Wahlprogramm 2021

SPD will Tech-Konzerne entflechten

07.07.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Die COMPUTERWOCHE klopft die Wahlprogramme der Parteien auf ihre Ansätze und Vorhaben rund um die Digitalisierung ab. Die SPD will mehr Regulierung und nimmt die Internetkonzerne aufs Korn.
Wie sehen die Digitalisierungsvorhaben der SPD und Kanzlerkandidat Olaf Scholz aus?
Wie sehen die Digitalisierungsvorhaben der SPD und Kanzlerkandidat Olaf Scholz aus?
Foto: photocosmos1 - shutterstock.com

Als "Zukunftsprogramm" betitelt die SPD ihre Agenda, mit der sie in den Bundestagswahlkampf 2021 ziehen will. Die Genossen suchen Antworten auf "die gewaltigen Aufgaben, vor denen Deutschland, Europa und die ganze Welt" stehe. Konkrete Ideen dazu, welche Chancen mit welchen Technologien ergriffen werden sollen, sind allerdings dünn gesät. Stattdessen scheint die digitale Agenda der älteste Partei Deutschlands eher von Ängsten getrieben. Beispielsweise heißt es dort: "Nehmen wir die Gestaltung des digitalen Wandels als demokratische Gesellschaft selbst in die Hand oder bleibt es dabei, dass die Entwicklung der digitalen Welt von wenigen Technologiekonzernen diktiert wird?". Wie sich die SPD den digitalen Wandel vorstellt, beschreibt die Partei in einer ihrer insgesamt vier "Zukunftsmissionen":

  • Klimaneutrales Deutschland

  • Modernstes Mobilitätssystem Europas

  • Digitale Souveränität in Deutschland und Europa

  • Update für die Gesundheit

"Deutschland soll 2030 über eine digitale Infrastruktur auf Weltniveau verfügen, über eine vollständig und durchgängig digitalisierte Verwaltung und ein Bildungssystem, in dem für das Leben in einer digitalen Welt gelernt werden kann. Die Selbstbestimmung und digitale Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger ist unser Leitbild, damit die Digitalisierung allen zugutekommen kann", schreibt sich die SPD als Hausaufgaben ins Programm. Grundvoraussetzung dafür sei einschneller, sicherer und bezahlbarer Internetzugang.

SPD will Netzbetreiber stärker in die Pflicht nehmen

Deutschland müsse sich den 2020er Jahren zu einer Gigabit-Gesellschaft entwickeln. "Wir werden die Versorgung aller Haushalte und Unternehmen mit einer Bandbreite von mindestens einem Gigabit pro Sekunde garantieren." Dafür wollen die Sozialdemokraten die Netzbetreiber stärker in die Pflicht nehmen. Es soll konkrete gesetzlich festgelegte Ausbau- und Versorgungspflichten geben. Außerdem plädieren die Genossen für einen Sozialtarif für den Netzzugang, der Menschen mit geringem Einkommen sowie Schülern und Studenten zugutekommen soll.

Wahlprogramm CDU/CSU 2021: Union in der digitalen Defensive

Auch die öffentliche Verwaltung soll nach dem Willen der SPD digital modernisiert werden. Alle Bürgerinnen und Bürger müssten einen einfachen, digitalen Zugang zu den entsprechenden Dienstleistungen erhalten. Die Sozialdemokraten wollen daher die Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen zur Bereitstellung digitaler Verwaltungsdienstleistungen ausbauen, damit alle Verwaltungsleistungen möglichst schnell auch digital verfügbar sind. Das ist allerdings nicht neu und laut dem Onlinezugangsgesetz schon längst beschlossene Sache. Für eine datenschutzkonforme Nutzung sollen laut SPD-Programm alle Menschen in Deutschland eine digitale Identität erhalten.

"Digitale Life-Chain"

Mit Hilfe von Berechtigungssystemen sollen sie zudem besser kontrollieren können, wer auf ihre Daten zugreift. Die SPD-Politiker sprechen an dieser Stelle von einer "digitalen Life-Chain". Die notwendige öffentlich finanzierte Software für die digitalen Verwaltungsservices "sollte, wo möglich, als Open Source transparent entwickelt und öffentlich zugänglich gemacht werden".

