Round Table Cloud-Migration

Erst nachdenken, dann migrieren

20.04.2021
Von 
Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
Die Digitalisierung ermöglicht neue Geschäftsmodelle, die ohne Cloud Computing nicht realisierbar wären. Doch die Cloud-Migration wirft Fragen auf, die nahezu alle Unternehmensbereiche betreffen.
Wer in die Cloud migrieren will, braucht einen Plan. Am besten vorab.
Wer in die Cloud migrieren will, braucht einen Plan. Am besten vorab.
Foto: Master1305 - shutterstock.com

Der Einsatz von Cloud-Technologien ist unverzichtbar für eine digitale Unternehmenstransformation. Darüber herrschte Konsens bei den Teilnehmern des virtuellen Round Table zum Thema Cloud-Migration.

Corona-Pandemie als Cloud-Treiber

Die COVID-19-Krise hat das Tempo, mit dem Firmen in die Cloud gehen, deutlich beschleunigt. Bernd Gill, Director Strategic Alliance, Partner & Innovation bei Rackspace, beobachtet, dass die Unternehmen Projekte vorziehen, in denen es darum geht, Workloads in die Cloud zu heben und dadurch zu modernisieren. Die Bereitschaft für eine Cloud-Migration hänge aber von der Unternehmensgröße ab. Während Großunternehmen großes Interesse zeigten und die Akzeptanz auch im Mittelstand rasant steige, gingen kleine Betriebe das Thema eher vorsichtig an.

"Sollen Workloads in die Cloud gebracht werden, egal ob in eine Private, Public oder Multi Cloud, muss damit ein echter Mehrwert verbunden sein. Auf diese Weise lediglich Kosten sparen zu wollen, ist der falsche Weg", verdeutlicht Marius Merkel, Manager IBM Technology Enterprise & Brand Sales for Strategic Accounts D-A-CH bei IBM. Karsten Stöhr, Data Architect bei Datastax Deutschland, weist zudem daraufhin, dass eine Cloud-Strategie oft mit einer Rückbesinnung auf das Wesentliche einhergehe: "Unternehmen wollen sich durch eine Cloud-Transformation in erster Linie auf ihr Kerngeschäft und seine Weiterentwicklung fokussieren, um ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit zu sichern", sagt Stöhr.

Am Markt wie ein Schnellboot agieren

Eine Cloud-only-Strategie ist für die meisten Firmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine realistische Option. In der Regel gehe nicht das gesamte Unternehmen in die Cloud, sondern einzelne Business-Einheiten nutzten Cloud-Services nach Bedarf, sagt Björn Brundert, Principal Solution Engineer Application Platforms bei VMware.

Mohammad Reza Gashtil, Principal Architect Head of Cloud bei Adesso, ergänzt, dass die Auswahl der Cloud-Projekte vor allem vom Wunsch nach mehr Speed getragen werde. "Einen schnellen Einstieg in die Cloud suchen Unternehmen vor allem, um am Markt wendig wie ein Schnellboot agieren zu können", so Gashtil. Zum Teil gründeten Konzerne dafür eigene Start-ups, die Cloud-Services und agile Methoden und/oder den DevOps-Ansatz testen, um das erworbene Know-how später zu nutzen.

Hürden bei der Cloud-Migration

Als Hürde auf dem Weg in die Cloud erweisen sich häufig interne Widerstände. Während Topmanagement, CIO und CDO der Nutzung meist aufgeschlossen gegenüberstehen, existieren im mittleren Management vielfach noch Vorbehalte. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die Cloud-Migration einen Umbau bedeutet, der Hierarchien durcheinanderwirbeln und neue Rollen schaffen kann, zum Beispiel die eines Site Reliability Engineers (SRE).

Winfried Machotta, Senior Manager Systems Engineering bei Nutanix, sieht ein weiteres Hemmnis in der Organisationskultur: Während die IT-Abteilung häufig bereits agil oder mit DevOps-Methoden arbeite, werde in den Fachbereichen oft an der klassischen Wasserfallmethode festgehalten. Wer mit agilen Methoden arbeite, brauche aber auch eine neue Fehlerkultur. Es müsse möglich sein, Dinge auszuprobieren und sie, falls nötig, zu verwerfen, ohne dass das negative Konsequenzen nach sich ziehe.

"Wer Cloud Computing nutzt, braucht ein neues Mindset in Bezug auf Innovation", mahnt Adesso-Mann Gashtil. "Erfahrungsgemäß sind Experimente kostenintensiv, doch dieses Innovationshemmnis wird durch die Cloud reduziert. Sie bietet die Chance, häufiger Ideen auszuprobieren, und falls nötig, auch wieder zu verwerfen." Im Verlauf der Diskussion kristallisierte sich denn auch heraus, dass die IT-Organisation bei der Cloud-Transformation Aufklärungsarbeit leisten muss. Sie stehe in der Pflicht, sich noch mehr als bisher als Partner des Business sowie als Ideengeber und Initiator zu positionieren.

