Portfoliobereinigung

So räumen IT-Architekten die Applikationslandschaft auf

04.03.2016
Von 


Marina Ribke ist unabhängige strategische Enterprise Architektin. Sie berät und unterstützt Menschen, die den Mut haben die Themen Digitale Business Transformation,  KompIexitätsreduktion, Flexibilisierung und Standardisierung in großen Unternehmen anzupacken.

Informationssystem- und Technologiearchitektur: Applikationsportfolio strategisch aufräumen

Alle Vorarbeiten sind getan. Die IT hat nun alle Vorgaben, um das Applikationsportfolio strategisch nach den Vorgaben der Geschäftsarchitektur und der IT-Strategie aufzuräumen und strategisch auszurichten. Dazu legt sie die Karte Geschäftsarchitektur (Abbildung 6) über die Karte Ist-Applikationslandschaft (Abbildung 4). Es entsteht die strategische Planungsgrundlage für die Soll-Applikationslandschaft (Abbildung 8).

Abbildung 8: strategische Planungsgrundlage für die Soll-Applikationslandschaft
Abbildung 8: strategische Planungsgrundlage für die Soll-Applikationslandschaft
Foto: Ribke Consulting

Die Grenzen der Level-1-Prozesse aus der Geschäftsarchitektur geben die Grenzen der Applikationen vor. Als Planungsprinzip gilt dabei, dass es eine Applikation pro Level-1-Prozess geben soll. Applikationen sollen über die Prozessgrenzen hinweg lose gekoppelt und unabhängig führbar sein. Innerhalb eines Level-1-Prozesses soll die Applikation eine logische Einheit sein, die aber durchaus weiter in Geschäftsfunktionen modularisiert werden kann. Wichtig zu unterscheiden an dieser Stelle ist Applikation und Technologieplattform. Eine Applikation ist in sich geschlossen, sowie unabhängig entwickel- und installierbar. Mehrere Applikationen können auf einer Technologieplattform betrieben werden.

Die IT der Bank entwickelt auf Basis der strategischen Planungsgrundlage eine Soll-Applikationslandschaft (Abbildung 9), die die Grenzen der Geschäftsarchitektur einhält und die Prinzipien umsetzt.

Abbildung 9: Soll-Applikationslandschaft
Abbildung 9: Soll-Applikationslandschaft
Foto: Ribke Consulting

Die Bank beschließt, nur Applikationen mit aufsteigender Technologie ("grüne Applikationskästchen") für die Soll-Planung zu verwenden. Rote und gelbe werden abgeschaltet oder ersetzt. Für die Geschäftsfähigkeit Payments verwendet die Landesgesellschaft Großbritannien heute schon eine Standardsoftware mit aktueller Technologie (A008). Diese Applikation soll ausgebaut werden zur zentralen internationalen Zahlungsplattform A008. Für den Kredit wird die Applikation A010 international standardisiert ausgebaut. Für das Privatkundenleasing entscheidet sich die Bank für den Ausbau von A015 in zwei Varianten. Eine für das Privatkundengeschäft A015-PK und eine für die Geschäftskunden A015-GK.

Für das Produkt Versicherungen hat die Bank keinerlei aktuelle Technologie im Portfolio. Sie entscheidet sich dafür eine neue Standardsoftware anzuschaffen. Da zum Planungszeitpunkt noch nicht entschieden werden kann, welche Standardsoftware angeschafft werden soll, zeichnet sie auf der Soll-Applikationslandschaft einen blauen Platzhalter Versicherung (PH Versicherung) ein. Die blaue Farbe markiert die strategischen Eigenschaften, die die Applikation haben soll: stabil, standardisiert, produktorientiert, automatisiert und kosteneffizient. Im Laufe der anschließenden Transformation wird ein entsprechendes Softwareauswahl-Projekt eingeplant, dass eine passende Standardsoftware auswählen soll.

