Deutschland-Chef im Interview

Fujitsu rührt den Kleber für die Multi-Cloud

20.09.2022
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Multi-Cloud-Management ist der Schwerpunkt im Angebot von Fujitsu. Steffen Müter, Geschäftsführer Deutschland, Österreich und Schweiz, beantwortet Fragen zur Konzernstrategie.
Fujitsu Deutschland residiert in den Highlight-Towers in München-Schwabing - mit IBM als unmittelbarem Nachbarn.
Fujitsu Deutschland residiert in den Highlight-Towers in München-Schwabing - mit IBM als unmittelbarem Nachbarn.
Foto: HighLight Towers - shutterstock.com

Angesichts hoher Inflation, weltweiter Lieferkettenprobleme und der Energiekrise droht der deutschen Wirtschaft eine Rezession. Spüren Sie bei Fujitsu Deutschland schon, dass die Geschäftstätigkeit nachlässt?

Müter: Wir sehen, dass in den Unternehmen derzeit auf Sicht gefahren wird und alle Projekte mehr denn je auf ihren Wertbeitrag hin geprüft werden. Das kann größere Softwareprojekte wie beispielsweise eine SAP-S/4HANA-Einführung genauso betreffen wie klassische Infrastrukturthemen. Aktuell prüfen Unternehmen ganz genau, welche Projekte umgesetzt werden sollen und können - das meiste wird dann aber beauftragt.

Dies bestätigen auch die Analysten von Gartner und PAC: Dank des Megatrends Digitalisierung können wir in den nächsten Jahren von einem Marktwachstum von zirka vier bis acht Prozent ausgehen. Allerdings es wird aufwendiger, die Projekte wirklich zielgenau zu schneiden.

IT- und Fachabteilungen treten gemeinsam auf

Wie professionell gehen Ihre Kunden vor, wenn es gilt, den Return on Invest (RoI) von Digitalprojekten zu berechnen? Bei Themen wie künstlicher Intelligenz oder Internet of Things dürfte das nicht ganz einfach sein.

Müter: Die Unternehmen sind meistens gut vorbereitet und nutzen für solche Berechnungen zunehmend Daten. Selbst wenn sie es einmal nicht zu einhundert Prozent vorbereitet sind, stellen sie doch meist die richtigen Fragen und fordern uns. Für uns geht es heute längst nicht mehr nur darum, ein Projekt anzubieten. Wir müssen es auch gründlich vorbereiten. Das passiert partnerschaftlich mit dem jeweiligen Unternehmen, oft auch in einem Ökosystem mit anderen Partnern.

Die Ergebnisse von IT-Projekten lassen sich doch oft gar nicht so genau vorhersagen. Wenn ich Software für das Customer Experience Management einführe, kann ich kaum sagen, wie viele Neukunden ich damit erreichen oder wie viele Bestandskunden ich binden werde.

Müter: Das stimmt nur teilweise: Die Fähigkeiten unserer Kunden werden hier immer besser. Das liegt daran, dass wir es nicht mehr nur mit der IT-Organisation, sondern dass wir auch eng mit den Fachabteilungen zusammenarbeiten. Wenn es etwa um ein Internet-of-Things-Vorhaben geht, reden die Verantwortlichen für Operational Technology (OT) immer mit.

Mitarbeiter aus dem Maschinenraum oder aus der Lagerlogistik sind - um zwei Beispiele zu nennen - eigentlich immer in die Projekte involviert. Diese Personen können meistens genau berechnen, welche Vorteile sich im Detail ergeben. Sie kennen Lagerhaltung, Arbeitsvorbereitung, Just-in-time-Prozesse etc. seit vielen Jahren.

Das Zusammenspiel von IT und OT ist ein wichtiges Thema in der digitalen Transformation, ein anderes ist das Experience Management, wobei nicht mehr nur die Kunden, sondern zunehmend auch das eigene Personal im Mittelpunkt stehen.

