Interview mit Reinhard Clemens, Vorstandsmitglied Deutsche Telekom

"Die Telcos müssen in die Cloud"

27.09.2016
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Telekom hat die Themen Technik, IT und Innovationen in einem neuen Ressort gebündelt. Die COMPUTERWOCHE ließ sich von T-Systems-Chef Reinhard Clemens die Strategie dahinter sowie die künftigen Zuständigkeiten der Geschäftskunden-Sparte genauer erklären.
Reinhard Clemens ist im Telekom-Vorstand für die Geschäftskundensparte T-Systems verantwortlich.
Reinhard Clemens ist im Telekom-Vorstand für die Geschäftskundensparte T-Systems verantwortlich.
Foto: Deutsche Telekom

COMPUTERWOCHE: Claudia Nemat ist mittlerweile für das Vorstandsressort Technologie und Innovation zuständig. Was bedeutet das für eine T-Systems, denn Innovationsthemen wie Cloud oder Digitalisierung waren doch bislang dort angesiedelt?

REINHARD CLEMENS: Um die Frage zu beantworten, lassen Sie uns kurz auf die aktuelle Aufstellung eingehen: T-Systems adressiert zurzeit drei Themen - die interne IT, das Thema Security sowie das externe IT-Geschäft mit Großkunden. Und die Telekom stellt gerade ihr Netz auf IP um. IP ist die Grundlage für unser zukünftiges pan-europäisches Netz. Dieses wird Services softwarebasiert produzieren, also auf einer "Standard-Hardware" alle Services bereitstellen und nicht wie bisher pro Service dedizierte Hardware benötigen.

Ziel dieses Software Defined Network ist, dass wir letztlich eine zentrale Netzfabrik für alle Länder in ganz Europa haben, in denen wir unterwegs sind. Wir erzielen damit Synergieeffekte und sind im Netz-Management effizienter. Ferner können wir Produkte, die wir in einem Land produzieren, relativ schnell in anderen Ländern vermarkten. Damit das funktioniert, braucht es eine ganz enge Koordination zwischen der Netztechnik und der internen IT des Konzerns.

CW: Und das bedeutet nun?

CLEMENS: Das Zusammenspiel von IT und Technik wird extrem wichtig. Dies bringen wir bei Claudia Nemat zusammen, denn bei ihr liegt ja schon heute der Technik-Part, jetzt kommen die interne IT und Innovation dazu. Es gibt natürlich viele Berührungspunkte zu T-Systems, zum Beispiel dort, wo man sich im Geschäftskundenbereich für eine Lösung entscheiden muss. Nehmen wir die Cloud-Produkte, die ja über uns vermarktet werden: Die Grundlage kommt aus dem Bereich von Claudia Nemat als Vorleistung und T-Systems setzt eine bestimmte Funktion oben drauf. Da unsere Geschäftskunden global aufgestellt sind, muss ich das nicht nur im Footprint der Telekom anbieten können, sondern weltweit - egal ob in Brasilien, Singapur oder China.

Wegen dieser globalen Thematik laufen auch Projekte wie die Next Generation Enterprise Network Alliance (ngena), oder Security bei T-Systems. Das gilt auch für die Bereiche Gesundheit und Vernetztes Auto. Besonders enge Zusammenarbeit gibt es beim Internet of Things (IoT). Die Digital Division von T-Systems treibt das Thema konzernweit, aber gerade bei Innovation wird der Austausch mit dem Bereich von Claudia Nemat sehr intensiv sein.

CW: Sie sprachen davon; dass im Zuge von ngena mehr Services zentral erstellt werden. Was genau soll die Allianz bezwecken?

CLEMENS: Was beschäftigt Geschäftskunden - ob Großkunden oder Mittelständler - wenn es ums Netz geht? Die Geschwindigkeit, mit der wir Netz-Services zu Verfügung stellen können. Nehmen wir an, Sie wollen eine Filiale in den USA eröffnen und sie brauchen einen standardisierten DSL-Anschluss. Dann dauert die Bereitstellung heute noch zwischen 60 und 90 Tagen. Dazu müssen wir die letzte Meile mit dem TK-Anbieter verhandeln. Wir nutzen auch die großen Seekabel, was eine Ausschreibung erforderlich macht. Das dauert für ein kleines Projekt mit wenig Komplexität viel zu lange.

