Interview mit Reinhard Clemens, Vorstandsmitglied Deutsche Telekom

"Die Telcos müssen in die Cloud"

27.09.2016
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

"Wir bauen Sicherheit schon im Netzwerk ein"

CW: Sie wollen Security-Services vermarkten. Wie positionieren Sie eine T-Systems im Vergleich zu Playern wie Trend Micro und Co.?

CLEMENS: Auch Security gehen wir anders an: wir offerieren eine netzzentrierte Sicherheit. Die klassischen Anbieter liefern dagegen Softwarepakete oder Appliances. Und wie sieht deren Strategie aus? Sie machen die Haustür vor meinem Haus ein bisschen dicker und verstärken das Schloss. Dazu Scheiben in Panzerglas. Unsere Strategie dagegen: Ich fange schon dort an, um zu sehen, wo sich die potentiellen Angreifer ins Auto setzen. Dabei erliege ich nicht dem Trugschluss, dass dies 100-prozentige Sicherheit gewährleistet. Aber ich sehe viele Gefahren früher, denn unsere Lösung ist netzzentriert.

Das heißt, wir bauen Sicherheit schon im Netzwerk ein. Also im physischen Netz einer Telco - in den Netzknoten - sitzen die Filter. Dort sehen wir einen Virus kommen, lange bevor es das Netz eines Anwenders erreicht. Wir vermarkten also Security as a Service. Gleichzeitig sehen wir uns als Anbieter entlang der gesamten Digitalisierungskette: Vom sicheren Endgerät, über den sicheren Betrieb bis hin zur Hilfe, wenn ein Angreifer doch mal erfolgreich war. Und das gilt für das komplette Kundenspektrum - vom Privat- bis zum Großkunden.

CW: Und Sie glauben, die Anwender vertrauen der Security aus der Cloud mehr als klassischen Lösungen?

CLEMENS: Ja, denn Sie werden im Mittelstand kaum jemanden treffen, der nicht schon einmal Sicherheitsprobleme hatte - und alle haben ein Stück weit resigniert. In der neuen Welt werden alle früher oder später in die Cloud müssen, weil sie ihre Anwendungen nur noch in der Cloud bekommen. Denken Sie heute an Photoshop oder Lightroom, die Produkte sind nur noch aus der Cloud erhältlich. Schauen Sie sich Microsoft, Oracle oder SAP an, genau der gleiche Trend.

Blicken wir 10 Jahre in die Zukunft - und ich glaube, es geht wesentlich schneller - dann werden wir keine Software-Pakete mehr kaufen und fünf Jahre laufen lassen, weil sie dann uralt sind. Viele Unternehmen schließen heute noch ein Enterprise Agreement ab, um die Software sieben Jahre lang zu nutzen. Das ist zunächst wesentlich günstiger als eine Cloud-Lösung mit ihren jährlichen Subscription-Preisen. Diese Unternehmen werden ihre Strategie allerdings nicht durchhalten können, denn ihnen steigen die Mitarbeiter aufs Dach.

Die Mitarbeiter - vor allem die jüngeren - wollen die neuesten Produktivitäts-Tools wie WebEx oder Skype für Business sowie andere Collaboration-Tools nutzen. Wir leben in einer globalen, digitalisierten Welt, in der sich nicht nur die Arbeitswelt komplett verändert, sondern auch die Kundenschnittstellen. Wie wollen Unternehmen glaubhaft darstellen, dass sie digitalisieren und die neusten Technologien für Kunden einsetzen, wenn sie gleichzeitig alles in Eigenregie auf ihren Rechnern im Keller betreiben?

CW: Sicher, das ist eine Herausforderung, aber ist die Antwort wirklich einfach nur, dass die Digitalisierung die Kunden in die Cloud treibt?

CLEMENS: Ja, auch wenn die Konsequenzen etwas komplexer sind. Das haben wir mit unserer eigenen Strategie, Wettbewerber in ein Rechenzentrum zu holen, erlebt. Jeder wollte uns in den Verhandlungen reglementieren, wen wir nicht mehr reinlassen dürfen, wenn er in unser RZ geht. Das haben wir alles abgelehnt, denn in der digitalen Welt entstehen komplett andere Kundenschnittstellen.

Nehmen Sie nur das Smartphone - wer das Handy als Kundenschnittstelle nicht beherrscht, der wird verlieren. Über das Smartphone werden ganze Verkaufsprozesse laufen - und nicht über die Zeitung oder irgendein anders Medium. Und viele Unternehmen werden - ob sie wollen oder nicht - künftig Kundenkontakt haben. Ein Waschmaschinenproduzent zum Beispiel kannte früher die Nutzer seiner Produkte nicht. Will er jetzt auch Waschmittel per One-Click-Shopping anbieten, hat er plötzlich eine Kundenschnittstelle.

