Online-Training macht es möglich

Frauen investieren mehr in ihre Weiterbildung

27.04.2022
Von 
Lukas Lewandowski ist Regional Director DACH & Eastern Europe bei Coursera, einem Anbieter von Online-Weiterbildungskursen.
Das Interesse von Frauen an Fortbildung in technischen Berufen steigt kontinuierlich. Gäbe es mehr Ausbilderinnen und besser gestaltete Lerninhalte, könnten noch viel größere Fortschritte erzielt werden.
Frauen sind von der Pandemie stärker betroffen als Männer, für viele ist die Work-Life-Balance schwer zu meistern. Daher wollen sich nun viele Frauen weiterbilden, vor allem in der IT.
Frauen sind von der Pandemie stärker betroffen als Männer, für viele ist die Work-Life-Balance schwer zu meistern. Daher wollen sich nun viele Frauen weiterbilden, vor allem in der IT.
Foto: Roman Samborskyi

Die MINT-Welt (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) ist heute immer noch vorwiegend eine Männerdomäne – nur wenige Frauen bemühen sich darum, hier beruflich Fuß zu fassen. Dies belegt auch der MINT-Herbstreport 2021 des Instituts der deutschen Wirtschaft: Demnach ist der geringe Frauenanteil in MINT-Berufen (lediglich 15,5 Prozent im Oktober 2021) auffällig - und aus Sicht der Wirtschaft besorgniserregend.

Verschärft wird diese Entwicklung durch den sich immer weiter zuspitzenden Fachkräftemangel. Der Bedarf an gut ausgebildeten Experten steigt, allerdings gibt es nicht genügend qualifiziertes Personal, um die vorhandenen Stellen zu besetzen. Laut einer aktuellen Bitkom-Studie fehlen alleine auf dem deutschen Markt 96.000 IT-Fachkräfte. Damit ist die bereits 2020 klaffende Lücke noch einmal um zwölf Prozent gewachsen. Um den IT-Fachkräftemangel in Deutschland zu reduzieren, müsste die geschlechtsspezifische MINT-Lücke geschlossen werden.

Eine Umschulung oder Weiterbildung ist für Frauen, die in diese stark nachgefragten Bereiche einsteigen wollen, oft unerlässlich – sei es, um vorhandene Fähigkeiten zu ergänzen oder um einen kompletten Berufswechsel zu ermöglichen. Auf der Plattform Coursera werden die Probleme aufgezeigt, die dazu führen, dass Frauen sich nur langsam den MINT-Fächern annähern.

Frauen stark von der Pandemie benachteiligt

Die Auswirkung der Pandemie haben Frauen überproportional getroffen. Laut einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2020 zum Zusammenhang der Corona-Pandemie und Gender Equality waren in den USA und Indien die Arbeitsplätze von Frauen nahezu doppelt so stark durch Corona gefährdet wie die von Männern. Der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Bericht 2021 Report on gender equality in the EU lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass sich Einkommens- und soziale Ungleichheiten verschärft haben, weil die Erwerbsbeteiligung von Frauen gelitten hat.

Der Bericht zeigt, dass die Pandemie den Arbeitsmarkt für Frauen in mehrfacher Hinsicht hart getroffen hat. Das hängt auch damit zusammen, dass Frauen in Sektoren und Berufen überrepräsentiert sind, die nicht aus dem Home-Office auszuüben waren. Auch in Deutschland lässt sich während der Corona-Krise ein starkes Ungleichgewicht zwischen berufstätigen Frauen und Männern feststellen. Frauen übernahmen einen Großteil der Versorgung von Kindern und reduzierten ihre Arbeitszeit. Das zeigt ein Report der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2020.

Neue Chancen durch Wissenszuwachs

Schaut man auf die aktuelle Zahl der Einschreibungen auf der E-Learning-Plattform Coursera, lässt sich allerdings ein positiver Trend bezüglich der Beanspruchung von Online-Kursen durch Frauen ablesen: 2021 lag der Anteil der Einschreibungen für Online-Weiterbildung von Frauen höher als vor der Pandemie.

Der Anteil der Kurseinschreibungen von Frauen und Männern bei Coursera
Der Anteil der Kurseinschreibungen von Frauen und Männern bei Coursera
Foto: Coursera

Dabei stieg der Anteil aller neuen weiblichen Einschreibungen in Deutschland von 37 Prozent im Jahr 2019 auf 43 Prozent im Jahr 2021. Bei MINT-Kursen kletterte die Zahl der Anmeldungen von Frauen in Deutschland von 29 Prozent im Jahr 2019 auf immerhin 33 Prozent im Jahr 2021. Dieser Trend zeigt, dass Frauen zunehmend zu Online-Weiterbildungen im MINT-Bereich bereit sind. Das gilt nicht nur für die Auffrischung des vorhandenen Kenntnisstandes, sondern auch für eine komplette berufliche Neuorientierung.

