Coronavirus

Covid-19 und die rechtlichen Folgen für IT-Unternehmen

27.02.2020
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Dr. Michael Rath ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologie-Recht und Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln. Zudem ist er Certified ISO/IEC 27001 Lead Auditor. Seine Beratungsschwerpunkte sind das IT-Recht, Datenschutzrecht und der Gewerbliche Rechtsschutz. Dr. Michael Rath ist u.a. Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik e.V. (DGRI) und akkreditierter Schlichter für IT-Streitigkeiten bei der Schlichtungsstelle der DGRI.
Thomas Weidlich ist Rechtsanwalt bei Luther Rechtsanwaltgesellschaft. Er berät bei nationalen und internationalen Unternehmenskäufen und -verkäufen, Joint Ventures sowie bei der Restrukturierung von Unternehmen.Herr Weidlich ist zudem erster Kontakt für asiatische Unternehmen mit Investitionen und Geschäftsaktivitäten in Deutschland und Europa.
Daniel Lehmann ist Rechtsanwalt bei Luther Rechtsanwalts­gesellschaft mbH. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Münster und absolvierte im Studium unter anderem eine Ausbildungsstation in einer Kanzlei in Los Angeles. Nach dem ersten Staatsexamen arbeitete er in der Rechtsabteilung eines mittelständischen IT-Beratungsunternehmens. Während des Referendariats arbeitete Herr Lehmann unter anderem in der IT-Abteilung der BaFin sowie im IT/IP-Team einer internationalen Wirtschaftskanzlei. 2017 legte er erfolgreich das zweite Staatsexamen ab.
IT-Unternehmen sind aufgrund ihres Vernetzungsgrads besonders anfällig für Auswirkungen des Coronavirus. Wir fassen zusammen, was Sie in Sachen Covid-19 wissen, beachten und bedenken sollten.

Das Coronavirus, das auch unter der Bezeichnung Covid-19 bekannt ist und mittlerweile offiziell von der WHO "SARS-COV-2" genannt wird, hat trotz aller Quarantäne- und Eindämmungsmaßnahmen mittlerweile Europa erreicht. Am 31. Dezember wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehrere 10.000 Menschen nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag.

Große IT-Konzerne berichten bereits von massiven Auswirkungen. Auch deutsche IT-Unternehmen sollten sich rechtlich möglichst umfassend auf die Auswirkungen des Coronavirus einstellen und absichern.
Große IT-Konzerne berichten bereits von massiven Auswirkungen. Auch deutsche IT-Unternehmen sollten sich rechtlich möglichst umfassend auf die Auswirkungen des Coronavirus einstellen und absichern.
Foto: Soni's - shutterstock.com


Insbesondere IT-Unternehmen sind aufgrund ihrer inhärenten globalen Vernetzung gut beraten, sich präventiv mit möglichen rechtlichen Auswirkungen zu beschäftigen. Dies zeigt sich allen voran am Beispiel von globalen IT-Playern: Apple musste aufgrund von nationalen chinesischen Gesetzen zeitweise Fabriken schließen und Apples Vertriebspartner mussten mit beschränkten Öffnungszeiten operieren. Der Hersteller hatte bereits in der vergangenen Woche erklärt, wegen des Coronavirus seine Umsatzziele im laufenden Quartal nicht erreichen zu können. Nun berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insiderkreise, dass der Zeitplan für das neue iPhone durcheinandergeraten könnte. Wegen Reisebeschränkungen nach China könnten Apple-Experten derzeit nicht wie geplant an der neuen Generation des Smartphones arbeiten, sagten ehemalige Mitarbeiter und Supply-Chain-Experten. In den ersten Monaten des Jahres vor dem großen Produktionsstart im Sommer würden in China bei Zulieferern wie Foxconn die Montageprozesse für die neuen Modelle festgelegt und letzte Fehler ausgebügelt, so zwei ehemalige Apple-Mitarbeiter. Obwohl Apple auch mit anderen Herstellern wie Wistron zusammenarbeitet, werde die Einführung neuer Geräte generell bei Foxconn gehandhabt, weil das Unternehmen am fortschrittlichsten sei.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Krankheitswelle sind erheblich. Auch Microsoft wird nach eigenen Angaben seine bisherige Umsatzerwartung für das laufende Quartal nicht einhalten können. Das Geschäft mit der Windows-Software sowie den Surface-Computern sei von der Epidemie stärker betroffen als zunächst erwartet, teilte der US-Technologiekonzern am Mittwoch mit. Bei Windows entspreche die Nachfrage zwar den Erwartungen, doch dauere die Rückkehr zu "normalen" Abläufen in den Lieferketten länger als vorhergesehen. Die damit verbundenen Gefahren betreffen spätestens jetzt auch die europäischen Unternehmen. Man geht mittlerweile davon aus, dass wir an der Schwelle zur Pandemie stehen.·

