Informatiker ohne Scheuklappen bevorzugt

22.05.2003
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Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Die Pharmaindustrie muss sich in den nächsten Jahren auf große Veränderungen einstellen. Einerseits wird der Kostendruck im Gesundheitswesen zunehmen, andererseits sind Investitionen in die Bio- und Gentechnik unabdingbar, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Informatiker können mit interessanten Aufgaben rechnen, jedoch reicht das reine IT-Wissen nicht aus.

Die Pharmaindustrie hat sich als relativ stabile Branche behauptet. Nach Schätzungen des Institutes für medizinische Statistik (IMS Health) betrug der weltweite Pharmaumsatz im Jahre 2001 349 Milliarden Dollar, von denen 85 Prozent in den 13 Schlüsselmärkten USA, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Spanien, Japan, Brasilien, Mexiko, Australien/Neuseeland und Argentinien erzielt wurden. Bis 2004 - so die IMS-Prognose - soll der Markt auf über 500 Milliarden Dollar wachsen.

Dominiert wird dieser Markt von den zehn größten Pharmakonzernen, die rund 46 Prozent des weltweiten Umsatzes verbuchen. Der übrige Umsatz ist stark fragmentiert. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Konsolidierung in der Branche fortsetzen wird.

Amerikaner investieren mehr in FuE

In Deutschland gibt es nach Angaben des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI) rund 1100 Arzneimittelhersteller. Die Branche beschäftigt zirka 115000 Mitarbeiter und stellt Produkte im Wert von etwa 20 Milliarden Euro her. Der Pharmaverband erinnnert immer wieder daran, dass man die Entwicklung der eigenen Branche nicht losgelöst von den politischen Entscheidungen betrachten darf. Konkret bedeutet dies: Die Funktionäre sind der Auffassung, dass die deutschen und die europäischen Firmen aufgrund der EU-Rahmenbedingungen gegenüber Japan und den USA ins Hintertreffen geraten sind.

Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe befürchtet zusätzlich eine sinkende Bedeutung Deutschlands als Standort der Pharmaforschung. Die Wissenschaftler stellen in ihrer Untersuchung fest, dass deutsche Unternehmen 16 Prozent vom Gesamtumsatz in Forschung und Entwicklung investieren, in USA macht dieser Anteil 19 Prozent aus. Alarmierend ist auch die zweite Zahl: Amerika steigerte in den letzten fünf Jahren seine FuE-Ausgaben um 120 Prozent, Europa um 60 Prozent.

Gentechnik als Triebfeder der Entwicklung

Die Fraunhofer-Forscher bemängeln auch die geringe Durchdringung der Biotechnologie im Pharmasektor gegenüber den USA. Dabei wird nach Meinung des Pharmaverbandes BPI mehr als ein Drittel aller Innovationen durch Erkenntnisse aus der Biowissenschaften entstehen. Bis zum Jahr 2005 sollen laut BPI etwa 50 Prozent der zugelassenen Wirkstoffe biotechnologischen Ursprungs sein. Weitere Triebfeder der Entwicklung soll die Gentechnik sein, wie die Boston Consulting Group (BCG) in einer Studie prognostiziert. Die Genomik - die Wissenschaft von der Erfassung der Gene - ermögliche in den nächsten Jahren, mehrere tausend genspezifische Medikamente zu erzeugen.

Online-Anwendungen spielen bei der Vervielfältigung bestimmter DNA-Abschnitte (Polymerase-Kettenreaktion) eine wichtige Rolle.
Online-Anwendungen spielen bei der Vervielfältigung bestimmter DNA-Abschnitte (Polymerase-Kettenreaktion) eine wichtige Rolle.

Der zu erwartende technologische Sprung ist die eine Seite der Branchenentwicklung. Auf der anderen Seite muss sich diese erfolgsverwöhnte Industrie auf einstellige Wachstumsraten umstellen - früher gehörte zweistelliges Plus zum Alltag. Hinzu kommen die leeren öffentlichen Gesundheitskassen und die immer kritischer werdenden Patienten, die Druck auf die Preise ausüben. Die hohe Zahl an auslaufenden Patenten belastet die Hersteller zusätzlich.

Wirft man einen Blick auf die Adecco/EMC-Stellenmarktauswertung im ersten Quartal 2003, was die IT-Jobs in der Pharmabranche angeht, zeigt sich ein eher durchwachsenes Bild. Das bedeutet: Die Zahl der Stellen für Computerfachleute ist in 40 Zeitungen inklusive der COMPUTERWOCHE in den ersten drei Monaten gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um etwa 45 Prozent auf 71 gesunken.

Kleiner Trost: Damit steht diese Industrie noch immer besser da als die anderen von früher verwöhnten Branchen wie die Banken und die Versicherungen. Erstere inserierten 53 und Letztere 55 Stellen. Auch was den Rückgang der Offerten angeht, sind die Pharmazeuten in bester Gesellschaft, denn die IT-Branche musste einen Schwund der freien Stellen um über 60 Prozent in Kauf nehmen. Laut Adecco-Auswertung werden in erster Linie Softwareentwickler, Systemanalytiker, Netzwerkspezialisten, Trainer für die Anwenderschulung und CAD/CAM-Experten gesucht. Ganz schlecht sieht es für die Internet- und E-Business-Profis aus: eine einzige Anzeige wandte sich an diese Berufsgruppe.

Wer in dieser Branche Fuß fassen will, muss sich auf interdisziplinäres Arbeiten einstellen. Und was die Voraussetzung an die IT-Spezialisten angeht, hat der Chief Information Officer (CIO) von Schering, Jürgen Schröder, auf einem Kongress so formuliert: "Die Anforderungen an die IT werden immer komplexer. Dadurch steigen sie auch für die Mitarbeiter. Technikwissen allein reicht nicht mehr aus." Die IT-Spezialisten müssten Kenntnisse über Geschäftsprozesse, IT-Strategien und Projekt-Management mitbringen.