Interview mit Franz Josef Pschierer

"Unsere Strategie ist Glasfaser und funkbasierte Lösungen"

29.07.2013
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Telekoms Drosselpläne, Breitband auf dem Dorfe, digitales Bildungsnetz: Wir haben Franz-Josef Pschierer, Finanzstaatssekretär, IT-Beauftragter von Bayern und zurzeit auch Vorsitzender im IT-Planungsrat beim Bund, Fragen gestellt.

CW: Herr Pschierer, als Verantwortlicher für die IT- und Netzinfrastruktur im Freistaat Bayern dürften Sie sich eine Meinung zu den Plänen der Telekom gebildet haben, Flatrate-Verträge bei entsprechend hohem Verbrauch zu drosseln...

Pschierer: Ich habe Verständnis, dass die Telekom als börsennotiertes Unternehmen betriebswirtschaftlich arbeiten muss. Ich bin aber auch der Meinung, dass eine ehemals staatliche Institution auch gesellschaftspolitisch verantwortlich agieren sollte.

COMPUTERWOCHE-Chefredakteur Heinrich Vaske im Gespräch mit Franz Josef Pschierer.
COMPUTERWOCHE-Chefredakteur Heinrich Vaske im Gespräch mit Franz Josef Pschierer.
Foto: Joachim Wendler

CW: Könnte sich die Politik nicht stärker in die Pläne der Telekom einmischen?

Pschierer: Die Telekom zu privatisieren war eine Entscheidung, die wir politisch unterstützt haben und die auch aus heutiger Sicht richtig war. Aber ich denke, dass die Politik hier weiter alle Möglichkeiten nutzen sollte, die Interessen der Bürger, der Wirtschaft und der Kommunen gegenüber der Telekom engagiert zu vertreten. Die Telekom war ein Staatsunternehmen mit einem Auftrag, keine Privatinitiative.
Die Netzinfrastruktur ist letztendlich eine Bundesaufgabe, genau wie die Fernstraßen, die Autobahnen oder die Bundeswasserstraßen. Auch beim Ausbau des Münchner Flughafens redet ja der Bund mit, er ist Anteilseigner.

CW: wenn wir auf Bayern blicken, dann betonen Sie beim Ausbau der Netzinfrastruktur den breitbandigen Mobilfunk via Long Term Evolution (LTE) und Glasfaservernetzung. Von Vectoring ist bei Ihnen keine Rede, obwohl die Telekom sich hier positionieren möchte.

Pschierer: Wir sehen das Thema Vectoring eher skeptisch. Sicher ist es eine technische Möglichkeit, über Kupferkabel die Übertragungsraten weiter zu steigern, aber …

CW: …sie wollen lieber den großen Wurf.

Pschierer: Richtig, nicht nur mit Glasfaser, sondern vor allem mit LTE. Man muss die geografischen Besonderheiten in Bayern sehen: Wir haben bei LTE manchmal das Problem, dass die Kommunalpolitiker auch in der letzten Bauernschaft im Allgäu noch gerne Glasfaseranschluss hätten. Was LTE angeht hat ja bezüglich der Übertragungsbandbreiten eine enorme Entwicklung stattgefunden und wird sich auch weiter fortsetzen. Da wird mitunter protestiert, obwohl schon seit 20 Jahren ein Mobilfunkmast auf dem Feuerwehrhaus stand – ohne dass jemand Anstoß daran genommen hätte. Aber nochmal: Unsere Strategie bezüglich Breitband ist Glasfaser plus funkbasierte Lösungen.

Franz Josef Pschierer: " Wir haben bei LTE manchmal das Problem, dass die Kommunalpolitiker auch in der letzten Bauernschaft im Allgäu noch gerne Glasfaseranschluss hätten"
Franz Josef Pschierer: " Wir haben bei LTE manchmal das Problem, dass die Kommunalpolitiker auch in der letzten Bauernschaft im Allgäu noch gerne Glasfaseranschluss hätten"
Foto: Joachim Wendler

CW: Es gibt auch in Bayern immer noch viele Menschen, die auf dem platten Land wohnen und keinen breitbandigen Netzzugang bekommen. Was wollen Sie dagegen tun?

Pschierer: Es ist eine Hol- und eine Bringschuld. Wir haben bis Ende 2014 rund 500 Millionen Euro im Staatshaushalt bewusst dafür hinterlegt, den Breitbandausbau voranzutreiben. Wir sind in die Regierungsbezirke gegangen, haben die Landräte und Bürgermeister aufgeklärt. Es gibt auch ein attraktives Förderprogramm mit einer Maximalförderung von bis zu 500.000 Euro für eine kleine Gemeinde.

