Microsoft zeigt wieder Zähne

Schluss mit dem Kuschelkurs

17.04.2023
Von  und
Preston Gralla ist Redakteur bei Computerworld, Blogger bei ITworld und Autor von mehr als 45 Büchern, darunter "NOOK Tablet:The Missing Manual" (O'Reilly 2012) und "How the Internet Works" (Que, 2006).
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Gegenwind auch in den USA

Nicht nur in Europa muss sich Microsoft wegen seiner Cloud-Praktiken verteidigen. In den USA hat die FTC ebenfalls damit begonnen, die Geschäftspraktiken der großen Cloud-Anbieter zu untersuchen. Die FTC-Vorsitzende Lina Khan sagte: "Weite Teile der Wirtschaft scheinen jetzt von einer kleinen Anzahl von Cloud-Anbietern abhängig zu sein." Die Behörde habe damit begonnen, öffentliches Feedback einzuholen, um herauszufinden, wie die Geschäftspraktiken der Cloud-Anbieter den Wettbewerb und auch die Datensicherheit beeinflussen.

Die FTC hat nicht explizit Microsoft genannt, aber es scheint sicher, dass der Softwaregigant genauso wie seine Rivalen Amazon Web Services, Google und Oracle unter Beobachtung steht. Angesichts der Tatsache, dass die FTC bereits wegen der Activision-Übernahme gegen Microsoft vorgeht, hat das Unternehmen einiges zu befürchten.

KI im Fokus der Regulatoren

Die nächste Baustelle betrifft die künstliche Intelligenz: Microsoft hat OpenAIs Large Language Model (LLM) GPT-4 in seine Bing-Suche integriert und auch die meisten anderen Softwareprodukte um Generative-AI-Funktionen erweitert. Microsoft ist an OpenAI mit über zehn Milliarden Dollar beteiligt. Nadella ist überzeugt davon, dass KI und Chatbots nicht nur die Computertechnik, sondern auch die Wirtschaft und die ganze Art und Weise, wie wir arbeiten und leben werden, grundlegend verändern.

Momentan zeichnet sich aber ab, dass europäische Regierungen und auch die USA künstliche Intelligenz stark regulieren werden. Die US-Regierung hat gerade erst Regeln für den Einsatz von KI-Produkten und -Services angekündigt. Der Prozess hat mit einem Aufruf der National Telecommunications and Information Administration (NTIA) begonnen, einer Behörde des US-amerikanischen Handelsministeriums. Über den AI Accountability Policy Request for Comment will die Behörde Vorschläge einholen, wie ein Regelwerk für den KI-Einsatz aussehen könnte. Auch die EU ist dabei, ihre KI-Verordnung auf den Weg zu bringen, die die Entwicklung und Verwendung von KI in der EU regeln soll.

Microsoft-Chef Satya Nadella ist mit mehr als zehn Milliarden Dollar in Sam Altmans KI-Unternehmen OpenAI investiert. Hier sieht er die Zukunft von Microsoft.
Microsoft-Chef Satya Nadella ist mit mehr als zehn Milliarden Dollar in Sam Altmans KI-Unternehmen OpenAI investiert. Hier sieht er die Zukunft von Microsoft.
Foto: Microsoft

Microsoft muss als Marktführer, der alles auf die KI-Karte setzt, mit Schwierigkeiten rechnen. Generative KI-Chatbots können großen Schaden anrichten, wenn sie nicht innerhalb definierter Leitplanken genutzt werden. Eine Untersuchung der New York Times mit dem Titel In A.I. Race, Microsoft and Google Choose Speed Over Caution zeigt, dass sowohl Google als auch Microsoft die Warnungen von Ethikern - und auch von ihren eigenen Mitarbeitern - vor dem Schaden, den Chatbots anrichten können, ignoriert haben. Sie wollten einzig und allein schneller sein als der Wettbewerb, um Marktanteile zu gewinnen.

In dem Artikel heißt es unter anderem, dass einige Ethikwissenschaftler, aber auch Microsoft-Mitarbeitende vor fast einem Jahr in mehreren Dokumenten beschrieben haben, wie KI-gesteuerte Chatbots Facebook-Gruppen mit Desinformation überschwemmen können. Die moderne Gesellschaft brauche eine objektive Datengrundlage, die auf diese Weise untergraben werden könne.