Anteil der Neuregistrierungen von Frauen und Männern bei Coursera
Anteil der Neuregistrierungen von Frauen und Männern bei Coursera
Foto: Coursera

"Für mich ist es wichtig, mich stetig weiterzubilden, um mit den wichtigsten Entwicklungen in einer sich schnell verändernden technologiegetriebenen Wirtschaft Schritt zu halten", sagt Lena Lickteig, Data Scientist im Bertelsmann Future Leaders Programm. In ihrem derzeitigen Position arbeite sie alle paar Monate an einem anderen Data-Science-Projekt. Daher sei es entscheidend, die erforderlichen Fähigkeiten schnell zu erlernen und auf den neuesten Stand zu bringen.

Online-Bildung kann demnach ein Hebel sein, um die Diversität in MINT-Berufsfeldern zu erhöhen. Die Flexibilität, mit der die Kurse in Anspruch genommen werden können, hilft den Lernenden, ihre Weiterbildung mit den beruflichen Aufgaben und privaten Verpflichtungen in Einklang zu bringen. Das ist besonders für Frauen attraktiv, die häufiger Pflege- und Erziehungsaufgaben übernehmen und daher zeitlich sowie örtlich eingeschränkt sind.

Die vielen verfügbaren Formate des Online-Lernens lassen sich gut auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden abstimmen. Einführungskurse in MINT-Fächer, zum Beispiel Automatisierung mit Python, ermöglichen es Studierenden, sich schnell zeitgemäße Fähigkeiten anzueignen. Das "Google IT Support Professional Certificate" beispielsweise öffnet die Tür zu ersten Jobs im IT-Bereich und wird von renommierten Hochschulen wie der University of London und der Northeastern University anerkannt. Beide Universitäten bieten Lernenden, die das Programm erfolgreich absolvieren, eine Anrechnung auf einen Online-Bachelor-Abschluss. Diese Kombinierbarkeit und Modularität bietet Frauen ohne IT-Qualifikationen die Möglichkeit, die passenden Skills zu erlernen.

Online-Kurse sollten die Bedürfnisse weiblicher Lernender optimal berücksichtigen. Nötig wären dazu:

1. Mehr Ausbilderinnen

Studien zeigen, dass Kurse mit Dozentinnen einen signifikant höheren Anteil an weiblichen Teilnehmern anziehen.

2. Kursmaterial, das alle anspricht

Der Großteil der Inhalte des Google IT-Support Professional Certificate auf Coursera wurde von Frauen verfasst. Eine Besonderheit sind die persönlichen Geschichten: So berichten weibliche Führungskräfte, wie sie mit dem Impostor-Syndrom zu kämpfen hatten und daran arbeiten, es zu überwinden. Dabei handelt es sich um das Hochstapler-Syndrom: Menschen sind weniger selbstbewusst und fühlen sich ihrer Aufgabe nicht gewachsen - obwohl sie es oft durchaus sind. Solche Kursinhalte haben dazu beigetragen, die Vielfalt der Lernenden innerhalb des Programms zu erhöhen. Bereits 30 Prozent sind weiblich, verglichen mit 20 Prozent bei IT-Inhalten im Allgemeinen auf Coursera.

3. Macine-Learning-Verfahren fördern Durchhaltevermögen

Mit Hilfe von Machine Learning wird eine personalisierte Ansprache der Lernenden erreicht. Sie erhalten individuelle Anleitungen, aktive Unterstützung und werden ermutigt, Kurse auch gegen Widerstände abzuschließen. Beispielsweise wird Lernenden, die sich schwertun, ein Angebot von Wiederholungsmaterial empfohlen, darunter Videos und neuer Lesestoff. Das hilft vor allem Frauen durchzuhalten und ihren Kurs erfolgreich abzuschließen.

4. Neue Funktionen einführen

Die kürzlich von Coursera eingeführte Funktion "Video-Highlights" ermöglicht es den Lernenden, Kontrollpunkte in ihren Vorlesungsvideos festzulegen und dort Notizen hinzuzufügen. Das erleichtert Wiederholungen und verbessert den Lerneffekt. Auffällig: Bei MINT-Inhalten ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen Notizen machen um 36 Prozent höher als bei Männern. Eine vereinfachte Wiederholung von Kursmaterial erhöht die Durchhaltequote von weiblichen Lernenden deutlich.

5. Experimente geben Aufschluss

Es gibt Forschungsmethoden, mit denen Lehrkräfte und Wissenschaftler herausfinden können, welche Art von Unterricht für wen geeignet ist: Die Teilnehmenden werden nach dem Zufallsprinzip auf verschiedene Varianten eines Kurses aufgeteilt, um die Wirkung eingesetzter Lehrmittel (zum Beispiel Videos) zu ermitteln.

Ein anderes Beispiel betrifft die Gestaltung der Lehrmittel. Chris Brooks von der University of Michigan hat untersucht, ob subtile geschlechtsspezifische Hinweise Frauen dazu animieren können, sich MINT-Inhalten zu nähern. Dazu hat Brooks das Erscheinungsbild von männlichen und weiblichen Mitarbeitern im Hintergrund einiger Videos eingeblendet und festgestellt, dass die Lernenden dann aktiver sind und mehr Nachrichten posten, wenn das eigene Geschlecht präsent ist. (hk/mp)