So sehen die Digitalstrategien der anderen Parteien zur Bundestagswahl 2021 aus:

Beispielsweise sollen nach dem Wunsch der SPD künftig auf einer Open-Source-Plattform länderübergreifend Lehr- und Lernmaterialien sowie Unterrichtskonzepte digital zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Plattform sei bereits durch den Digitalpakt beauftragt und finanziert. Sämtliche Schulen in Deutschland sollen darüber hinaus digital besser ausgestattet werden. Jede Schülerin und jeder Schüler müsse über ein digitales Endgerät und einen Internet-Zugang verfügen können.

Die Genossen versprechen zu investieren und wollen ein zusätzliches Modernisierungsprogramm für die digitale Ausstattung von Schulen auflegen. Darüber hinaus sollen Lehrkräfte besser geschult werden, um mit digitalen Lehrmöglichkeiten umgehen zu können. "Wir werden bundesweit vernetzte Kompetenzzentren für digitales Lehren und Lernen aufbauen und unterstützen", versprechen die Genossen. Wie das in einer föderalen Welt, in der die Bildungshoheit bei den Bundesländern liegt, funktionieren soll, bleibt offen.

Instrumente, die Plattformen zu zähmen oder zu entflechten

Neben den Vorschlägen zu Internetzugängen, digitaler Verwaltung und der Modernisierung von Schulen, die alle nicht neu sind und an denen die SPD in den vergangenen Jahren ihrer Regierungsbeteiligung die konkrete Chance gehabt hätte, etwas zu verbessern, arbeiten sich die Genossen vor allem an den großen ausländischen Internetkonzernen ab.

"Wo globale Plattformkonzerne zu Monopolisten werden, bedrohen sie digitale Vielfalt und neigen dazu, nationalstaatliche Regeln zu umgehen", heißt es im SPD-Programm. "Wir werden deshalb gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten eine starke und präzise Regulierung schaffen, den Wettbewerb sichern und alternative Angebote fördern. Es braucht mehr Angebote mit hoher Datensouveränität." Zu viel Marktmacht Einzelner schade dem Wettbewerb. Die Partei möchte ein präventives und proaktives Wettbewerbs- und Kartellrecht, das auch vorbeugende Kontrollen beinhalten soll. "Zudem werden wir weitere, neue europäische Instrumente entwickeln, um die übermächtigen Plattformen zu zähmen oder notfalls zu entflechten."

Die Sozialdemokraten wollen darüber hinaus den Einfluss US-amerikanischer und chinesischer Anbieter auf den europäischen ITK-Markt reduzieren. "Wir brauchen in Europa eine selbstbestimmte Entwicklung und Herstellung der notwendigen Komponenten und Bauteile, damit nicht ausschließlich US- und chinesische Hersteller über den Erfolg und die Netzwerksicherheit digitaler Infrastrukturen in Europa entscheiden." Im Zuge eines gemeinsamen Kraftakts in Europa soll eine gemeinsame Entwicklung und Produktion solcher Komponenten strategisch und langfristig aufgebaut werden. Das soll entlang der gesamten Wertschöpfungsketten geschehen: von der Halbleiter-Fertigung und der Quantentechnologie über die Cloud, künstliche Intelligenz und Edge Computing bis hin zu Cybersicherheit, sicherer und vertrauenswürdiger Hard- und Software sowie Netzwerktechnik und datenbasierten Geschäftsmodellen.

Bürokratie-Abbau - Fehlanzeige

Konkrete Vorschläge, wie der Aufbau einer deutschen beziehungsweise europäischen IT-Wirtschaft mit Unternehmen von Weltrang funktionieren soll, bleibt die SPD schuldig. Tatsächlich hatten solche paneuropäischen Digitalinitiativen schon in der Vergangenheit wenig Erfolg. Wie grundlegende Veränderungen gerade hinsichtlich Startup-Finanzierung und der Entwicklung neuer vielversprechender Firmen in diesem Umfeld greifen und wie die lähmende Bürokratie abgebaut werden könnte, dazu trägt das SPD-Programm wenig Konstruktives bei. Es bleibt bei Allgemeinplätzen, zum Beispiel soll der Zugang zu Wagniskapital erleichtert werden. Das soll er bereits seit vielen Jahren - passiert ist bis dato wenig.