Müter: Ja, eine gute Mitarbeitererfahrung gewinnt gerade enorm an Bedeutung. Jedes Unternehmen kämpft derzeit um qualifizierte Arbeitskräfte. Passende Lösungen tragen dazu bei, den Beschäftigten das Arbeitsleben angenehmer und effektiver zu machen.

Welche Projekte beobachten Sie hier? Geht es um die Einführung großer Software-Suites oder um die Gestaltung einer Hybrid-Work-Arbeitswelt oder vielleicht um noch etwas anderes?

Müter: Auf Softwareebene sehen wir beispielsweise ServiceNow-Projekte, die wir begleiten. Aber es gibt auch weiter die großen Workplace-Rollouts, die klassische Hardware-Maintenance-Aufgaben betreffen, zudem die Customer Experience Center - früher haben wir sie Service Desks genannt. Dort wird stärker denn je auf die Bedürfnisse der Anwender eingegangen.

Was hat Fujitsu zu bieten, wenn der Kunde Hybrid Work umsetzen will - einschließlich Endgeräte, Management der Systemlandschaft, Sicherheit etc.?

Müter: Wir haben dafür eine branchenübergreifende Antwort, sie nennt sich Work Life Shift. Das ist ein globales Portfolio, wo wir genau auf die Employee Experience am Arbeitsplatz eingehen. Aber es braucht fast immer auch eine Branchenspezifizierung, die dann auf diesem horizontalen Standard aufsetzt.

Die private Cloud ist der Schlüssel

Wenn wir über den digitalen Wandel reden, dann müssen wir auch Cloud Computing thematisieren, den zugrundeliegenden Megatrend schlechthin. Viele Unternehmen sind dabei, Multi-Cloud- oder Hybrid-Cloud-Szenarien umzusetzen. Braucht's da einen Anbieter wie Fujitsu noch?

Müter: Auf jeden Fall, denn Multi-Cloud ist die Zukunft. Das heißt für die meisten Unternehmen, dass sie die Private und Public Cloud in eine homogene Systemlandschaft zusammenführen müssen. Oft wird unter Multi Cloud verstanden, dass man Workloads aus Kosten- oder Performance-Gründen zwischen den Public-Cloud-Welten von AWS, Microsoft und Google hin- und herschiebt. Doch das reicht nicht aus. Es geht vor allem um die Private Cloud, die wichtig bleibt, weil Unternehmen immer noch gute Sicherheits- und Datenschutzgründe dafür haben.

Als Multi-Cloud-Provider bieten wir unseren Fujitsu Service Hub an, über den unsere Kunden Public- und Private-Cloud-Leistungen geordnet nutzen können. Die Motive, warum sich Unternehmen auf Multi-Cloud-Umgebungen einlassen, sind ja unterschiedlich: Manche wollen ihre veraltete Infrastruktur renovieren und aus ihrem Data Center ausziehen. Andere sind eher anwendungsgetrieben. Das ist es auch, was wir unseren Kunden immer wieder sagen: Schaut zuerst auf eure Applikationen, sie interessieren Eure Endanwender und treiben das Business voran. Davon lassen sich dann die benötigten Cloud- und Container-Modelle ableiten.

Das dritte Motiv betrifft die Datenstrategie. Anwender fragen sich: Wie klassifiziere ich meine Daten in Sicherheits- oder Verfügbarkeitskategorien? Daraus leiten sie dann ihr Multi-Cloud-Szenario ab. In diesen drei Kontexten positionieren wir uns, gehen in die Beratung und erstellen mit unserem Service Hub Lösungsangebote.

Was ist Ihr Service Hub denn nun eigentlich genau? Ein Integrations-Layer? Eine API-Management-Plattform? Ein Enterprise AppStore?

Müter: Ich würde den Service Hub als Orchestration-Layer bezeichnen, der das Zusammenspiel der unterschiedlichen Clouds ermöglicht. Es ist der Multi-Cloud-Teil, der nicht nur Public- und Private-Cloud-Infrastrukturen, sondern auch On-premise-Applikationen einbindet.

