Gartner sieht Aufbruchstimmung

Generative KI – die Welle rollt

15.02.2023
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Künstlich erzeugte Marketing-Botschaften, neue Medikamente, bislang unbekannte Materialien: Die Analysten von Gartner sehen eine große Innovationswelle auf Unternehmen zukommen - dank generativer KI.

"ChatGPT ist cool, aber nur der Anfang", schreibt der langjährige Gartner-Analyst Brian Burke in seinem Beitrag Beyond ChatGPT. Er zeigt auf, welch wichtige Rolle generative KI für Unternehmen spielen wird. Die zu erwartenden Enterprise-Anwendungen werden demnach weitaus anspruchsvoller sein als heute absehbar.

Die Grafik von Gartner zeigt, wofür verschiedene Branchen generative KI einsetzen werden.
Die Grafik von Gartner zeigt, wofür verschiedene Branchen generative KI einsetzen werden.
Foto: Gartner

In den vergangenen drei Jahren haben laut Gartner Risikokapital-Unternehmen über 1,7 Milliarden Dollar in Generative-KI-Lösungen gesteckt, das meiste Geld sei in die Medikamentenentwicklung und in Werkzeuge für die Software-Codierung geflossen. "Frühe Foundation-Modelle wie ChatGPT konzentrieren sich auf die Fähigkeit der generativen KI, die kreative Arbeit zu ergänzen. Bis 2025 erwarten wir aber, dass schon über 30 Prozent der neuen Medikamente und Materialien systematisch mit generativen KI-Techniken entwickelt werden", sagt Burke. Heute sei das noch kaum der Fall. "Das wird nur einer von zahlreichen Anwendungsfällen in der Industrie sein", so der Analyst.

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Fünf industrielle Anwendungsfälle für generative KI

Generative KI eigne sich beispielsweise dazu, aus vielen in Frage kommenden Designs eines Objektes das richtige oder am besten geeignete zu finden. Sie erweitere und beschleunige nicht nur die Entwicklungsarbeit in vielen Bereichen, sondern habe auch das Potenzial, ganz neuartige Designs und Objekte zu "erfinden", auf die Menschen nicht gekommen wären oder die sie übersehen hätten.

Schon heute bekommen laut Burke Medien und Marketing-Abteilungen die Auswirkungen generativer KI zu spüren. Gartner erwartet, dass bis 2025 rund 30 Prozent der Marketingbotschaften großer Unternehmen synthetisch erzeugt werden - gegenüber weniger als zwei Prozent im Jahr 2022. Und bis 2030 soll mindestens ein großer Blockbuster-Film veröffentlicht werden, der zu 90 Prozent von KI generiert wurde - einschließlich Text und Video.

Fünf Anwendungsfälle für generative KI in Branchen

1. Medikamentenentwicklung

Einer Studie aus dem Jahr 2010 zufolge belaufen sich die durchschnittlichen Kosten für die Entwicklung eines Medikaments bis zur Markteinführung auf etwa 1,8 Milliarden Dollar. Ein Drittel dieser Summe entfällt auf die Medikamentenentwicklung selbst. Generative KI ist bereits eingesetzt worden, um Arzneien innerhalb weniger Monate zu entwickeln. Das wird künftig oft der Fall sein, kann doch die Pharmaindustrie sowohl ihre Kosten als auch die Zeitspanne bis zur Marktreife erheblich reduzieren.

2. Materialwirtschaft

Generative KI kann helfen, völlig neue Materialien mit spezifischen physikalischen Eigenschaften zu entwickeln. Laut Gartner wird das der Automobil-, Luft- und Raumfahrt-, Verteidigungs-, Medizin-, Elektronik- und Energiebranche erhebliche Vorteile verschaffen. Grundlage ist das sogenannte inverse Design, bei dem gewünschte Eigenschaften definiert und dann automatisiert Materialien aufgespürt werden, die diesen entsprechen. So lassen sich beispielsweise Werkstoffe finden, die besonders leitfähig und korrosionsbeständig sind oder eine höhere magnetische Anziehungskraft haben als die derzeit im Energie- und Transportwesen verwendeten.