Prominente wie Elon Musk verlangen KI-Pause

Microsoft ignorierte die Warnungen und veröffentlichte seinen Chatbot trotzdem. Danach haben mehr als 1.000 Forscher und führende Persönlichkeiten aus der Technologiebranche, darunter Elon Musk, Steve Wozniak und Rachel Bronson, Präsidentin der Organisation Bulletin of the Atomic Scientists, dazu aufgerufen, die Entwicklung leistungsfähiger KI zu stoppen, da die Technologie "tiefgreifende Risiken für die Gesellschaft und die Menschheit" berge. Die Gruppe fügte hinzu: "Wenn eine solche Pause nicht schnell herbeigeführt werden kann, sollten die Regierungen eingreifen und ein Moratorium einführen."

Dass KI-Sprachmodelle derzeit noch sehr einfach missbraucht und als Betrugsmaschinen genutzt werden können, ist bekannt. Dennoch arbeiten Microsoft und andere Softwareanbieter mit Hochdruck daran, sie in ihre kommerziellen Produkte zu integrieren. Mit "Prompt-Injektionen" können LLMs derzeit noch einfach angewiesen werden, vorher eingegebene Anweisungen und auch Sicherheitsvorkehrungen zu umgehen. Jailbreaker tauschen sich frei auf Reddit über Tricks und Prompts aus, mit denen sich die Sicherheitsregeln von OpenAI ganz einfach außer Kraft setzen lassen.

Erste Regierungen haben bereits reagiert: Italien hat ChatGPT, das Gehirn hinter Microsofts Bing-Chatbot, erst einmal verboten. Andere europäische Länder erwägen ähnliche Maßnahmen. EU-Kommissar Thierry Breton, zuständig für Binnenmarkt und Dienstleistungen, erklärte: "Wie ChatGPT gezeigt hat, können KI-Lösungen große Chancen für Unternehmen und Bürger bieten, aber auch Risiken bergen. Deshalb brauchen wir einen soliden Rechtsrahmen, um vertrauenswürdige KI auf der Grundlage hochwertiger Daten zu gewährleisten."

Der Preis für hohe Marktanteile

Microsoft hatte jahrzehntelang keine staatliche Aufsicht zu befürchten und hat sich in dieser Zeit gut entwickelt. Doch durch den Versuch, den Spielemarkt durch eine gigantische Übernahme zu erobern, seine Cloud-Präsenz mit den Methoden der Vergangenheit auszubauen und zum Weltmarktführer in einem noch nicht regulierten, wild wuchernden KI-Markt zu werden, hat sich das Unternehmen wieder die Aufmerksamkeit der Regierungen und Kartellbehörden in aller Welt eingehandelt.

Nadella weiß, dass die neuen Märkte jetzt verteilt werden, und er hat sich zu einem aggressiven Vorgehen entschlossen. Das zieht für gewöhnlich die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich, testen doch solche Unternehmen in aller Regel rechtliche Grenzen aus oder überschreiten diese mangels Regulierung. Das ist der Preis für einen hohen Marktanteil - und es scheint sich zu lohnen, ihn zu bezahlen.

Andererseits können staatliche Kartellverfahren einem Unternehmen arg zusetzen. Microsoft kennt das. Es ist noch nicht klar, wie sich Microsoft mittel- und langfristig verhalten wird, vermutlich steht dem Unternehmen ein Ritt auf der Rasierklinge bevor. In Sachen Cloud Computing zeigt sich bereits, dass Microsoft sich darum bemüht, den EU-Kartellwächtern immer einen Schritt voraus zu sein. So hat das Unternehmen erneut eingewilligt, seine Lizenzierungspraktiken anzupassen.

In Sachen KI scheint Microsoft noch etwas mehr Zeit zu haben, die Mühlen der Regierungen mahlen langsam. Bisher wurde vor allem geredet, aber - mit Ausnahme von Italien - wenig entschieden. Doch wenn sich das ändert, könnte das gravierende Folgen für Microsoft haben, das sich entschieden hat, den Weg in die KI-Zukunft zu gehen und Fakten zu schaffen, ohne auf die Regulierungsbehörden zu warten. (hv)