Virtuosität in agilen Teams

Was kommt nach der Agilität?

27.11.2019
Von 
Andreas Slogar ist Autor des laCoCa-Modells für agile Organisationen, lacoca.org, des Buches "Die agile Organisation", Hanser Verlag und Gründer des BlueTukser.com- Expertise-Netzwerks.
Der Trend, agile Methoden für andere Organisationsformen zu adaptieren, ist sichtbar. Ob damit aber wirklich ein Nutzen gestiftet wird, ist fraglich.
  • Die Methoden sollen das in einer digitalen Welt unwirksame, sequenzielle Denkmodell des Taylorismus ersetzen.
  • Der Wechsel zwischen Methodenhype und Methodenkater ernährt weltweit Heerscharen von Beratern, Coaches und Trainern.
  • Sieht man sich sogenannte Frameworks wie LeSS oder SAFe an, wird man den Eindruck nicht los, dass Prozessketten gegen Methodenketten ausgetauscht wurden.

Agile Formen der Kollaboration in Teams und erste Konzepte zu Kooperationsstrukturen ganzer Organisationen setzen sich aktuell weltweit durch. Dabei gibt es kein allgemeines Verständnis darüber, was "agil sein" eigentlich genau ist. Deshalb überrascht es, dass bereits jetzt die Diskussion darüber entflammt, was auf die Agilität folgt. Das erweckt den Anschein, als sei das Thema ein langweiliger Gemeinplatz und so überholt wie die Zeitung von gestern.

Trotz des Hypes um agile Methoden muss die Frage erlaubt sein: Führen die Erfindung und Nutzung von Methoden wirklich zu agiler Kollaboration, die Kreativität und Talente fördern?
Trotz des Hypes um agile Methoden muss die Frage erlaubt sein: Führen die Erfindung und Nutzung von Methoden wirklich zu agiler Kollaboration, die Kreativität und Talente fördern?
Foto: Olivier Le Moal - shutterstock.com

Ist das der Zeitgeist oder Kammerflimmern? Hier also ein Versuch, diese Frage durch ein Abrücken von der Grundlage der Agilität sowie einen Perspektivwechsel zu beantworten.

Grundlage: Methoden für agile Kollaboration

Die ersten Ideen und Ansätze agiler Zusammenarbeit von Menschen in Unternehmen haben sich zu einem Trend verstetigt. Seitdem drehen sich die Überlegungen überwiegend um die Begrifflichkeit der Methode und entwickelte sich eine enorme Methodenvielfalt. Sie soll es zusammenarbeitenden Menschen erleichtern, mit den Wirkmechanismen einer komplexen Umwelt zurechtzukommen. Zum Beispiel entstand Design Thinking, um kreative Collaboration-Prozesse zu fördern. Scrum wiederum hat die Funktion, Software entlang sich verändernder oder sich erst schrittweise ergebender Anforderungen zu entwickeln. Und Werkzeuge wie die Customer Journey Map oder Kanban wurden in immer neuen Kontexten eingesetzt, um sich verändernden Markteinflüssen und Kundenbedürfnissen anzupassen. Sie alle werden erfolgreich genutzt und in ihrer Wirkung gefeiert.

Die Methodensammlungen wurden im Lauf der Zeit immer anspruchsvoller und ausgefeilter. Die Methoden sollen das in einer digitalen Welt unwirksame, sequenzielle Denkmodell des Taylorismus ersetzen. Marktdynamik und Komplexität der Umwelt sollen so beherrschbar werden.

Sieht man sich sogenannte Frameworks wie LeSS oder SAFe an, wird man den Eindruck nicht los, dass Prozessketten gegen Methodenketten ausgetauscht wurden. Aber nach wie vor ist ein vorgegebenes Gerüst sequenzieller Strukturen zu befolgen. Es stellen sich also die Fragen:

• Wurde letztlich doch nur wieder mehr vom Gleichen geschaffen?

• Führen die Erfindung und Nutzung von Methoden wirklich zu agiler Kollaboration, die Kreativität und Talente fördern?

• Werden Menschen in Unternehmen so wirklich dazu angespornt, ihre Fähigkeiten besser zu nutzen und zu fördern?

Zustand: Macht der Gewohnheit

Beobachtet man Menschen in Organisationen, wie sie sich mit der Anwendung von Methoden für agile Zusammenarbeit auseinandersetzen, ist Folgendes häufig feststellbar:

• Die angewendeten Denkmodelle und Vorgehensweisen bauen auf der Sozialisierung der handelnden Personen und den etablierten Verhaltensweisen auf.

Wird beispielsweise eine Methode für agiles Projektvorgehen eingeführt, ist oft folgendes Phänomen erkennbar: Obwohl die Selbstorganisation von Mitarbeitern in Teams betont werden soll, verbleibt die Entscheidungsautorität oft in der tayloristisch geprägten Führungshierarchie. Der Widerspruch zwischen Absicht und Realität ist bei dieser Konfiguration sichtbar. Wenn neuartige Kollaborationskonzepte verwendet werden, ohne auch die dafür notwendigen und ebenfalls neuartigen Denk-, Verhaltens- und Kommunikationsmodelle zu verwenden, füllen vertraute Gewohnheiten unbemerkt entstehende Lücken.

Bei diesem Vorgehen ist zwar augenfällig, dass sich eine (positive) Veränderung in der Kollaborationsqualität der Mitglieder dieser Teams eingestellt hat. Wird auch die notwendige Veränderung erreicht? Welcher Zielzustand soll eigentlich geschaffen werden? Woran erkennt man, dass nicht unter einem agilen Denkmantel die alten Vorgehensmuster und Gewohnheiten versteckt sind?

Irrweg: die bessere Methode

Der Wechsel zwischen Methodenhype und Methodenkater ernährt weltweit Heerscharen von Beratern, Coaches und Trainern, die den Durst nach immer neuen Konzepten lukrativ stillen. Beispielsweise versucht man, für agile Softwareentwicklung aus den Erfolgen der Methode Scrum eine Lehre zu ziehen. Sie ist Vorbild für eine erweiterte Managementmethode in agilen Organisationen. Dass aber der Kontext und die Notwendigkeiten der Softwareentwicklung ganz andere sind als die eines auf Profite ausgerichteten Unternehmens, wird dabei übersehen. Auch die Erfinder von Scrum werden ignoriert: Sie erklären, dass diese Methode ausschließlich für den spezifischen Anwendungsfall agiler Softwareentwicklung erdacht worden ist.

Das Bestreben, durch immer neue Methoden und neue Geschmacksrichtungen existierender Methoden das Patentrezept für die beste Methode zu entwickeln, ist sehr groß. Aber ist immer mehr vom Gleichen die Lösung? Müssen wir uns nur noch mehr anstrengen, dann wird das schon? Auch das erscheint eine überwiegende Gewohnheit zu sein, statt etwas Neues zu ersinnen, das mehr Leichtigkeit als Anstrengung ermöglicht.