Experten diskutieren No Code/Low Code

Wie KI die No-Code/Low-Code-Entwicklung verändert

25.05.2023
Von 
Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
No-Code/Low-Code erreicht mit dem Einsatz von KI und der Entwicklung von Enterprise-ready Software ein neues Level. Für eine hohe Qualität der Entwicklung braucht es eine konsequente Governance.
KI-Systeme wie ChatGPT können die Low-Code/No-Code-Entwicklung unterstützen, mehr bislang aber (noch) nicht.
KI-Systeme wie ChatGPT können die Low-Code/No-Code-Entwicklung unterstützen, mehr bislang aber (noch) nicht.
Foto: Poca Wander Stock - shutterstock.com

Kein Unternehmen kommt in Zukunft um die No-Code-/Low-Code-Entwicklung herum, sei es um fachbereichsspezifische Prozesse abzubilden, Kernsysteme durch neue Funktionen zu erweitern, Enterprise-Applikationen zu erstellen und digitale sowie automatisierte End-to-End-Prozesse zu etablieren.

Gegenwärtig wird der No-Code-/Low-Code-Markt jedoch kräftig durcheinander gewirbelt. Zum Beispiel durch den Walldorfer Softwarehersteller SAP, der mit SAP Build eine Cloud-basierte No-Code-/Low-Code-Plattform auf den Markt gebracht hat, mit der sich Apps ohne Code entwickeln, Workflow-Prozesse automatisieren und Weboberflächen erstellen lassen. Für die große Zahl von Unternehmen, die ERP-Software von SAP als Kernsystem einsetzen, ist das ein klarer Mehrwert.

KI als Gamechanger bei No Code/Low Code

Die rasante Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) wird auch die Softwareentwicklung dauerhaft verändern. Schon heute lässt sich Software nur durch den Dialog mit einer KI wie ChatGPT (Version 4) von OpenAI generieren, ohne eine einzige Zeile Code selbst erstellen zu müssen. Aus technologischer Sicht hat KI damit das Zeug zum Gamechanger in Bezug auf die No-Code-/Low-Code-Entwicklung.

Darin waren sich die Teilnehmenden der COMPUTERWOCHE-Expertenrunde zum Thema "No-Code/Low-Code" weitgehend einig. Gleichzeitig warnten sie davor, in einer KI wie Chat GPT die "eierlegende Wollmilchsau" der No-Code-/Low-Code-Entwicklung zu sehen. Mithilfe von KI ließen sich Mockups oder eine Frage-Antwort-Engine als Bestandteil eines Gesamtprozesses zwar schnell und mit geringem Aufwand bauen, komplexe, Compliance-konforme Prozesse mit nahtloser End-to-End-Integration in die IT-Kernsysteme jedoch (noch) nicht.

Hinzu kommt: Eine KI wie ChatGPT kann Softwarecode erstellen und ihn auch testen und debuggen. Das Ergebnis ist in der Regel aber nicht perfekt, sodass der Code nach wie vor von einem professioneller Entwickler auf Qualität und Zuverlässigkeit geprüft werden muss.

No-Code-/Low-Code-Plattformen sind unverzichtbar

ChatGPT und andere programmierfähige KIs sind, Stand heute, auch kein Ersatz für eine No-Code-/Low-Code-Plattform. Eine große Stärke dieser Plattformen liegt unter anderem darin, verschiedene KI-Modelle zentral zusammenführen und in ein vorhandenes Governance- und Compliance-Framework einbetten zu können.

Unverzichtbar ist eine No-Code-/Low-Code-Plattform auch, um Enterprise-ready Applikationen oder spezielle Online-Shops und -Marktplätze oder Businessnetzwerke nach der 80-20-Regel innerhalb kurzer Zeit zu entwickeln und in Betrieb zu nehmen. Das reduziert die Komplexität in IT-Projekten und ist deutlich effizienter als ein 100-Prozent-Anspruch.

Sie verkürzen aber nicht nur die Time-to-Market deutlich, sondern ermöglichen auch die nahtlose Integration neu erstellter Software mit vorhandenen Backend- beziehungsweise Legacy-Systemen. Das ermöglicht genau das reibungslose Zusammenspiel aller Anwendungen, das nötig ist, um Prozesse entlang der Wertschöpfungskette End-to-end zu digitalisieren, zu automatisieren und zu standardisieren und somit auch einfacher und transparenter zu machen.

Studie "No Code / Low Code 2023": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema No Code / Low Code führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idg.de, Telefon: 089 36086 161) und Manuela Rädler (mraedler@idg.de, Telefon: 089 36086 271) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Durch Governance neue Schatten-IT verhindern

Die Runde debattierte darüber hinaus, wie sich die No-Code-/Low-Code-Entwicklung auf Governance, Security und Compliance auswirkt und ob das Problem des IT-Fachkräftemangels dadurch gelindert werden kann. Durchaus kritisch hinterfragt wurde in diesem Zusammenhang auch die Rolle des sogenannten Citizen Development.

In Bezug auf die Governance stellten die Teilnehmenden fest, dass No-Code-/Low-Code-Projekte nur erfolgreich sein können, wenn die IT-Organisation und die Fachbereiche an einem Strang ziehen und abteilungsübergreifend zusammenarbeiten. Abgesehen von einem solchen IT-Business-Alignment, sei auch die optimale Arbeitsaufteilung zwischen IT-Organisation und Fachbereichen ein wichtiger Erfolgsfaktor bei No-Code-/Low-Code-Projekten. Allein mit der Erstellung einer neuen Applikation sei es nicht getan, so ein Teilnehmender. Sie muss auch ausgeliefert, in Betrieb genommen, gewartet und weiterentwickelt werden, und zwar im Einklang mit den internen IT-Security- und Compliance-Richtlinien.