Coronavirus - mögliche rechtliche Auswirkungen

Ebenso wie der Mensch unterschiedliche Symptome als Reaktion auf eine Covid-19-Infektion entwickeln kann, können auch unterschiedliche Bereiche eines IT-Unternehmens von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen sein. Und zwar sowohl im eigenen Betrieb (z.B. Erkrankung der Belegschaft) als auch hinsichtlich externer Faktoren (Erkrankung bei Zulieferern, Engpässe am Ziel- oder Versorgungsmarkt etc.).
Es lohnt sich daher, diejenigen Aspekte und Unternehmensbereiche zu identifizieren, die typischerweise von den Auswirkungen einer solchen Epidemie betroffen sein können. Nur so lässt sich ein Ansatz für eine Präventions- und Deeskalationsstrategie konzipieren. Folgende Auswirkungsbereiche sind typischerweise denkbar, die in den nachfolgenden Absätzen weiter ausgeführt werden:

  • Auswirkungen im eigenen (deutschen / europäischen) Unternehmen;

  • Auswirkungen bei eigenen Niederlassungen, Filialen etc. in China;

  • Auswirkungen bei Dritten (z.B. Lieferanten), die sich mittelbar auf das eigene Unternehmen auswirken.

Covid-19 - Folgen für deutsche und europäische Unternehmen

Hier sind zuvorderst unmittelbare (einzelne) Erkrankungen in der eigenen Belegschaft denkbar. Beispielsweise bei global agierenden IT-Dienstleistern, die sich im Rahmen einer Entsendung zum Kunden in China (insbesondere Wuhan) infiziert haben. Ist ein solches Szenario in Ihrem Unternehmen möglich, sollten insbesondere folgende Präventions- und Deeskalationsmechanismen existieren:

  • interne (im Unternehmen) und externe (zu lokalen und Gesundheitsbehörden) Meldewege;

  • vorhandenes qualifiziertes Ersatzpersonal (bspw. wenn im Rahmen agiler Entwicklung bestimmte Qualitätsanforderungen an eingesetztes Personal vereinbart wurden);

  • HR-Maßnahmen zur Fürsorge für die betroffenen Mitarbeiter (Vergütungsregelung bei Boni, ggf. zusätzliche Alimentierung für die Betroffenen und ggf. Angehörigen), vor allem: Reaktion auf etwaige Quarantäneauflagen.

Je nach eigenem Gefährdungsgrad des Unternehmens muss auch ein möglicher "worst case" gedanklich exerziert werden: Was ist zu tun, wenn ganze Belegschaftsteile betroffen sind (z.B. grassierende Infektionszahlen in der Entwicklungsabteilung)? Grundsätzlich sind die bereits vorgenannten Maßnahmen zu treffen. Darüber hinaus muss es Notfallpläne für die Kompensation von Produktions- und Dienstleistungsengpässen geben. Rechtlich muss ein Überblick über die bestehenden vertraglichen Pflichten vorhanden sein, deren Nicht-, Schlecht- oder Späterfüllung droht. Zu prüfen sind insbesondere:

  • Fristen, denen die eigene Leistung unterliegt (insb. Wartungslevel und Reaktionszeiten in SLA);

  • Kenntnis etwaiger Vertragsstrafen;

  • Evaluierung möglicher "Reißleinen" (Störung der Geschäftsgrundlage, Force Majeure, außerordentliche Kündigung).

