Welche Standsoftware der Mittelstand braucht

Kampf um jedes Projekt

24.09.2002
Von 
Bernd Seidel ist freier Journalist und Coach in München.

Das Buhlen um Projekte hat allerdings auch seine Schattenseiten, warnt Matthias Uhrig, Managing Partner bei der Intargia Managementberatung GmbH in Dreieich. „Die Anbieter versprechen heute das Blaue vom Himmel, nur um einen Auftrag zu bekommen.“

Lügenbarone unterwegs

So würden Kernfunktionen, die der Kunde braucht, schnell mal als Dummy dazuprogrammiert, nur um bei der Präsentation zu punkten. Kommt es dann zum Projekt, muss der Anbieter Farbe bekennen und kann den zugesagten Leistungsumfang nicht liefern. Als vereidigter Sachverständiger wird Uhrig deswegen zurzeit immer häufiger vor Gericht hinzugezogen, wenn Projekte scheitern und Kunden Schadenersatz fordern.

Von Folienschlachten und Dummies, die mit heißer Nadel gestrickt wurden, will sich IT-Leiter Meffert nicht blenden lassen. „Wir schauen uns potenzielle Lösungen sehr genau an“, erklärt er. Seiner Meinung nach wird dem Thema Softwareauswahl viel zu wenig Zeit und Raum gelassen. „Ein System muss fünf oder zehn Jahre laufen, und da darf es keine teuren Überraschungen geben.“ So prüfen seine Mitarbeiter potenzielle Produkte sehr genau. Bei detaillierter Betrachtung stößt man dann auch schon mal auf nicht mehr ganz taufrischen Cobol-Code, den ein Softwareanbieter in seinem System versteckt habe, berichtet Meffert.

 

 

 

 

 

 

So groß das Interesse und so vielschichtig die Anforderungen von Betrieben der unterschiedlichsten Branchen an Standardsoftware sind, so unüberschaubar ist das Angebot: Rund 200 verschiedene Anbieter tummeln sich allein in Deutschland, so Softselect-Berater Gottwald. Denn längst ist ERP - das nach der reinen Lehre eine vollständige, unternehmensweit einsetzbare, integrierte Gesamtlösung mit Buchhaltungs-, Kostenrechnungs-, Produktions und Warenwirtschaftsfunktionen definiert - ein dehnbarer Begriff geworden. Obdie Produkte von Finanzlösungsanbietern wie Varial oder Wilken, das Projekt- Management-System „Psipenta“ der Softwareschmiede PSI, die keine eigene Buchhaltung enthält, oder das von der Basis her als Warenwirtschaftssystem ausgelegte Navision: Heute nennt sich alles ERP.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ebenso erweitern Funktionen für das Kunden-, Lieferketten und Content-Management sowie Analyse- und Auswertungs-Tools (Business Intelligence) und E-Business- Lösungen den Umfang klassischer ERP-Produkte - die Analysten von Gartner nennen diese

ERP der nächsten Generation

Pakete von Vollsortimentern dann ERPII. Ob eine Software zu einem Unternehmen passt, sei jedoch weniger vom Funktionsumfang abhängig als vielmehr davon, ob sich die Kernprozesse und die branchenspezifischen Anforderungen damit abdecken lassen, erklärt UBK-Berater Kolbenschlag. „Das Attribut „Vollsortimenter“ sei dagegen zweitrangig.

“Ein Hersteller, der als Komplettanbieter mit seinem bisherigen R/3- basierenden Mittelstandsangebot in allen Branchen antritt, ist natürlich SAP. So sind die Prozesse im Anlagenbau, dem Handel und der Prozessindustrie grundsätzlich zwar mit SAP-Software abzudecken, allerdings oft nur mit Klimmzügen und Add-ons, wie Anwender berichten. Auch der ehemalige SAPHerausforderer Baan versuchte sich zunächst in allen Branchen. Nach dem Absturz Ende der neunziger Jahre sowie der Übernahme durch den Invensys-Konzern konzentrieren sich die Niederländer mit ihrem ERP-Produkt nun auf das produzierende Gewerbe. Mit Abstrichen ist Baan auch im Handel und in Serviceunternehmen einsetzbar.

Ebenfalls in allen Branchen vertreten ist Navision. Das Paket hat seine Wurzeln und Stärken im Handel und bei Dienstleistungsunternehmen. Es profitiert zum einen davon, dass es sich recht komfortabel über mitgelieferte Software-Tools anpassen lässt, zum anderen sorgen Hunderte von Navision-Solution- Partnern für die vertikale Verbreitung. Allerdings sind die Standardfunktionen für das produzierende Gewerbe recht dürftig, was sich erst mit dem Nachfolgeprodukt „Attain“ ändern soll, wie es aus Kreisen von Solution-Partnern heißt.

Unternehmen bis hundert Mitarbeitern bietet die Karlsruher Softwareschmiede Abas mit dem gleichnamigen Softwarepaket eine branchenübergreifende Lösung für Prozess- und diskrete Fertigung, Handels- und Dienstleistungsbetriebe. Auch hier hilft das Netz von über 350 Beratungspartnern sowie mehr als 20 Systemhäusern, die unterschiedlichen Branchenspezifika zu bedienen. Ebenfalls recht breit aufgestellt ist die AP AG mit ihrem Produkt „P2plus“. So zählen sowohl Fertigungs- als auch Handels- und Dienstleistungsbetriebe zu den Kunden.