Diese Arbeitsteilung könnte sich zum Beispiel wie folgt gestalten: Die Fachabteilung, die über das Prozess-Know-how verfügt, erstellt per No-Code/Low-Code einen Prototyp der späteren Applikation und übergibt diesen an die interne IT, die ihn in enger Abstimmung mit dem Business dann bis hin zur einsatzfähigen IT-Anwendung ausbaut und die Verantwortung für Deployment, Betrieb und Weiterentwicklung übernimmt.

Entwickeln Fachabteilungen No-Code-/Low-Code-Apps und -Applikationen dagegen autonom, also ohne das Wissen und die Kontrolle durch die IT-Abteilung, droht die Entstehung einer neuen Schatten-IT. Eine solche "Demokratisierung der Softwareentwicklung" vorbei an der internen IT, wie sie zum Beispiel ein Citizen Development ermöglicht, stellt ein enormes IT-Sicherheitsrisiko dar.

Vorteile bereichsübergreifender Zusammenarbeit

Für die bereichsübergreifende Zusammenarbeit können aus organisatorischer Sicht gemischte Teams zusammengestellt werden, die Mitarbeitende der internen IT und der Fachbereiche integrieren, oder Ressourcen und Fachwissen werden in einem zentralen Center of Excellence (CoE) gebündelt. Zu den sensiblen Aufgaben in diesem Kontext gehört es, Veränderungsprozesse in IT und Business anzustoßen, die althergebrachtes Silodenken und Herrschaftswissen aufbrechen und Vertrauen zwischen allen Beteiligten schaffen.

Durch das enge Zusammenspiel zwischen IT und Business lassen sich auch Geschwindigkeitsvorteile optimal ausnutzen, die No-Code/Low-Code als agiler Ansatz für die Applikationsentwicklung gegenüber der klassischen Programmierung bietet. Nach Ansicht eines Teilnehmenden werden IT-Verantwortliche, die das verstehen, auch den IT-Fachkräftemangel lösen. Zusätzlich trage eine mit KI-Technologie verknüpfter Einsatz agiler No-Code-/Low-Code-Entwicklungsmethoden zu einer Entkrampfung des IT-Fachkräfteproblems bei.

Citizen Development braucht Kontrolle durch IT

Kritisch diskutierten die Experten die Rolle der Citizen Developer, also der Laienentwickler aus dem Fachbereich. Diese Bezeichnung könne durchaus falsch interpretiert werden. Sie insinuiere nämlich, dass jetzt auch "Lieschen Müller von nebenan" Enterprise-ready Applikationen per No-Code/Low-Code entwickeln könne. Beim Citizen Developer handelt es sich dagegen um eine Person, die technikaffin ist und über eine gewisse IT-Erfahrung verfügt, zum Beispiel als Power-User oder als Excel-Profi, der/die komplexe Tabellen erstellt oder VBA-Programmierungen durchführt.

Der Vorschlag, Citizen Developer durch die Bezeichnung Business Developer zu ersetzen, fand keine Zustimmung, auch weil Letzterer sich mit der strategischen und operativen Weiterentwicklung eines Unternehmens beschäftigt. Doch Citizen Developer hin, Business Developer her: Unabhängig von der Begriffsdefinition herrschte Einvernehmen unter den Teilnehmenden, dass die interne IT-Organisation bei No-Code-/Low-Code-Projekten als "ordnende Hand" auch in Zukunft unverzichtbar sein wird.

Zum Teil kontrovers wurde die These eines Teilnehmenden debattiert, das Potenzial einer No-Code-/Low-Code-Plattform, auch im Hinblick auf die Skalierbarkeit, lasse sich ausschließlich durch den Betrieb in einer Public Cloud ausschöpfen. Der Widerspruch kam prompt. Es müsse jedem Unternehmen selbst überlassen sein, eine solche Plattform gemäß seinen individuellen Anforderungen On Premises, in der Public Cloud, der Private Cloud oder in Form eines Hybridmodells zu betreiben. Sind zum Beispiel in einer No-Code-/Low-Code-Applikation verwaltete Daten besonders schutzwürdig und/oder dürfen sie aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht außer Haus gegeben werden, ist in der Regel der On-Premises-Betrieb das Mittel der Wahl.

No Code/Low Code - ROI-Betrachtung nicht vergessen

Da eine No-Code-/Low-Code-Plattform auch ein Kostenfaktor ist, sollte in jedem Fall eine ROI-Betrachtung durchgeführt werden. In die Wirtschaftlichkeitsberechnung kann zum Beispiel einfließen, wie viele Applikationen mit einer No-Code-/Low-Code-Plattform zu entwickeln sind und wie hoch die durch die Prozessautomatisierung erzielten Einsparungen sein müssen, damit sich die Anschaffung rechnet.

Auch IT-Governance-Prinzipien sollten einbezogen werden, da sich eine hohe Qualität der No-Code-/Low-Code-Projekte durch richtiges und gutes Management positiv auf den ROI auswirkt, genauso wie Security-Aspekte. Sollen durch No-Code-/Low-Code-Projekte in erster Linie Kosten gespart werden, geht das in der Regel zulasten der Output-Qualität und führt zu Ineffizienzen, Verzögerungen und Nacharbeiten. Das ist kontraproduktiv, denn es treibt die Kosten wie bei einem "Bull-Whip-Effekt" nach oben.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'No Code / Low Code 2023'