SARS-CoV-2 - Auswirkungen auf Niederlassungen in China

Zunächst muss sich das Unternehmen auch bei Auswirkungen in Auslandsniederlassungen Gedanken zur Reaktion auf Erkrankungen in der eigenen Belegschaft sowie zur Übersicht über die eigenen Verpflichtungen machen. Hinzu treten Besonderheiten des chinesischen Rechtsraums. Es ist elementar, auch in der deutschen/europäischen Zentrale einen Überblick über die rechtliche Situation in den betroffenen chinesischen Gebieten vorzuhalten, in denen das Unternehmen eigene Standorte besitzt.

In China sind binnen kürzester Zeit seit Entdeckung des Coronavirus dutzende nationale und provinzbezogene, behördliche und gesetzliche Regelungen erlassen worden, deren Beachtung verbindlich ist. Diese Regelungen reichen von der gesetzlichen Verlängerung von Feiertagen, über die Zahlung von "Quarantänegeld" bis hin zu staatlichen Subventionen von stark betroffenen Betrieben in Ausnahmefällen. Klarheit über die Regelwerke, die auf das eigene Unternehmen Anwendung finden, kann hier nur rechts- und lokalkundige Beratung ermöglichen.

Coronavirus - Auswirkungen bei Dritten (z.B. Lieferanten)

Auch die mittelbaren Gefahren von SARS-CoV-2 für das eigene Unternehmen, die durch Auswirkungen bei Dritten wie Lieferanten, Kooperationspartnern und Absatzpartnern drohen, müssen analysiert werden. Zwar spielen hier Überlegungen hinsichtlich der Konsequenzen bei Erkrankung der dortigen Belegschaft (abgesehen von einer Ansteckungsgefahr der eigenen Belegschaft) nur eine untergeordnete Rolle. Das Vertragsmanagement ist allerdings auch hier - ebenso wie bei Auswirkungen im eigenen Betrieb - von entscheidender Bedeutung. Die oben aufgeführten Überlegungen zu den vertraglichen Konsequenzen von Produktions- und Personalausfall, Nichterfüllung von SLAs, Zahlung etwaiger Vertragsstrafen etc. müssen in diesem Fall spiegelbildlich angestrengt werden. Hier aus Sicht des eigenen Unternehmens als Gläubiger.

Hinzu kommt nach Möglichkeit Kenntnis und Übersicht über alternative Dienstleister beziehungsweise Zulieferer, deren Kosten sich möglicherweise über den Schadensersatzanspruch statt der (ganzen/teilweisen) Leistung "wiedergeholt" werden können. Im Falle von Werkverträgen (z.B. Vertrag zur Programmierung von Individualsoftware, EVB-IT Systemverträge etc.) sollten die Möglichkeiten der Eigen- beziehungsweise Ersatzvornahme evaluiert werden. Ist es dem Unternehmen praktisch möglich, kann es unter Umständen bei Coronavirus-bedingten Leistungsausfällen des Vertragspartners die geschuldete Programmier-, Hardwareerstellungs- oder sonstige Leistung selber vornehmen (bzw. durch Dritte vornehmen lassen) und die hierfür entstandenen Auswirkungen vom Vertragspartner ersetzt verlangen.