"Wir müssen aufpassen, dass die Menschen nicht wegziehen"

Da merkt man schon, wie ernst wir das nehmen. Für Bayern ist der flächendeckende Breitbandausbau eine zentrale Zukunftsaufgabe – ein Standortfaktor. Hier geht es auch um die demografische Entwicklung. Wenn ich etwa Regionen wie Oberfranken nehme, dann müssen wir aufpassen, dass nicht noch mehr Menschen wegziehen, weil Verkehrs- und Breitbandinfrastruktur nicht ausreichen. Wir wollen, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch die öffentlichen Institutionen, beispielsweise Schulen, sowie die Vielzahl der Privathaushalte angeschlossen wird.

CW: Ein zweites wichtiges IT-Kernthema, dass Sie in Bayern beschäftigt, ist die Informationssicherheit. Für Sie ist das ebenfalls ein Standortthema. Warum?

Pschierer: Wir müssen Cyberkriminalität und Cyberangriffe sehr ernst nehmen – das wissen wir nicht erst seit den laufenden Enthüllungen über die Ausspähprogramme der Amerikaner und Engländer. Der Freistaat Bayern steht ja auch selbst ständig im Zentrum von Angriffen. Hier arbeiten 300.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedensten, auch sensiblen Bereichen. Wir erleben täglich bis zu 36.000 Angriffe aufs staatliche Behördennetz. 99 Prozent prallen an unseren Firewalls ab, aber in der Tendenz steigt die Zahl.

Franz Josef Pschierer: "99 Prozent prallen an unseren Firewalls ab, aber in der Tendenz steigt die Zahl."
Franz Josef Pschierer: "99 Prozent prallen an unseren Firewalls ab, aber in der Tendenz steigt die Zahl."
Foto: Joachim Wendler

Und wenn ich die Statistik des Bundeskriminalamtes nehme, dann sehe ich auch, dass Missbrauch und Schadenshäufigkeit dramatisch zugenommen haben. Bestes Beispiel ist die inflationäre Entwicklung beim missbräuchlichen Einsatz von Kreditkartendaten.

Wenn wir uns nicht vernünftig schützen, dann bringen wir unsere Wirtschaft um große Chancen in allen digitalen Märkten. Alles was Open Data, Open Government oder Cloud Computing angeht, hat mit Sicherheit zu tun. Zu sicherheitssensiblen Bereichen, die Justiz etwa oder die Finanzverwaltung, werden wir uns in Bayern angesichts der Bedrohungssituation weiterhin sehr restriktiv verhalten. Das gleiche gilt für die Public Cloud, für uns sind nur Private Cloud relevant.

Cybercrime betrifft vor allem den Mittelstand

Wir gehen heute davon aus, dass Unternehmen nur jeden 1000. Cyberangriff melden. Die Wirtschaft hat sich zum Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministers, eine Meldepflicht für bestimmte Sicherheitsvorfälle einzuführen, kritisch geäußert. Wir sehen aber schon jetzt den tatsächlichen Schaden als sehr hoch an. Der Mittelstand ist am stärksten betroffen. Großkonzerne wissen sich schon zu wappnen und zu schützen.

Wir wollen die IT-Sicherheit auch forcieren, weil wir in Bayern viele Anbieter von Sicherheitslösungen haben. Bedarfsgerechte IT-Sicherheitslösungen werden oft von mittelständischen Betrieben definiert. Wenn man auf die IT SA in Nürnberg geht, sieht man das sehr schön.

CW: Sie haben kürzlich öffentlich bedauert, dass der digitale Personalausweis nur zögerlich angenommen und im Web kaum unterstützt wird. Warum ist das so?

Pschierer: Der neue Personalausweis hätte eine Erfolgsstory werden können. Man hat aber insbesondere in der Einführungsphase, nicht in der Konzeptionsphase, zu wenig getan, um den Bürgern den Nutzen klar zu machen. Wir glauben schon noch an den elektronischen Personalausweis und wünschen, dass die Länder möglichst schnell entsprechende Anwendungen fertigstellen und das Produkt, vielleicht zusammen mit dem Bund, proaktiv bewerben. Man darf nicht vergessen, dass es bei der Einführung eine skeptische Grundhaltung unseres Koalitionspartners, der FDP gab.

CW: Aber die FDP dürfte auch nicht begeistert sein, wenn die Menschen sich über ihr Facebook-Profil zu allen möglichen Webdiensten anmelden…

Pschierer: Genau. Wir brauchen den neuen Personalausweis mit seiner eID-Funktionalität, um E-Government-Lösungen und Online-Angebote ausweiten zu können.

Franz Josef Pschierer: "Der neue Personalausweis hätte eine Erfolgsstory werden können."
Franz Josef Pschierer: "Der neue Personalausweis hätte eine Erfolgsstory werden können."
Foto: Joachim Wendler

CW: Bis jetzt scheinen zumindest die E-Commerce-Treibenden kein Interesse zu haben, die elektronische Identitätsfunktion zu nutzen und in ihre Angebote zu integrieren.

Pschierer: Die gewerbliche Wirtschaft muss stärker eingebunden werden, das werden wir auch tun. Allerdings ist das nicht ganz einfach, da sich die Rahmenbedingungen ständig ändern. Heute interessiert sich die gewerbliche Wirtschaft vor allem für Mobile Commerce. Verwaltungs-, E-Commerce- und E-Payment-Prozesse müssen auf mobilen Endgeräten abgewickelt werden können. Das ist eine große Herausforderung.

