Übernahme von Signavio

SAP investiert in Process Intelligence

27.01.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Mit "Rise with SAP" bündelt SAP Software, Services und Tools, um seinen Kunden den Weg in die Cloud und zu effizienteren Prozessen zu ebnen. Ein zentraler Bestandteil des Pakets ist Business Process Intelligence. Um sich hier zu stärken, kaufen die Walldorfer Signavio.
Mit "Rise with SAP" will der Softwarekonzern die Schaltzentrale für die digitale Transformation bei seinen Kunden besetzen.
Mit "Rise with SAP" will der Softwarekonzern die Schaltzentrale für die digitale Transformation bei seinen Kunden besetzen.
Foto: Den Rise - shutterstock.com

SAP hat mit Rise with SAP ein Paket geschnürt, das Kunden bei ihrer digitalen Transformation unterstützen soll. Voraussetzung ist der Umstieg oder die Neueinführung von S/4HANA. Der Fokus liegt dabei eindeutig auf der Cloud-Variante, wenngleich SAP-Vorstandssprecher Christian Klein betonte, auch On-premise- und hybride IT-Infrastrukturen einbeziehen zu wollen. Das neue Bundle der SAP besteht aus folgenden Bestandteilen:

  • S/4HANA Cloud,

  • Business Process Intelligence,

  • dem SAP Business Network,

  • der SAP Business Technology Platform (BTP)

  • Cloud-Infrastruktur-Services (Alibaba, AWS, Azure, Google, IBM, SAP)

  • Tools und Services für die Migration.

Im Zuge der Migration auf S/4HANA müsse es in erster Linie um die Optimierung der Geschäftsprozesse gehen, sagte Thomas Saueressig, SAP-Vorstand für den Bereich Product Engineering, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. Es greife zu kurz, sich nur auf eine technische Migration des SAP-Systems zu beschränken. Saueressig spricht von "Business Transformation as a Service", das SAP an dieser Stelle anbieten wolle. Eine wichtige Rolle sollen dabei Beratungspartner spielen. Mit an Bord sind bei Rise with SAP unter anderen Accenture, Deloitte und PwC.

SAP-Vorstand Thomas Saueressig spricht von Business Transformation as a Service, die der Hersteller mit "Rise with SAP" anbieten möchte.
SAP-Vorstand Thomas Saueressig spricht von Business Transformation as a Service, die der Hersteller mit "Rise with SAP" anbieten möchte.
Foto: SAP SE / Ingo Cordes

Als Vorteil des Lösungspakets hob Saueressig die "einfache Nutzung" hervor. Anwender erhielten einen Vertrag mit einer entsprechenden Cloud-Subscription. Die Abrechnungsmetrik dahinter orientiere sich an der Zahl der Nutzer. Dabei will SAP seinen Kunden offenbar mehr Flexibilität als bisher bieten. Die Zahl der User lasse sich nach oben und unten skalieren, sagte der SAP-Vorstand. Kunden müssten sich nicht mehr auf Jahre hinaus auf eine bestimmte Nutzerzahl festlegen. Anwendervertreter hatten seit Jahren atmende Lizenzmodelle für SAPs Cloud-Angebote gefordert. Nun scheint sich der Softwarekonzern in diese Richtung zu bewegen.

Rise with SAP soll vergleichsweise einfach einsetzbar sein, verspricht Saueressig. Anwender könnten sich ganz auf das Verbessern und Transformieren ihrer Geschäftsprozesse ausrichten. Um alles andere werde sich SAP kümmern: die Software, die Infrastrukturressourcen in der Cloud und den Gesamtbetrieb der Lösung. Dabei könnten Anwender zwischen verschiedenen Optionen wählen. Neben der eigenen Cloud-Infrastruktur kooperiert SAP mit den Hyperscalern Amazon Web Services (AWS), Microsoft, Google Cloud und Alibaba.

SAP arbeitet eigenen Angaben zufolge bereits seit etwa einem halben Jahr an dem Paket. Über 130 Pilotkunden haben die Lösung seit dem vierten Quartal 2020 im Einsatz. Obwohl die Entwicklung nicht publik gemacht worden sei, gebe es bereits eine große Nachfrage, sagte Vorstandsmitglied Saueressig. Das Angebot richte sich an Kunden aller Branchen und Größenordnungen.

Die Walldorfer planen offenbar, im Laufe der Zeit weitere Lösungen mit Rise with SAP zu integrieren - beispielsweise die hauseigenen Cloud-Angebote von SuccessFactors und Concur. Auch dabei sollen die einfache Nutzung und Harmonisierung im Vordergrund stehen. So sollen unterschiedliche Abrechnungsmodelle wie die nutzungsabhängige Metrik bei Concur, die sich an der Zahl der über das Tool abgerechneten Reisen orientiert, mit der nutzerbasierten Metrik in einem Vertrag gebündelt werden, um so die Komplexität für die Kunden zu reduzieren.