Covid-19 - Übergreifende rechtliche Erwägungen

Allen voranstehenden Ausführungen zu den rechtlichen Erwägungen in Zusammenhang mit dem Coronavirus ist gemein, dass stets zuerst die Frage des anwendbaren Rechts - insbesondere deutsches gegenüber chinesischem - geklärt werden muss. Regelmäßig findet sich hierzu in den Schlussbestimmungen eines Vertrages oder in den Allgemeinen Geschäfts- oder Einkaufsbedingungen ein entsprechender Passus. Fehlt eine solche Klausel zum anwendbaren Recht, kommt das juristisch komplizierte wie jedoch auch differenzierte Internationale Privatrecht zur Anwendung.

Im Schulterschluss mit dieser Frage sollte zugleich geprüft werden, welcher Gerichtsstand im Falle eines Rechtsstreits Anwendung findet - oder ob vielleicht eine Schiedsgerichtsklausel vorhanden ist. Das Wissen um diese Frage hat konkrete Auswirkungen auf die realen Vollstreckungschancen. Der großzügigste und am teuersten erstrittene Urteilstenor bringt dem Unternehmen nur wenig, wenn die praktische (Zwangs-)Vollstreckung vor Ort praktisch aussichtslos ist.

Coronavirus - höhere Gewalt?

Force Majeure bedeutet "Höhere Gewalt". Diese Art von Klauseln, die insbesondere in internationalen IT-Verträgen (vor allem Server-, Hosting und ähnliche Verträge) standardmäßig verwendet wird, führt meist ein stiefmütterliches Dasein und kommt selten zur Anwendung. Ein solcher ausnahmsweise bestehender Anwendungsfall kann aber das Vorliegen einer Epidemie sein. Allgemein gilt, das Ereignis muss:

  1. nach Abschluss des Vertrages,

  2. aber vor dem vertraglichen Erfüllungszeitpunkt (Lieferung, Fertigstellungstermin) eingetreten sein und

  3. noch anhalten.

Der Vertrag selbst muss also vor dem Eintritt höherer Gewalt geschlossen worden sein, sonst war das Ereignis ja nicht "unvorhersehbar". Ob und wie lange sich der leistungspflichtige Vertragspartner dann wirklich auf höhere Gewalt oder "Unmöglichkeit" (bzw. Änderung der objektiven Umstände) berufen kann, ohne schadensersatzpflichtig zu werden, hängt noch von weiteren Umständen ab, z.B. ob es sich um eine Spezialanfertigung handelt oder einfache Handelsware, für die auch anderweitig Ersatz beschafft werden kann.

Insbesondere im Falle von Software, selbst individual angefertigter Software, dürfte es aufgrund der theoretisch endlos vorhandenen Grundressourcen (Know-How, Programmiersprache etc.) deutlich schwieriger sein, für das Vorliegen von Unmöglichkeit zu argumentieren als bei physischen Produkten. Die "Haftungsbefreiung" bezieht sich im Übrigen nur auf die Pflicht, Schadensersatz zu leisten oder eine Vertragsstrafe zu zahlen. Die Pflicht zur Erfüllung der Primärschuld, z.B. Lieferung von Waren, fällt damit nicht automatisch weg. Ob der Schuldner berechtigt ist, unter Berufung auf die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung zu verlangen, hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Falls ab.

So individuell wie der Krankheitsverlauf eines mit Covid-19 infizierten Patienten ist, ist auch das Schutz- und Maßnahmenbedürfnis von Unternehmen, dessen Mitarbeiter unmittelbar oder Betrieb mittelbar von den Auswirkungen von SARS-CoV-2 betroffen ist. Eine wirksame Strategie kann hier nur bei Kenntnis der Vertriebswege und Vertragswerke erarbeitet werden. Hier sollten sich Unternehmensführungen eng mit ihren Rechtsabteilungen und - bei Bedarf angesichts komplizierter globaler Sachverhalte - mit externen Beratern abstimmen.

Eine Zusammenstellung der wichtigsten Gesetze, Erlasse und Dekrete in Sachen Coronavirus finden Sie außerdem unter diesem Link.