CW: Stimmt, ich würde eine Bereitstellung innerhalb von 24 Stunden erwarten.

CLEMENS: Genau, und jetzt stellt sich die Frage, wie macht man so etwas? An einem Corporate Network sind im Kundenauftrag zig Telcos beim Netzdesign beteiligt. Deshalb gehen wir einen anderen Weg und bauen mit ngena eine strategische Allianz - ähnlich einer Star Alliance in der Luftfahrt, wo einer den Zubringer macht und der andere den Fernflug durchführt. Dabei bucht der Reisende durchgängig und muss sich um gar nichts kümmern. Dieses Modell ins Telco-Business umgemünzt: In Zukunft sitzt ein Kunde am Bildschirm und designt sein Netzwerk am Rechner - wo benötigt er den Anschluss, welche Bandbreite etc. Wenn er fertig ist, drückt er eine Taste und in vier Tagen steht der Anschluss. Uns muss er dann nicht mehr sprechen. Bis es so weit ist, übernehmen die Partner die Aufgabe.

CW: Klingt in der Theorie gut, aber in der Praxis?

CLEMENS: Die erste Hürde ist, dass sie Rahmenverträge mit einer Menge Telcos benötigen. Deshalb die Idee einer richtigen Allianz, mit klaren Regeln, abgestimmten Prozessen und Qualitätsvereinbarungen.

Auf dieser Grundlage produzieren wir hoch automatisiert standardisierte Netzwerk-Services. Dafür bauen wir in den nächsten zwölf Monaten weltweit 25 ngena-Netzwerkknoten auf. So liefern wir einen globalen standardisierten IP-Service. Das heißt, wenn ich VoIP als Service anbieten will, dann muss ich das einmal in diesem Netz produzieren und dann ist er global für alle verfügbar. Die Qualität ist in Deutschland, in Brasilien oder in Amerika genau gleich. Damit bekommen die Kunden mehr Flexibilität und Geschwindigkeit - genau das, was sie in einer globalen Welt erwarten.

CW: Und wie senken Sie die Kosten?

CLEMENS: Wir folgen dem Prinzip der Shared-Economy, das heißt, wir nutzen zum großen Teil das, was bereits vorhanden ist, nämlich die Infrastruktur der Partner in den Ländern. Ich spare mir die Aufbaukosten der ganzen lokalen und regionalen POP-Infrastrukturen. Nach den vier Partnern, die mit uns gemeinsam in Barcelona ngena der Öffentlichkeit vorgestellt haben, konnten wir bereits sechs weitere Unternehmen gewinnen, die in konkrete Vertragsverhandlungen mit ngena eingestiegen sind. Zudem sprechen wir mit weiteren rund 20 interessierten Telcos. Die entsprechende Software basiert auf Cisco.

Das Konstrukt wird für das Standardgeschäft in 80 bis 90 Prozent der Fälle den Ansprüchen genügen. Für Highspeed-Trading einer Bank ist es nicht ausgelegt. Auf ngena werden wir dann noch Cloud-Security-Funktionen aufsetzen. Die Idee ist dabei ist: Wir produzieren Security in der Cloud. Wir bauen also nicht die kundenspezifische Sicherheit aus Virenscannern und Software-Paketen nach. Geschäftskunden, die einen Netzzugang der Telekom buchenbekommen so eine gereinigte Leitung von uns. Mit Virenscanner und Firewall nicht mehr im Unternehmen, sondern in der Cloud.

Das Data-Center der Telekom in Biere bei Magdeburg.
Das Data-Center der Telekom in Biere bei Magdeburg.
Foto: Deutsche Telekom

Deshalb ist Biere (ein großes Telekom-RZ bei Magdeburg, Anmerkung der Red.) für uns so wichtig, denn dort produzieren wir die Services. Dort sitzen auch die großen Cloud-Anwendungen. Wir haben schon 50 Partner in Biere. Als einziges RZ dieser Welt finden sie dort fast alle Cloud-Wettbewerber in einem RZ. Die Kunden können so aus einem ganzen Cloud- Baukasten wählen. Ihnen steht HANA, Microsoft Azure, Salesforce, Cisco oder Openstack von Huawei zur Verfügung.