Ähnlich geht die Bank beim Bebauungsplan für die Domänen Marketing, Sales und Service vor. Sie besitzt zwar moderne "grüne" Applikationen in den Domänen, aber keine davon eignet sich als Basis für Microservices in der Cloud. Die Bank entscheidet sich dafür, die kundenfokussierten Geschäftsfähigkeiten auf Basis einer Platform as a Service (PaaS) in der Cloud neu zu entwickeln. Da zum Planungszeitpunkt noch nicht klar ist, wie das im Detail geschehen soll, zeichnet die IT der Bank für jede Geschäftsfähigkeit, die über Microservices implementiert werden soll, einen orangenen Platzhalter. Wie die blauen Platzhalter, markiert die orangene Farbe die strategischen Eigenschaften, die die zukünftigen Microservices haben sollen: veränderbar, spezifisch, kundenorientiert, flexibel und agil.

Möglichkeiten und Lösungen: Soll und Ist-Applikationslandschaft im Vergleich, sowie der Reifegrad der Unternehmensarchitektur

Die Soll-Applikationslandschaft unterscheidet sich quantitativ, qualitativ und strukturell elementar von der Ist-Applikationslandschaft, siehe direkten Vergleich in Abbildung 10.

Abbildung 10: Soll und Ist-Applikationslandschaft im direkten Vergleich
Abbildung 10: Soll und Ist-Applikationslandschaft im direkten Vergleich
Foto: Ribke Consulting

Die Anzahl der Applikationen wird über die Strategie im Bereich Produkt Operations stark reduziert. Die strategisch kundenfokussierten Anforderungen in den Domänen Marketing, Sales und Service sind mit der bestehenden Technologie weder qualitativ noch strukturell erfüllbar. Diese Applikationen müssen in der Transformation strukturiert zurückgebaut und bis zur gänzlichen Abschaltung Schritt für Schritt durch Microservices ersetzt werden.

Der Landschaftsvergleich macht deutlich, welche unterschiedlichen IT-Bebauungen die jeweils unterschiedlichen Strategien aus Geschäftsfeld- und Geschäftsfähigkeitskombinationen hervorbringen. Die unterschiedliche Struktur wird primär getrieben durch die strategische Priorisierung von Kunde > Produkt > Land > Kanal im Soll oder Land > Produkt > Kunde > Kanal im Ist. Die ersten beiden Dimensionen entscheiden über die Struktur des Applikationsportfolios. Die Wertschöpfungsarchitektur entscheidet über die Qualität und Quantität.

Die strategische Bebauungsplanung setzt einen hohen Reifegrad der Unternehmensarchitektur und der strategischen Planungsfähigkeit- und -willigkeit voraus. Die Geschäftsstrategie muss analysierbar sein und strategische Geschäftsfelder abbildbar. Die Unternehmensarchitektur muss ein Geschäftsfähigkeitenmodell bereitstellen und die Geschäftsarchitekten müssen eine Prozessarchitektur für das Wertschöpfungsmodell erstellen. Erst dann bekommt die IT die Möglichkeit das Applikationsportfolio strategisch aufzuräumen. Kapitel "E - Möglichkeiten und Lösungen: Bereinigung aus IT-Sicht" hat gezeigt, dass ein Aufräumen des Applikationsportfolios auch ohne strategische Analysen möglich ist. Die jeweiligen Optionen zeigten aber auch die Beschränkungen auf. Die IT kann das Portfolio zwar aufräumen, bleibt aber strukturell immer im alten Geschäftsmodell verhaftet. Der Weg in ein digitales Geschäftsmodell erfordert eben auch eine digitale Geschäftsarchitektur an der sich die IT ausrichten kann.

Migrationsplanung: Transformationsplanung und -governance

Die Bank hat eine Soll-Applikationslandschaft entwickelt, die sich fundamental von der heutigen Ist-Applikationslandschaft unterscheidet. Die Erfahrung zeigt, dass jetzt der schwierigste Teil beginnt: die Transformation. Hierfür müssen Planungs- und Governance-Strukturen aufgesetzt, sowie organisatorische Änderungen eingeleitet werden. Die IT muss taktische Bebauungspläne entwickeln, um Zwischenstufen auf dem Weg zum Ziel aufzuzeigen. Das Management muss Rahmenbedingungen für Änderungsbewusstsein und -bereitschaft, Ressourcenumleitung und -neuaufbau schaffen und aktiv kontinuierlich managen. Insbesondere der Aufbau von Microservices revolutioniert die IT-Organisation.

Die Transformationsplanung und -Governance und ist so ein umfängliches und komplexes Thema, dass sie im Umfang dieses Artikels nur kurz angedeutet werden konnte.