Internet der Dinge

Wie zündet man die nächste IoT-Stufe?

05.08.2020
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

IoT nimmt in Deutschland weiter Fahrt auf. Selbst COVID-19 konnte den Trend zum Internet der Dinge nicht bremsen. Doch der Weg vom einzelnen Projekt zum umfassenden Geschäftsmodell wirft Herausforderungen auf.
Next Level please: Obwohl IoT weiter Fahrt aufnimmt, stellt der Weg vom einzelnen Projekt zum umfassenden Geschäftsmodell Unternehmen immer noch vor Herausforderungen.
Next Level please: Obwohl IoT weiter Fahrt aufnimmt, stellt der Weg vom einzelnen Projekt zum umfassenden Geschäftsmodell Unternehmen immer noch vor Herausforderungen.
Foto: lassedesignen - shutterstock.com

Hat die Pandemie der weiteren Verbreitung des Internet of Things (IoT) in Deutschland signifikant geschadet oder nicht? Auf diese Frage gaben Branchenexperten im Rahmen eines Roundtables der COMPUTERWOCHE eine eindeutige Antwort: Nein. Zwar haben Lockdown und Kurzarbeit vielfach die Realisierung von Projekten vorübergehend auf Eis gelegt, aber neben den Basistechnologien Machine Learning und Künstliche Intelligenz spielt IoT in der Digitalisierungs-Roadmap der meisten Unternehmen offensichtlich eine inzwischen unverzichtbare Rolle.

Der Grund ist naheliegend: Während in den zurückliegenden Jahren hauptsächlich die neuen Möglichkeiten der Vernetzung von Produktionsanlagen und Produkten mittels Sensorik in Form erster Prototypen oder auf Projektbasis evaluiert wurden, müssen jetzt in einer zweiten Phase innovative und skalierbare Geschäftsmodelle folgen. Und diese sind für die meisten Unternehmen essenziell. Es geht um Kostenvorteile und einmal mehr um den entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Einschlägigen Studien - auch von COMPUTERWOCHE - zufolge verfolgen mehr als zwei Drittel aller Unternehmen aktiv eine IoT-Strategie und sehen das Internet der Dinge als Grundlage neuer vernetzter Produkte und künftiger datenbasierter Geschäftsprozesse.

Digitalisierungs-Katalysator COVID-19

Dass COVID-19 eher noch als Katalysator denn als bremsender Faktor wahrgenommen wurde, unterstreicht auch Alwin Schauer, Senior Vice President DACH bei der Software AG: "Die vergangenen Monate haben gezeigt, wer in den Unternehmen die Digitalisierung am meisten vorangetrieben hat. War es der CIO? War es der CDO? Oder war es COVID-19? So wie sich die Menschen allgemein der Digitalisierung geöffnet und ihre kritische Distanz gegenüber neuen Technologien überwunden haben, wird uns dies zum Beispiel auch im Kontext der Smart Factory helfen. Denn auch in vielen IoT-Szenarien geht es entscheidend um die Bereitschaft der Mitarbeiter, die neuen Anwendungen und Prozesse anzunehmen."

Es stellt sich somit nicht mehr die Frage der technischen Machbarkeit und Sinnhaftigkeit von IoT im Unternehmenseinsatz, sondern danach, ob und wie sich digitale IoT-Plattformen als ernst zu nehmende Geschäftsmodelle entwickeln. Auch Ralph Schneider-Maul, Leiter Center of Excellence für Digital Manufacturing bei Capgemini, sieht die aktuelle Marktentwicklung grundsätzlich positiv: "Im Produktionsumfeld hat COVID-19 schon deutliche Bremsspuren hinterlassen. Wo Fabriken geschlossen waren oder jetzt immer noch Kurzarbeit stattfindet, finden Sie keine Mitarbeiter, mit denen Sie IoT-Projekte realisieren können. Aber: Wir sehen lediglich eine Implementierungspause, keinen grundsätzlichen Stopp."

Allerdings sind die Interpretationen von IoT und die Herangehensweisen in den einzelnen Branchen nach wie vor unterschiedlich. Während im hiesigen produzierenden Gewerbe einerseits viele IoT-Initiativen schon erfolgreich begonnen wurden, gleichzeitig aber unverändert Skepsis gegenüber einer grundlegenden Transformation vorherrscht, sind andere Industriezweige in Sachen IoT-Geschäftsmodelle schon weiter fortgeschritten.