Mit Business Process Intelligence zu effizienteren Abläufen

Zur neuen Prozessorientierung von SAP passt die Übernahme von Signavio. Die Verantwortlichen des Berliner Startups beschäftigen sich nicht nur mit klassischem Process Mining, das darauf abzielt, vorhandene Abläufe im Betrieb zu dokumentieren, zu visualisieren und zu verbessern. Signavio orientiert sich eher in Richtung Process Intelligence, kümmert sich also um eine grundsätzliche Transformation von Prozessen.

SAP will den eigenen Geschäftsbereich Business Process Intelligence mit Signavio verknüpfen. Kunden sollen damit ihre Geschäftsprozesse analysieren, transformieren und steuern können. Der Kauf soll noch im ersten Quartal 2021 abgeschlossen werden, die Zustimmung der Aufsichtsbehörden vorausgesetzt. Über den Preis vereinbarten beide Seiten Stillschweigen. Insider sprechen von rund einer Milliarde Euro, die SAP angeblich für das Berliner Startup auf den Tisch lege.

Die integrierte Cloud-native Prozess-Suite von Signavio soll die Business-Process-Intelligence-Lösung von SAP ergänzen. Die Walldorfer sprechen von einer ganzheitlichen Suite flexibler Lösungen zur Prozesstransformation, mit der Kunden ihre Geschäftsabläufe durchgängig anpassen könnten. Dazu gehörten die Analyse, das Design und die Verbesserung von Geschäftsprozessen sowie das Management von Prozessänderungen. Die Suite ermögliche es zudem, die Resultate der Prozessanpassungen zu überwachen.

Signavio und SAP sind sich keineswegs fremd. Im Mai vergangenen Jahres hatten die Berliner bekannt gegeben, ihren "Process Manager" mit S/4HANA zu integrieren. Das werde die Migration von ERP-Altsystemen erleichtern und beschleunigen, versprachen die Verantwortlichen. Anwender könnten damit Prozesse optimieren, Kosten senken und das Risiko vermindern, dass Projekte scheitern.

Neben dem Process Manager bietet Signavio seine "Business Transformation Suite". Dabei handelt es sich nach Herstellerangaben um eine integrierte Lösungsplattform für das Modellieren, Analysieren, Verwalten, Optimieren und Ausführen von Geschäftsprozessen. Die Suite beinhaltet Technologien wie Prozess- und Entscheidungsmanagement, Process Mining und Customer Journey Mapping. Sie unterstützt Anwender bei verschiedenen Aspekten der digitalen Transformation, etwa bei der Prozessoptimierung, der ERP-Transformation, Robotic Process Automation (RPA), Risiko- und Compliance-Management oder Customer Excellence.

Noch nicht abzusehen ist, wie tief SAP die Lösungen von Signavio in die eigene Software integrieren wird und ob die Werkzeuge auch in Zukunft für andere Plattformen verfügbar sind. Seit September vergangenen Jahres wird beispielsweise die Process-Intelligence-Lösung von Signavio auf dem AppExchange-Marktplatz von Salesforce angeboten - einem der größten Wettbewerber von SAP. Die Verantwortlichen sprachen von einer nahtlosen Integration von Signavio Process Intelligence in Salesforce. Anwender könnten so ihre Vertriebsprozesse besser analysieren und optimieren. Ob das auch künftig so sein wird, ist fraglich.

Anwender wollen Eigenentwicklungen nicht zurücklassen

Anwendervertreter begrüßten SAPs Initiative, Kunden den Weg in die Cloud und zu S/4HANA zu ebnen. Steffen Pietsch, Fachvorstand Technologie bei der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG, bezeichnete als zentrale Herausforderungen der Migration die damit einhergehende Business-Transformation und die Anpassung von Geschäftsprozessen. "Ein reines 'Lift-and-Shift' von On-Premise-Systemen in eine Cloud-Umgebung reicht nicht aus beziehungsweise kann nur der erste Schritt sein."

Die Erwartungshaltung der SAP-Kunden ist hoch. "SAP ist gemeinsam mit Partnern gefordert Wege aufzuzeigen, wie sie hochgradig angepasste Systeme und Prozesse in S/4HANA-Cloud-Umgebungen überführen wollen", sagte Pietsch. Gleiches gelte für die Transformation komplexer Eigenentwicklungen und Drittsystem-Integrationen, die teilweise nicht Cloud-kompatibel seien, de facto aber in vielen Kundensystemen existierten und fachlich weiterhin erforderlich seien.

"Diese Umstellung ist keine technische Migration, sondern eine Transformation, die die inhaltliche Auseinandersetzung mit fachlichen Anforderungen und einen ganzheitlichen Blick auf die Systemlandschaft erforderlich macht." Ob SAPs Rise-Modell hier weiterhelfen kann, ist aus DSAG-Sicht noch offen. "Derzeit liegen noch zu wenige Informationen vor, um die Tragfähigkeit bewerten zu können."

