Welche Standsoftware der Mittelstand braucht

Kampf um jedes Projekt

24.09.2002
Von 
Bernd Seidel ist freier Journalist und Coach in München.
Totgesagte leben länger: So ist betriebswirtschaftliche Standardsoftware - neudeutsch Enterprise Resource Planning - auch 2002 noch in. Unternehmen, die nach einem geeigneten Paket Ausschau halten, können allein in Deutschland unter mehr als 200 Produkten wählen. Die Wahl wird zur Qual.

RAINER MEFFERT sucht eine neue Unternehmenssoftware. Buchhaltung, Controlling, Produktion und Warenwirtschaft - alles stellt der IT-Leiter des Farben- und Lackeherstellers Meffert AG aus Bad Kreuznach zur Disposition. Die Auswahl einer neuen Software, die bei vielen DV-Verantwortlichen zu Achselschweiß, Sodbrennen und schlaflosen Nächten führt, geht er gelassen an: „Wir nehmen uns mindestens ein Jahr Zeit für die Entscheidung.“ So gut wie Meffert haben es leider nicht alle.

„Rund 50 Prozent der mittelständischen Unternehmen hierzulande haben noch keine Software, die die wichtigsten Kernprozesse durchgängig unterstützt und gleichzeitig anpassungsfähig ist“, gibt Matthias Gottwald, Geschäftsführer von Softselect, zu Protokoll. Die Berater aus Hamburg helfen Unternehmen bei der Softwareauswahl und stellen dazu ein Suchsystem im Internet zur Verfügung. 10 000 Anfragen gingen allein zwischen Januar und Juli 2002 ein. In über 60 Prozent davon wurde nach der geeigneten ERP-Software gesucht. Mit großem Abstand folgen Themen wie Kunden-Management-Software (11,4 Prozent) und E-Business (4,8 Prozent). Jüngste Schätzungen der Analysten von Pierre Audoin Consultants (PAC) bestätigen, dass der ERP-Markt insgesamt recht lebendig ist: „Die Einnahmen insbesondere aus Wartung und Service steigen in diesem Jahr um durchschnittlich rund drei bis fünf Prozent“, konstatiert Jean-Christian Jung, PACAnalyst in München. In Toto werden für ERP-Lösungen mehr als 1,4 Milliarden Euro an Lizenzen, Wartung und Services umgesetzt.

Der Markt ist allerdings hart umkämpft: IT-Größe Microsoft hat ERP als potenzielle Einnahmequelle entdeckt und sorgt für Wirbel. SAP geht mit neuen Lösungen den Mittelstand an, und einige mittlere Anbieter stehen dem Abgrund gefährlich nahe: So hat das Amtsgericht Freiburg zum 30. August 2002 das Insolvenzverfahren für die drei Gesellschaften Brain International AG, Brain Automotive Solutions GmbH und Brain Industries Solutions GmbH eröffnet. Brain führt derzeit Gespräche mit potenziellen Investoren - der Ausgang ist allerdings ungewiss.

Insolvenzen und Finanzspritzen

Auch die Bäurer AG aus Hüfingen braucht Geld, um die geschwächte Eigenkapital- und Liquiditätssituation zu verbessern. Eine internationale Anlegergruppe pumpt nun acht Millionen Euro in das Unternehmen, wie Bäurer Mitte September mitteilte. Mit dem Rücken zur Wand greift man im schwäbischen Hüfingen sonst auch gerne zu unkonventionellen Mitteln, wie ein Brancheninsider, der nicht genannt werden will, CW fokus Mittelstand mitteilt: Demzufolge verschenke Bäurer inzwischen nicht nur die Software, sondern auch teilweise seine Beratungsleistung. Die Begründung: Man wolle Pilotkunden für bestimmte Module oder Branchen gewinnen und in der Folge das Service- und Wartungsgeschäft verbessern.

 

 

 

 

 

 

Ebensowenig zur Entspannung der Situation beitragen dürfte der Aufritt der beiden Schwergewichte SAP und Microsoft auf der ERPMittelstandsbühne: Nur rund ein Jahr, nachdem das dänische Softwarehaus Navision den Konkurrenten Daamgard geschluckt hat, verleibte sich Microsoft die frisch fusionierte Company ein und versucht sich nun im Geschäft mit betriebswirtschaftlichen Anwendungen auf dem europäischen Markt. In den USA ist die Gates-Company bereits durch den im Januar 2001 geschluckten ERP-Anbieter Great Plains vertreten, dessen Software sich hierzulande jedoch nach rund fünf Jahren nur 50-mal verkaufen ließ. In der Geschäftseinheit Microsoft Business Solutions hat der Riese aus Redmond seine gesamten ERP-Aktivitäten gebündelt.

Nach mehreren eher erfolglosen Anläufen bei kleineren und mittleren Unternehmen hat die Walldorfer SAP AG im Frühjahr 2002 für dieses Segment einen Strategiewandel vollzogen und den kleinen Anbieter Topmanage aus Israel samt Produkt gekauft. Das Paket ist seit September unter dem Namen „SAP Business One“ auf dem Markt und zielt auf Handelsunternehmen.

 

 

 

 

 

 

„Es war noch nie so günstig, Software zu kaufen wie in diesem Jahr“, beschreibt Walter Kolbenschlag, Geschäftsführer der UBK, die derzeitige Marktsituation. Der Inhaber des unabhängigen Beratungshauses aus dem fränkischen Lauf rät Anwendern daher, den derzeitigen erbitterten Konkurrenzkampf auszunutzen. „Das Interesse an Lösungen ist vorhanden, aber es werden nur wenige Projekte konkret gestartet, und um diese reißen sich alle Anbieter“, erklärt er. Die Folge: Jeder versucht, den anderen zu unterbieten.