Im Baumarkt erhältliche Smart-Home-Lösungen, die Tracking-App für das teure E-Bike, Smart City als reales Konzept für die Planung neuer Wohn- und Arbeitswelten - sowohl im B2C- als B2B-Sektor geht die Post ab. Nicht zu vergessen die Assekuranz, wo sich der Versicherungsnehmer im Rahmen sogenannter "Car-Telematic"-Policen bereit erklärt, dass mittels Sensoren in seinem Kfz eine Reihe von Geschwindigkeits- und Beschleunigungsdaten an den Versicherer gesendet werden, der daraus eine Bewertung der Fahrweise und damit des Risikogehalts ableiten kann. All diesen Szenarien liegt eines zugrunde: Reine Technologieaspekte wie Sensorik, Machine Learning oder IT-Security dienen nur dem eigentlichen Zweck - nämlich neue, datenbasierte Geschäftsmodelle zu generieren.

Studie "IoT 2021": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Internet of Things führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) Herr René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Herr Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur Internet-of-Things-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Die große "As-a-Service"-Zurückhaltung

Doch zurück zum Anlagen- und Maschinenbau, dem Rückgrat der deutschen Industrielandschaft: Auch hier spürt man einerseits eine stark gestiegene Nachfrage der Kunden nach vernetzten Produkten und digitalen Lösungen. Andererseits herrscht, wie erwähnt, große Unsicherheit mit Blick auf das technisch Machbare. Wenn mittels IoT-Sensorik und Machine Learning bei ganzen Fertigungsstraßen oder einzelnen Maschinen verbrauchsabhängige Mietmodelle möglich sind, kannibalisiert dieses "As-a-Service"-Geschäft den bisherigen traditionellen Verkauf. Vielen Herstellern fällt es bis dato aber nicht leicht, Bewährtes infrage zu stellen und sich zumindest zum Teil neu zu erfinden.

Dennoch: Viele IoT-Anwendungsszenarien wurden auch dort in Angriff genommen, etwa im Bereich Predictive Maintenance sowie mit interaktiven Dashboards zur Überwachung und Steuerung von Produktionsanlagen. Nicht immer waren diese Anfänge von Erfolg gekrönt. Oft fehlte es dabei, so Experten, nicht nur an der Bereitschaft zum Wandel, sondern auch an der nötigen Digitalkompetenz auf den entscheidenden Ebenen. Einer der wesentlichen Ursachen dürfte sein, dass sich in dieser Branche immer noch zwei Welten begegnen: zum einen die klassische IT mit ihren Hardware-, Software- und Netzwerkkomponenten, zum anderen die Operations Technology (OT), die bis dato fast ausnahmslos in einem in sich geschlossenen Ökosystem ohne Anbindung ans Internet arbeitet.

Sowohl die Automatisierungsspezialisten als auch die klassischen IT-Anbieter haben dieses Manko längst erkannt und offerieren entsprechende IoT-Services aus der Cloud. Die Lösungen reichen von reiner Rechenleistung über IT-Infrastruktur bis hin zu vollständigen IoT-Plattformen. Letztere treten im Markt unter eigenen Labels wie Ability, Adamos oder Axoom auf, nutzen zum Teil die Infrastructure-as-a-Service (IaaS)-Angebote der großen Hyperscaler und "veredeln" diese dann mit eigenen Mehrwertdiensten. Dazu gehören Analyse-Tools, mit denen sich sämtliche Prozess- und Produktionsdaten synchron zum Maschinenzyklus aufzeichnen lassen, oder Machine-Learning-Algorithmen und KI-Funktionalitäten für umfassende Predictive-Maintenance-Szenarien.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'Internet of Things 2021'

Die vorausschauende Wartung ist ohnehin die derzeit gängigste IoT-Anwendung im Produktionsumfeld, da sich hier, so der Tenor von Experten, der Nutzen der digitalen Fertigung am konkretesten darstellen lässt. Doch Vincent Ohana, Geschäftsführer Concept Reply, warnt vor der Annahme, dass branchenspezifische Ansätze dieser Art der Digitalfabrik von morgen schon zum Durchbruch verhelfen können: "Allianzen und gemeinsame Plattformen wie beispielsweise ,Adamos' im Maschinenbau bewerte ich skeptisch, da im Zweifel jeder Hersteller über ein eigenes proprietäres Betriebssystem und eigene Hardware verfügt. Solange es hier keine Interoperabilität gibt, kann ein solcher Ansatz nur einfache Use Cases bedienen. Wir sind noch sehr weit weg von einer ,One-size-fits-all'-Lösung."

Unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg diverser Plattformansätze im Maschinenbau monieren Kritiker auch den noch fehlenden grundlegenden digitalen Mindset dieser Branche. Neben der Bereitschaft, das tradierte Produktgeschäft infrage zu stellen, fehle es häufig an konkreten Projektvisionen, die die künftigen Nutznießer einer IoT-Lösung, also Mitarbeiter und Kunden, im Fokus hätten. Gleichzeitig komme es im Wirrwarr von Kompetenzstreitigkeiten zwischen IT und OT häufig zu einer falschen Plattformwahl und zu nicht ausreichender Beachtung einer vorab notwendigen Datenstandardisierung.

Kurzatmige Anwender und Anbieter

Hinzu kommt oft die Wurzel allen Übels bei gescheiterten IoT-Projekten: ein fehlender langer Atem. Thomas Kanzler, Head of Digital Services bei A1 Digital, stellt nicht ohne Grund fest: "Strategische IoT-Projekte verdienen eine sehr langfristige Perspektive. Das Problem ist, dass Anwender wie Anbieter dafür oft nicht die nötige Geduld mitbringen. Mir fällt auch auf, dass der Erfolg von IoT-Lösungen und Geschäftsmodellen maßgeblich davon abhängt, wie sich das Top-Management von Unternehmen zusammensetzt. Es ist hier von großem Unterschied, ob die Firma inhabergeführt ist oder angestellte Manager das Sagen haben."

Frank Föge, Country Manager Deutschland & Austria bei Zuora, wirbt unter einem etwas anderen Blickwinkel ebenfalls für Geduld und vor allen Dingen für ein strategisches Vorgehen: "Um IoT in einem Maschinenbauunternehmen einzuführen, mit der Zielsetzung das Geschäftsmodell größtenteils auf ,as-a-Service' umzustellen, bedarf es eines soliden Change-Management-Prozesses. Man muss vor allen Dingen den Vertrieb mitnehmen und ihn frühzeitig in die neue Strategie einbinden. Wir haben Kunden, die sind ein Jahr lang in die falsche Richtung gelaufen und haben durch die Möglichkeit der Iteration und des Verprobens dann den richtigen Weg eingeschlagen und erfolgreich IoT-Anwendungen implementiert."

Spannend sind indes nicht nur die Business-Perspektiven des Internet of Things, sondern auch die Herausforderungen, die sich hier den IT-Organisationen in Unternehmen grundsätzlich stellen. Dabei geht es nicht nur wie in der Fertigungsindustrie um die Verschmelzung von klassischer IT mit der OT, sondern allgemein um eine leistungsfähige IT-Infrastruktur. Denn bei der Entwicklung nachhaltiger IoT-Produkte und -Geschäftsmodelle spielt Technologie einmal mehr die entscheidende Rolle. Sie muss da sein und als "Commodity" funktionieren. Connectivity auf 5G-Basis und Edge Computing werden gewissermaßen vorausgesetzt. Und was noch viel entscheidender ist: Big Data wird spätestens jetzt von der Vision zur Realität.

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"IoT ist längst keine Rocket Science mehr"

Wer also Themen wie Data Management, Data Governance oder die Klassifizierung von Daten vernachlässigt hat, verschafft sich riesige Probleme. Wer keine fundierte Cloud-First-Strategie implementiert hat, steht ohne ausbalancierte Infrastruktur für größere IoT-Szenarien da. Alwin Schauer bringt es auf den Punkt: "IoT ist längst keine Rocket Science mehr. In vielen Serviceprojekten sind heutzutage von Beginn an entsprechende Use Cases implementiert. Und man sollte IoT nach Möglichkeit unter einem ganzheitlichen Ansatz sehen - als eine Kombination aus Vernetzung, Machine Learning und künstlicher Intelligenz. Insbesondere in der Anfangszeit von IoT sind viele Projekte deshalb gescheitert, weil der Use Case zu isoliert definiert wurde und sich dadurch das ganze Anwendungsszenario letzten Endes nicht gerechnet hat."

Auch im klassischen Maschinenbau ist für Capgemini-Manager Schneider-Maul die Zeit des Überlegens, Abwartens und Pilotierens vorbei: "Dort, wo jetzt infolge der Pandemie keine Lösungen implementiert werden, findet häufig eine nochmalige Überprüfung der Strategie statt. Stimmt die Plattformwahl, haben wir die richtigen Use Cases definiert? Auch das Thema Resilienz steht jetzt ganz oben auf der Agenda. Man stellt also alles noch einmal auf den Prüfstand, weil man dann, wenn die Krise vorbei ist und das Geschäft wieder anzieht, durchstarten möchte." Aber: "Fast Failure und damit die Zeit des Experimentierens ist in der Fertigungsindustrie vorbei. Man hat in einigen Projekten, die gescheitert sind, viel Lehrgeld bezahlt. Jetzt geht es um den Return on Investment und die Skalierung der erfolgreichen Leuchtturmprojekte." (mb)