CW: Kommen wir zum Thema E-Government. Laut E-Government-Monitor liegt Deutschland hier nicht gerade in der Pole Position.

"Beim E-Commerce sind wir nur Mittelmaß"

Pschierer: Ja, da sind wir eher Mittelmaß. In Bayern sind wir immerhin ein Stück weiter, aber insgesamt ist das kein Champions-League-Niveau. Am meisten kritisiert wird, dass es eigentlich keine durchdigitalisierten Services gibt. Wir haben immer noch Unterbrechungen drin, das ist einer der Knackpunkte.

Der Bürger will eine sichere und performante Abwicklung von Behördenkontakten. Das ist die eigentliche Herausforderung. Jetzt kann man sich darüber streiten, wie viele das überhaupt sind. Aber allein das Umziehen einer Familie - Bayern ist Zuzugsland - etwa von Nordrheinwestfalen nach Bayern: Anmeldeprozess, Auto anmelden, Kindergarten etc., das sind gewaltige Verwaltungsprozesse. In einer modernen Industriegesellschaft müssen sich solche Behördenkontakte anders abwickeln lassen.

CW: Steht uns der Föderalismus hier im Weg?

Pschierer: Lassen Sie es mich provozierend formulieren: Als Finanzstaatssekretär bin ich überzeugter Föderalist. Aber als IT-Beauftragter wünsche ich mir manchmal mehr Gemeinsamkeit. Das bedeutet aber nicht eine Infrastruktur unter Bundeshoheit. Gerade die elektronische Steuererklärung, ELSTER, mit zentralen Servern in München und Düsseldorf zeigt: Föderalismus und IT funktioniert. Themen wie IT-Sicherheit oder eID, das können wir nicht 16 Mal machen. Wir müssen uns in Deutschland darauf verständigen, dass bestimmte Dinge standardisiert werden. Da hat der IT-Planungsrat der Bundesregierung noch viel Arbeit vor sich.

CW: Da sind Sie persönlich ja sehr nahe dran am Zentrum der Macht…

Pschierer: Wir versuchen es auch, aber ich kann Ihnen sagen, es nicht einfach. Wir haben auf der ersten Sitzung auf der CeBIT einen IT-Sicherheitsleitfaden verabschiedet. Das war nur möglich mit 15:1 Stimmen.

Wir haben nun endlich einen verbindlichen Charakter des Leitfadens für Bund und Länder, aber für die Kommunen nur einen empfehlenden Charakter. Ich gehe aber davon aus, dass auch die kommunale Seite diesen Konsens übernehmen wird. Unterschiedliche Sicherheitsstandards wären wohl auch kaum der Öffentlichkeit vermittelbar. Dies ist ein „hochsensibles“ Thema.

CW: Wie steht es um das Thema Bildung? Bayern möchte die Schulen digitalisieren und flächendeckend ans Netz bringen. Wie ist der Stand der Dinge?

Pschierer: Unser Hauptziel und größtes Projekt ist derzeit mit weitem Abstand das Digitale Bildungsnetz Bayern. Wir haben hier 5800 Schulen im Freistaat, rund 1,8 Millionen Schüler und über 100.000 Lehrkräfte. Digitales Bildungsnetz heißt, dass wir im letzten Jahr damit begonnen haben in einem Pilotprojekt neun unterschiedliche Schulen an unterschiedlichen Standorten vollständig ans Netz zu bringen. Wir werden das ausrollen in diesem und im nächsten Jahr. Das ist zunächst auf maximal 120 Medienreferenzschulen finanziell hinterlegt. Dahin muss in den nächsten zwei Jahren auch ein Betreiberkonzept entwickelt werden, gemeinsam mit der kommunalen Familie.

Wichtig ist, dass wir zu schlüssigen und belastbaren Finanzierungsvereinbarungen zwischen dem Freistaat und den Kommunen kommen. Wir müssen klarstellen, wer für was verantwortlich ist. Die Ausstattung von Schulen ist zunächst mal ein Sachaufwand. Ich sehe aber schon eine gewisse Verantwortung des Freistaats, was Netzinfrastruktur angeht, Virenschutz, Jugendschutz etc. Aber wir brauchen eine gemeinsame Finanzierungsverantwortung mit den Kommunen.

Das Ziel ist klar definiert: Wir wollen das erste Bundesland sein, das alle seine Schulen sicher in ein Digitales Bildungsnetz eingebunden hat. Dort sollen Schüler, Lehrer und Eltern sicher kommunizieren können und es soll IT-gestützter Unterricht möglich sein. Doch es gibt auch hier Herausforderungen. Eine ist sicher die Aus- und Weiterbildung der Lehrer - auch was das Thema Medienkompetenz angeht. Das ist für uns das größte IT-Thema, das wir hier in Bayern angehen. Ein Mammutwerk.