Der zweite Teil betrifft das, was Sie als App Store bezeichnen - wir sagen Managed Service Store. Aus diesem können fertige Managed Services gekauft werden, virtuelle Arbeitsplätze etwa oder eine einfache Virtual Machine (VM), eine komplette CI/CD-Pipeline oder eben ein SAP-System. Das Ganze bieten wir als Plattform an, die zunehmend weiterentwickelt und automatisiert wird.

Was kommt auf ein Unternehmen zu, wenn es Ihren Service Hub einführt?

Müter: Es gibt zunächst ein Onboarding, bei dem die Voreinstellungen stattfindet. Wir konfigurieren dann im Grunde den Kunden auf unserem Service Hub. Meistens erwarten die Unternehmen eine Erstimplementierung der großen Services, etwa SAP, große Datenbanken oder andere Applikationen. Nach diesem ersten Schritt kann dann die IT-Organisation beim Kunden selbst die Steuerung übernehmen. Doch viele Kunden verlassen sich darauf, dass wir sie noch eine Weile weiter begleiten, was wir natürlich gerne tun.

Fujitsus Deutschland-Chef Steffen Müter setzt auf Lösungen für die Multi-Cloud-Orchestrierung.
Fujitsus Deutschland-Chef Steffen Müter setzt auf Lösungen für die Multi-Cloud-Orchestrierung.
Foto: Fujitsu

Welchen konkreten Vorteil als Kunde habe ich, wenn ich meine Ressourcen nicht direkt bei AWS, Microsoft Azure oder Google Cloud kaufe, sondern indirekt über Ihren Service Hub?

Müter: In fast allen Unternehmen finden Sie sogenannte Landing Zones wieder, von denen aus die Ressourcen der verschiedenen Cloud-Provider abgerufen werden. Zudem gibt es eigene Operations Layer - in der eigenen IT oder bei einem Service Provider. Unser Ziel ist es, diese Betriebsebene auf unserem Service Hub zu vereinheitlichen, so dass sich unsere Kunden die gewünschten Leistungen eben nicht mehr über verschiedene Portale zusammenklicken müssen. Das ist der Mehrwert, den wir bieten. Wir wollen der One-Stop-Shop sein, in den unsere Kunden die verschiedenen Landing Zones in ihrer Organisation einbinden.

Schatten-IT sichtbar machen

Sie haben vorhin gesagt, dass man auch On-premises-Infrastruktur an den Service Hub anbinden und so eine einheitliche Sicht auf die gesamte Infrastruktur bekommen könne…

Müter: Tatsächlich ist das eines der Themen, weshalb ich mich persönlich sehr dafür stark gemacht habe, den Service Hub zu entwerfen: das Sichtbarmachen der Legacy-Systeme und auch der Schatten-IT. Wenn diesbezüglich Klarheit herrscht, gelingt es besser, neue Migrationsmöglichkeiten bereitzustellen.

Stellen Sie sich vor, wir haben den Service Hub in einer Basiskonfiguration bei unserem Kunden eingeführt. Dort können nun die IT-Mitarbeiter und auch die Fachabteilungen in ihrem eigenen Tempo damit beginnen zu modernisieren. Sie können beispielsweise einen Kubernetes-Container aufmachen und anfangen, ihre On-premise-Systeme Schritt für Schritt aus den diversen Datenräumen, Rechenzentren und Produktionshallen in diesen Container zu verlagern. Dies bietet den Vorteil, dass sich elegante und einfache Migrationsszenarien gestalten lassen. Diese Migrationen erfolgen nicht mehr im Hauruckverfahren, sondern man versetzt Fachabteilungen und die IT in die Lage, die großen Transformationsprojekte in kleinere Unterprojekte zu teilen und diese selbst zu managen.