Das ist dann für den Produzenten nicht nur ein neues Geschäftsmodell. Die Schnittstelle eröffnet ihm auch neue Chancen, denn er kann sofort reagieren und den Kunden direkt adressieren, wenn die Maschine kaputt geht und nicht mehr zu reparieren ist. Das passiert dann alles, bevor der Kunde ins Internet anfängt, nach einem neuen Gerät zu suchen.

CW: Womit wir beim Stichwort Predictive Maintenance wären?

CLEMENS: Ja. Predictive Maintenance, aber fast noch wichtiger ist, das Unternehmen kann aktiv werden und behält Kontrollpunkte beim Kunden. Es verliert den Kunden nicht ans Internet. Deshalb überlegen Gerätehersteller, mit der Waschmaschine auch das Waschmittel oder mit dem Staubsauger auch den passenden Beutel direkt über die Schnittstelle zum Kunden zu vertreiben.

CW: Sie haben Ihren Cloud-Umsatz um 24 Prozent im letzten Halbjahr gesteigert - eine AWS allein im 2. Quartal 59 Prozent. Ist T-Systems hier der David, der gegen Goliath kämpft?

CLEMENS: Die Zahlen stimmen. Wir müssen schneller wachsen, da gibt's nichts zu diskutieren. Viele unserer Cloud-Produkte laufen erst jetzt an. Wir haben Huawei, Microsoft, Cisco oder VMware als Partner. Für mich ist die Größe einer AWS nicht das Problem. Ich fokussiere mich auf die Frage, wie ich das Produkt erhalte, das zu 100 Prozent die Kundenanforderungen deckt. So hatte eine Open Telekom Cloud bereits nach zwei Monaten 120 Kunden. Meine Intention ist jetzt nicht, für die Partner Infrastruktur zu betreiben. Vielmehr wollen wir einen Service für die Anwender offerieren, an dem alle Beteiligten mit einem Revenuesharing-Modell partizipieren.

CW: Gilt das Revenuesharing nur für Huawei oder auch andere?

CLEMENS: Das gilt auch für die anderen Partner - zwar immer etwas unterschiedlich und mit anderen Ausprägungen. Wir erhalten immer einen Anteil vom Umsatz.

CW: Sie sprachen von 120 OTC-Kunden, welche Unternehmen sind das?

CLEMENS: Das sind Konzerne dabei, aber auch ganz kleine Unternehmen für die schlicht der Preis OK ist. Und das, obwohl wir im Augenblick nur die nackte Infrastruktur anbieten. Wir fangen jetzt an, Services aufzusetzen.

CW: Und wie sieht die Roadmap dazu aus?

CLEMENS: Eine Idee ist ein IoT-Standard-Sensor-Packet. Den Sensor mit seinen Funktionen können Sie überall mit etwas Klebstoff anbringen. Etwa, wenn sie einen Elektromotor überwachen wollen, um zu kontrollieren, ob die Welle Vibrationsprobleme hat. Mit Batterie läuft der Sensor fünf Jahre und ist preislich attraktiv. Die Daten laufen alle in die Cloud und dort haben sie eine Schnittstelle, um die Daten auch auslesen zu können.

Hinzu kommen Services wie Predictive Maintenance etc. Sie werden vieles von uns sehen, was auf der Grundidee basiert, Analytics mit der Intelligenz von Sensoren zu kombinieren. Ich will mit standarisierten einfachen Komponenten anfangen und nicht dieses komplexe Ökosystem für die integrierte Fabrik bauen. Das Ganze beginnt mit einfachen, billig herzustellenden Sensoren, die dank integrierter Batterie keinerlei Verkabelung brauchen und keine TÜV-Abnahme benötigen. Und mit Narrowband, das im nächsten Jahr in Betrieb geht, wird die Idee noch weiter befeuert. Denn mit Narrowband kommen sie sechs Etagen tief in die Tiefgarage und haben keine Probleme mehr, einen Fahrstuhl oder Keller auszuleuchten.

CW: Und das könnte konkret bedeuten?

CLEMENS: Dass sich etwa die Idee intelligenter Parkplätze in den Städten sehr schnell und günstig realisieren lässt. So bekommen Sie ein komplettes Bild über die freien Parkplätze und zeigen dies auf dem Schirm im Auto oder auf dem Handy an. Derart vernetzt könnten Sie auch gleich online bezahlen - der Gang zum Parkautomaten und der Parkschein auf dem Armaturenbrett hätten sich erledigt. Und Städte wie Hamburg bräuchten keine 800 Leute mehr, um Tickets für Parksünder zu verteilen.

Bei solchen IoT-Szenarien ist die Realtime-Fähigkeit der Daten entscheidend. Deshalb glaube ich an zentrale Speicherorte für Massendaten, zumal es überhaupt keinen Sinn macht, wenn etwa VW, BMW, Mercedes und Co. alle eigene Lösungen bauen. Es wird bei solchen Themen einen Infrastruktur-Player geben.