er hier Aufwandstreiber aufspürte, Automatisierungspotenziale identifizierte und Zahlungsbedingungen optimierte, gelang es Siemens, die Bearbeitungszeit einer Einkaufsbestellung um bis zu 30 Minuten zu senken. Siemens Healthineers wiederum erhält durch den Einsatz von Process Mining wertvolles Feedback zur aktuellen Verwendung von medizinischen Geräten bei Kunden - daraus ergeben sich für die Medizintechniktochter von Siemens ganz neue Möglichkeiten beim Produkt-Management.

Auch BMW kann auf Process Mining nicht verzichten. Der Autobauer durchleuchtet mit der Technologie seine Fertigungsprozesse und ist so in der Lage, Langläufer, Störungen und Gründe für Doppelarbeiten herauszufiltern. Dazu werden mithilfe von Process Mining die komplexen Abläufe in der Produktion visualisiert und unter Zuhilfenahme von digitalen Zwillingen erhebliche Agilitätsverbesserungen erreicht.

Bei athenahealth, einem US-Dienstleister für die Gesundheitsbranche, und dem portugiesischen Energieversorger EDP kommt Process Mining zum Einsatz, um Serviceprozesse zu digitalisieren und die Reaktionszeiten zu verkürzen. So nutzt athenahealth die aus der Analyse der Prozesse gewonnenen Erkenntnisse für Updates im Workflow. Mit diesen werden nicht notwendige Eingriffe des Kunden eliminiert und sichergestellt, dass Prozesse gleich beim ersten Mal richtig erfolgen. EDP konnte durch die vollständige Transparenz bei Kundenbeschwerden die für Problemklärungen erforderlichen Zeiten reduzieren und Service Level objektiv messen.

ABB wiederum nutzt Process Mining zur Steuerung und Kontrolle quer über alle Prozesse. Die damit möglichen Simulationen erlauben dem Energie- und Automationstechnikkonzern einen Übergang von deskriptiven zu präskriptiven Analysen. Durch die Verknüpfung von Ist-Analysen und intelligenten Simulationen können nicht nur kontinuierliche Verbesserungsmaßnahmen gezielter umgesetzt werden, sondern auch Prozesse aktiver gesteuert und optimiert werden.

Einen spannenden Use Case hat auch Bosch Management Consulting zu bieten. Das Beratungsunternehmen setzt Top-Management-Projekte inzwischen mithilfe von Process-Performance-Indikatoren (PPI) wie Automation, Effizienz, Geschwindigkeit und Grad der Standardisierung um. Dabei handelt es sich um Kennzahlen, mit denen die Leistung von Geschäftsprozessen bewertet werden. Vor kurzem war das noch undenkbar und wurde erst mit Process Mining messbar.

Einen ähnlich strategischen Ansatz verfolgt die Schukat GmbH: Für den mittelständischen Distributor von Elektronikkomponenten sind technologische Innovationen existenziell, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Process Mining erlaubt transparente Einblicke in die gesamte Wertschöpfungskette und wird gezielt für die Digitalisierung und Automatisierung genutzt, ein entscheidender Faktor für kontinuierliche Kostenverbesserungen und die Absicherung der eigenen Wettbewerbsvorteile.

Last, but not least kommt die Technologie auch bei der Telekom zum Einsatz. Der Bonner TK-Konzern konnte mit Process Mining nahezu alle Lieferprozesse des Shared Service Centers optimieren. Durch verbesserte Prozessabläufe und -qualität ließen sich dabei nach internen Berechnungen über eine Million Euro jährlich an operativen Kosten einsparen

Process Mining Tools sind nicht alles

Der technologische Ansatz ist bei allen Projekten ähnlich: Als "Event Logs" werden einzelne digitale Spuren aus unterschiedlichsten Quellsystemen ausgelesen. Wichtig ist hierbei, die tatsächlichen Spuren der einzelnen Aktivitäten unverfälscht zu extrahieren, aufzubereiten und dem Nutzer bereitzustellen. Process Mining Software unterschiedlichster Hersteller erlaubt es dann, diese Spuren im logischen Ablauf darzustellen - vom Einzelprozess bis hin zur aggregierten Darstellung von Millionen Prozessen.

Die Technik ist aber nur ein Aspekt. Um eine breite Akzeptanz zu erreichen, sind nutzergerechte und intuitive Anwendungen eine weitere wesentliche Voraussetzung bei allen Unternehmen. Nur wenn die Nutzer gerne mit der Anwendung arbeiten und diese als zuverlässiges Werkzeug akzeptieren, kann ein nachhaltiger Mehrwert entstehen. Uber legt zudem auf eine "Demokratisierung der Daten" Wert, das heißt, jeder Nutzer erhält Zugriff auf Daten, um eigenständige Berichte zu erstellen. Die breite Nutzung zuverlässiger Daten durch motivierte Mitarbeiter und für den richtigen Zweck führt zum Erfolg.

Wie Process Mining Mehrwert bringt

Die Erfahrungen aus den unterschiedlichen Projekten lassen sich in drei wesentlichen Faktoren zusammenfassen: Purpose, Personen und Prozessdaten sind die "3 Ps", die für ein erfolgreiches Projekt gleichermaßen beachtet werden müssen.

Die 3Ps von Process Mining: Purpose, Personen, Prozessdaten
Die 3Ps von Process Mining: Purpose, Personen, Prozessdaten
Foto: Lars Reinkemeyer

"Purpose" beschreibt dabei den konkreten Nutzen, den der Prozessverantwortliche mit Process Mining erreichen will und der für ein erfolgreiches Projekt klar definiert werden muss. Und nur mit den richtigen Personen kann ein Projekt Erfolg haben, zu oft scheitern Projekte an tradiertem Verhalten und dem Beharrungsvermögen eingespielter Abläufe. Last, but not least müssen die relevanten Prozessdaten verfügbar sein. Ähnlich wie Rohöl sind diese schwer zu finden und zu fördern. Aber richtig aufbereitet, eröffnen sie einen erstaunlichen Mehrwert.

Insgesamt zeigt sich Process Mining als innovative Technologie, die nicht nur ökonomischen, sondern - manchmal - auch ökologischen Mehrwert bieten kann. So sieht der portugiesische Energieversorger EDP in Process Mining auch einen innovativen technologischen Pfeiler für die notwendige nachhaltige Transformation. Andere Beispiele zeigen positive Nachhaltigkeitseffekte durch Verringerung von Leerfahrten, einen verbesserten Transport-Modal-Split oder durch Vereinfachungen von Prozessketten.

In allen Anwendungsfällen erkennen die Unternehmen spannende Perspektiven, wobei die Konvergenz von Process Mining, RPA und KI am häufigsten genannt wird. So könnten proaktiv agierende Applikationen zukünftig nicht nur Schwachstellen aufzeigen, sondern auch selbstständig Prozessabläufe verbessern. Als wichtiger Treiber wird hierbei auch Machine Learning gesehen. Und auch die weitere digitale Transformation steht bei den meisten Unternehmen ganz oben auf der Prioritätenliste, unterstützt durch Process Mining. (mb/fm)