3. Chipdesign

Generative KI kann mit Hilfe von Reinforcement Learning, einer Methode des Machine Learning, die Platzierung von Bauteilen im Design von Halbleitern (Floorplanning) optimieren. So lässt sich laut Gartner der Lifecycle der Chip-Entwicklung von Wochen auf Stunden reduzieren.

4. Synthetische Daten

Mit generativer KI lassen sich synthetische Daten erstellen. Dabei handelt es sich um eine Kategorie von Daten, die künstlich generiert und nicht aus direkten Beobachtungen der realen Welt gewonnen werden. Mit synthetischen Daten lässt sich die Vertraulichkeit der ursprünglichen Datenquellen, die zum Trainieren eines Modells verwendet wurden, gewährleisten. Beispielsweise können Daten aus dem Gesundheitswesen für Forschungs- und Analysezwecke künstlich erzeugt werden, ohne die Identität von Patienten preiszugeben, deren Krankenakten verwendet wurden.

5. Konstruktion von Bauteilen

Generative KI ermöglicht es Industrieunternehmen Bauteile zu entwerfen, die für ganz bestimmte Ziele wie etwa Leistung, Werkstoffe oder schnelles Herstellungsverfahren optimiert sind. Beispielsweise können Autobauer leichte, aber stabile Konstruktionen entwickeln und so sparsamere Fahrzeuge entwickeln.

Wir haben DALL-E2 gebeten, einen Affen als Künstler auf einem Klappstuhl im Dschungel zu malen...
Wir haben DALL-E2 gebeten, einen Affen als Künstler auf einem Klappstuhl im Dschungel zu malen...
Foto: DALL-E2

Es geht um "kreative Technologie"

Die meisten KI-Systeme setzen noch auf das Verfahren der Klassifizierung. Sie sind beispielsweise darauf trainiert, Bilder von Hunden und Katzen zu unterscheiden. Generative KI-Systeme funktionieren anders. Sie können so trainiert werden, dass sie ein neues Bild von einem Hund oder einer Katze erzeugen, das in der realen Welt nicht existiert. Es geht hier also um eine "kreative Technologie", was ein entscheidender Faktor ist.

Systeme mit generativer KI können hochwertige Artefakte erstellen, etwa Videos, Erzählungen, Musik und Bilder, Trainingsdaten oder sogar Entwürfe und Schaltpläne. Eine wichtige Technologie für die Verarbeitung natürlicher Sprache ist "Generative Pre-trained Transformer" (GPT). Mithilfe von Deep Learning erzeugt sie Texte, die Menschen produziert haben könnten. Und die dritte GPT-Generation (GPT-3) kann bekanntlich sogar Geschichten, Lieder und Gedichte schreiben sowie Computercode verfassen. Zudem können digitale Bildgeneratoren wie DALL-E 2, Stable Diffusion und Midjourney Bilder aus Text generieren.

Blenden Sie nicht die Risiken aus!

Gartner warnt Unternehmen davor, in ihrer Euphorie die Risiken generativer KI auszublenden. Das betreffe etwa das Potenzial für Deepfakes, die Urheberrechtsproblematik und die vielen Möglichkeiten, generative KI-Technologien böswillig zu verwenden. Gefordert seien vor allem die Verantwortlichen für Sicherheit und Risikomanagement, die proaktiv die Reputations-, Fälschungs-, Betrugs- und politischen Risiken erkennen und mindern müssten.

Unternehmen sollten über Leitlinien für einen verantwortungsvollen Einsatz generativer KI nachdenken und etwa eine Liste zugelassener Anbieter und Dienste einführen. Dabei sollten sie denjenigen den Vorzug geben, die sich um Transparenz bei Trainingsdatensätzen und einer angemessenen Nutzung der Modelle bemühten. Das werde etwa schnell ersichtlich, wenn Modelle Open Source angeboten würden. (hv)