DSAG fordert Hintertür aus der Cloud

Auch an anderer Stelle fordert die DSAG weitere Aufklärung. "Da sich die Kunden damit noch stärker in die Hände von SAP begeben, braucht es einen transparenten Prozess über die kompletten Inhalte des Angebots", sagte Thomas Henzler, DSAG-Fachvorstand Lizenzen & Wartung. Das fange beim Übergang der On-Premise-Lizenzen in eine Cloud-Subscription an und reiche über einheitliche, transparente und schlanke Cloud-Verträge ohne versteckte Kosten bis hin zu einem möglichen Exit-Konzept aus der Cloud.

So recht scheinen die Anwender SAP nicht zu trauen. Henzler will sich dem Hersteller nicht ausgeliefert fühlen. Gerade im Falle einer Kündigung der Cloud-Dienste seien die Folgen nach heutigem Stand ungewiss. Der DSAG-Vertreter verlangt: "Sollte sich aus irgendwelchen Gründen die Cloud als die falsche Entscheidung erweisen, müssen die möglichen Wege zurück in die On-Premise-Welt klar vorgezeichnet sein." Hier sieht Henzler noch großen Bedarf an transparenten Prozessen für den Schritt von der Kauflizenz in die Subscription und gegebenenfalls zurück. "'RISE with SAP' darf keine Einbahnstraße sein. Sollte sich im Rahmen einer Cloud-Transformation herausstellen, dass ein On-Premise-Produkt doch besser zu einem Anwendungsfall passt, sollte im Vorfeld klar sein, wie ein Weg zurück möglich ist."

Microsoft Teams mit SAP-Software integriert

Um den Umstieg in die Cloud für Kunden zu vereinfachen, baut SAP zudem seine Partnerschaft mit Microsoft aus. Das betrifft in erster Linie verschiedene Integrationsszenarien zwischen Microsoft Teams und SAP-Lösungen wie S/4HANA, SuccessFactors und Customer Experience, die bis Mitte des Jahres zur Verfügung stehen sollen. Anwender sollen beispielsweise direkt über S/4HANA Kontakt mit ihren Geschäftspartnern aufnehmen können, ohne zu einer anderen Anwendung oder einem anderen Gerät wechseln zu müssen, beschrieb SAP-Vorstand Saueressig ein Szenario. "So können sie auf der Grundlage von Echtzeitdaten und im ständigen Dialog mit den relevanten Stakeholdern schnell auf neue Situationen reagieren." Gleiches gelte für die Verzahnung zwischen Teams und der Sales Cloud von SAP.

"Wir gestalten gemeinsam die Arbeitswelt der Zukunft und bereiten den Weg für das reibungslos funktionierende Unternehmen", kommentierte SAP-.Chef Christian Klein die Kooperation mit Microsoft in Sachen Teams.
"Wir gestalten gemeinsam die Arbeitswelt der Zukunft und bereiten den Weg für das reibungslos funktionierende Unternehmen", kommentierte SAP-.Chef Christian Klein die Kooperation mit Microsoft in Sachen Teams.
Foto: SAP SE / feinkorn photography

Zu der Kooperation meldete sich Satya Nadella, CEO von Microsoft, persönlich zu Wort: "Indem wir die Leistungsfähigkeit von Azure und Teams mit SAP-Lösungen kombinieren, helfen wir mehr Unternehmen, das Potenzial der Cloud auszuschöpfen", versprach er. "Sie können sich somit in Zukunft schneller anpassen und Innovation stärker vorantreiben." SAP-Chef Klein ergänzte, dass neue Formen der Arbeit, Zusammenarbeit und des Austauschs die betrieblichen Abläufe grundlegend veränderten. "Wir gestalten damit gemeinsam die Arbeitswelt der Zukunft und bereiten den Weg für das reibungslos funktionierende Unternehmen."

Darüber hinaus wollen SAP und Microsoft Anwendern künftig bei der Erstkonfiguration und beim Design der Architektur von S/4HANA in einer Azure-Umgebung stärker unter die Arme greifen. Geplant seien automatisierte Systeminstallationen sowie mehr Hilfestellung beim Einsatz des Datenmigrations-Tools, mit dem sich SAP-Workloads aus der On-Premise-Umgebung in SAP S/4HANA auf Microsoft Azure migrieren lassen. Dafür sollen auch die Infrastrukturen mit der SAP Business Technology Platform (BTP) und den Microsoft Azure Services enger miteinander verzahnt werden, hieß es.

Die Kooperation dürfte bei den SAP-Anwendern gut ankommen. Im Rahmen ihrer jüngsten Investitionsumfrage hat die DSAG auch die Relevanz von Applikationsplattformen abgefragt. Dabei steht Azure ganz vorne. Mehr als ein Viertel der fast 250 befragten SAP-Anwender plant hohe (21 Prozent) beziehungswiese mittlere (sechs Prozent) Investitionen in Microsofts PaaS- und IaaS-Angebote. Auf Platz zwei liegt SAPs BTP (17 Prozent). Abgeschlagen folgen AWS (sechs Prozent) und die Google Cloud Platform (GCP) mit zwei Prozent. Der chinesische Cloud-Anbieter Alibaba spielt hierzulande noch überhaupt keine Rolle.