Auch in Sachen Datenwirtschaft hat die SPD ganz eigene Vorstellungen. "Daten sollen für gemeinwohlorientierte digitale Dienstleistungen und Innovationen nutzbar gemacht werden und nicht nur wenigen großen Datenmonopolisten zur Verfügung stehen." Dafür wollen die Sozialdemokraten ein Datengesetz auflegen, das festschreibt, wie eine vertrauenswürdige Infrastruktur für das Teilen von Daten im großen Maßstab aussehen kann. Zudem sollen öffentliche Datentreuhänder eingerichtet werden. Die SPD will außerdem die großen Konzerne per Gesetz verpflichten, ihre Daten für gemeinwohlorientierte Ziele zu teilen. Ob sich Amazon, Facebook, Google und Co. davon beeindrucken lassen werden, ist jedoch mehr als zweifelhaft.

Insgesamt plädiert die SPD für mehr Regulierung in der digitalen Welt. Das soll an verschiedenen Stellen greifen. Plattformen für den regionalen Handel und regionale Dienstleistungen sollen gefördert werden. "Der Handel vor Ort darf steuerlich nicht gegenüber dem Onlinehandel ins Hintertreffen geraten." KI müsse transparent und diskriminierungsfrei angelegt sein, fordern die Genossen. Algorithmische Entscheidung müssten klar und überprüfbar definiert sein.

KI reguliert - Sicherheit verordnet

"Hierfür brauchen wir eine stringente Regulierung und Aufsicht." Außerdem sollen IT-Hersteller verpflichtet werden, Softwareprodukte, digitale Dienste und technische Geräte so zu konzipieren, dass sie sicher sind (Security by Design) und in den Standardeinstellungen die sicherste Variante anbieten (Security by Default). Digitalen Währungen steht man im Willy-Brandt-Haus skeptisch gegenüber. "Wir lehnen eine Privatisierung von Währungen ab", steht im SPD-Programm. "Dies gilt auch für private digitale Währungen, die in ihrem Wert künstlich stabil gehalten werden (Stablecoins)."

Besonders wichtig ist der SPD der Datenschutz, den ihr Regierungspartner von der CDU/CSU offenbar wieder aufweichen will. "Die Datenschutzgrundverordnung ist ein wichtiger Meilenstein und muss in ihrer Durchsetzung praxisnah verbessert werden", steht im SPD-Programm. "Wir brauchen daher gut ausgestattete, effektiv arbeitende Datenschutzaufsichtsbehörden." Darüber hinaus sollen die Freiheitsrechte im Netz gewahrt bleiben. "Die anonyme und pseudonyme Nutzung des Netzes schützt viele Journalistinnen und Journalisten sowie Freiheitskämpferinnen und Freiheitskämpfer in aller Welt vor Verfolgung und Bedrohung. Wir sind gegen eine Klarnamenpflicht im Netz und setzen uns weiterhin für die Möglichkeit einer anonymen und pseudonymen Nutzung ein."

Fazit

Auch die SPD hat erkannt, dass im Zuge der Digitalisierung von Leben und Arbeit der Menschen in Deutschland tiefgreifende Veränderungen anstehen, die politisch organisiert sein wollen. "Die demokratische Gestaltung des digitalen Wandels, die alle Lebensbereiche umfasst, alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Felder und Ebenen, ist ein Beispiel für die Überforderung herkömmlicher Organisationsformen mit den Aufgaben unserer Zeit." Eine Lösung, wie sich diese Überforderung in den Griff bekommen ließe, bleiben die Genossen jedoch weitgehend schuldig. Das gilt auch für die Frage, wie die Digitalisierung auf Ministeriumsebene abgebildet werden soll. Zu einem Digitalministerium, wie es die Regierungspartner von der CDU/CSU einrichten wollen, findet sich kein Statement im SPD-Programm.

Viele Forderungen der Genossen hinsichtlich der Digitalisierung sind altbekannt und hätten bereits in den vergangenen Jahren zielführender und konstruktiver angegangen werden können - zum Beispiel der Netzausbau, der Ausbau digitaler Verwaltungsdienste oder die Digitalisierung von Schulen und Bildung. In all diesen Bereichen hinkt Deutschland hinterher. Statt kreativ und aktiv eigene neue Lösungen vorzuschlagen, reiben sich die Genossen an den großen Internetkonzernen auf und plädieren für mehr Kontrolle, Gesetze und Regulierung. Wer die Bürokratie in Deutschland schon jetzt als lähmend empfindet, dürfte gewarnt sein.