Studie "Cloud Migration 2021": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Cloud Migration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384), René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur der Studie Cloud Migration finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Worauf bei Lift-and-shift zu achten ist

Ein reger Disput entspann sich in der Frage, wie bei der Cloud-Migration mit den On-Premises betriebenen Legacy-Systemen zu verfahren sei. Weitgehend einig waren sich die Teilnehmer darin, dass sich ein Lift-and-shift-Ansatz ohne Code-Modifikation nur unzureichend eignet. Applikationen und Workloads lassen sich damit in einem ersten Schritt zwar schnell in die Cloud laden, doch sie müssen immer noch modernisiert und teilweise ganz neu programmiert werden. Anwendungen mit veraltetem oder schlechtem Code eins zu eins in die Cloud zu überführen verbietet sich von selbst: "Das liefert keinerlei Wertbeitrag für das Geschäft und verzögert die Applikationsmodernisierung unnötig", verdeutlicht IBM-Manager Merkel.

Wer Legacy-Systeme per Lift-and-shift in die Cloud bringe, müsse sich auch im Klaren darüber sein, dass er damit noch keine native Cloud-Software erhalte, stellt Björn Brundert klar. Ob sich der Ansatz überhaupt eigne, hänget auch von den Erwartungen ab, die daran geknüpft würden. In bestimmten Fällen kann es sinnvoll sein, einzelne Prozesse aus einem Legacy-System herauszulösen und für den Cloud-Betrieb zu optimieren, etwa durch eine Umwandlung in Microservices. Nutanix-Mann Machotta plädiert darüber hinaus dafür, zusammen mit den Legacy-Systemen konsequenterweise auch die Desktops in die Cloud zu verlagern.

"Low hanging fruits", Assessment und Co.

Wie sich eine Cloud-Transformation effizient bewältigen lässt, dazu machten die Roundtable-Teilnehmer eine Reihe von Vorschlägen. Eine Empfehlung war, als erstes die "low hanging fruits" zu ernten und herauszufinden, welche Prozesse und Applikationen in der Cloud und welche on Premises den größten Nutzen bieten - Stichwort Hybridmodell. Die Komplexität vor allem verteilter Systeme darf hierbei aber keinesfalls unterschätzt werden.

Um die mit einer Cloud-Migration verbundenen Zielsetzungen und Mehrwerte festzulegen, eigne sich ein Assessment. In diesem Zusammenhang ist eine Vielzahl von Fragen zu beantworten, unter anderem: Ist es betriebswirtschaftlich sinnvoll, das eigene Rechenzentrum weiterhin zu betreiben? Falls ja, sollte das RZ modernisiert werden? Welches Cloud-Szenario ist in dieser Konstellation optimal?

Des Weiteren muss jedes Unternehmen festlegen, welche Support- und Service-Level-Agreements (SLAs) es benötigt. Während Public-Cloud-Anbieter zum Beispiel die Verfügbarkeit von Anwendungen gemäß den vereinbarten SLAs garantieren, wird dies im Private-Cloud-Umfeld zum Teil etwas hemdsärmeliger gehandhabt.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie Cloud Migration

Eine Frage der Organisation

Ein erfolgreicher Wechsel in die Cloud ist zudem eine Frage der Organisation. Cloud-Initiativen sind Chefsache und brauchen das Commitment des Topmanagements beziehungsweise der Geschäftsführung. Ein wichtiger Schritt für den Erfolg einer Cloud-Transformation besteht darin, die relevanten Stakeholder aus den operativen Bereichen, aus der IT, der Finanz-, der Rechts- und der Compliance-Abteilung frühzeitig einzubeziehen und, falls möglich, in einem Center of Excellence (CoE) zusammenzuführen.

Dass bei der Nutzung von Cloud-Services gesetzliche Vorgaben und Compliance-Richtlinien einzuhalten sind, versteht sich von selbst. Kontrovers diskutierte die Runde, ob die einzelnen Geschäftsbereiche im Unternehmen im Einklang mit den Governance-Richtlinien in Eigenregie über den Cloud-Einsatz entscheiden sollten. Ein solch "polyglotter" Ansatz ist immerhin nicht ganz unproblematisch. Dabei wäre zum Beispiel zu klären, welche Mindestanforderungen in Bezug auf die SLAs einzuhalten sind, wie die Verantwortlichkeiten verteilt werden und bei wem die Entscheidungshoheit liegen sollte. Andernfalls droht ein Wildwuchs verschiedener Clouds, der die IT-Kontrolle unterläuft und ein erhebliches Sicherheitsrisiko darstellt.

Vendor-Lock-in bei Public Cloud vermeiden

In Bezug auf die Public Cloud warnten die Teilnehmer unisono davor, sich nur an einen einzigen Hyperscaler zu binden. Ein solcher Vendor-Lock-in geht zulasten der Flexibilität des IT-Betriebs, gerade im Hinblick auf die Nutzung von Cloud-Services, und beeinträchtigt das hohe Gut der Plattformunabhängigkeit. Als Mittel der Wahl empfiehlt sich daher eine Multi-Cloud-Strategie, um vom jeweils Besten aus zwei oder mehreren Cloud-Welten zu profitieren, zum Beispiel in Bezug auf die Services. Applikationen und Datenbanken lassen sich damit genau in der Cloud betreiben und ausführen, die sich dafür am besten eignet.

Zu guter Letzt wird für eine Cloud-Transformation auch spezielles Know-how im Unternehmen benötigt. Da Experten im Cloud-Native-Umfeld Mangelware sind, braucht es ein vorausblickendes Personalmanagement, das die Expertise von IT-Mitarbeitenden in Bezug auf Applikationen, Netzwerke oder IT-Security zielgerichtet durch Cloud-Skills und -Zertifizierungen ergänzt. Hier herrscht jedoch noch Nachholbedarf.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie Cloud Migration