Potenzial von Internet of Things noch nicht ausgeschöpft

Firmen müssen bei IoT den Business Case klar definieren

04.09.2018
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Das Internet of Things (IoT) gewinnt in Deutschland an Reife. Doch noch denken Firmen beim IoT mehr an die Optimierung von Prozessen und sehen nicht dessen Potenzial für neue Geschäftsmodelle. Entscheidend für den Erfolg von IoT-Projekten ist dabei die Definition eines klaren Business Cases.

Das Internet of Things (IoT) wird mit seiner Dynamik die Art des Wirtschaftens in den kommenden Jahren erheblich verändern. Unternehmen müssen auf diese Entwicklung reagieren, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Das wirft Fragen auf: Wo stehen die deutschen Firmen mit ihren IoT-Projekten gerade? Welche Ziele verfolgen sie mit dem Internet of Things? Wie gehen sie vor? Mit welchen Herausforderungen haben sie bei ihren IoT-Projekten zu kämpfen? Darüber tauschen sich auf Einladung der COMPUTERWOCHE neun IoT-Experten in einer Round-Table-Diskussion aus.

IoT und der Business Case: Über die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle rund um IoT diskutierten die Teilnehmer des IoT-Round-Table der COMPUTERWOCHE.
IoT und der Business Case: Über die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle rund um IoT diskutierten die Teilnehmer des IoT-Round-Table der COMPUTERWOCHE.

Status quo: differenziertes Bild in den Unternehmen

Beim Status quo ergibt sich ein differenziertes Bild der deutschen Unternehmen. "Viele Firmen müssen aufholen, um international nicht den Anschluss zu verlieren. Sie befinden sich beim Thema IoT noch im Anfangsstadium und betrachten nur einzelne Prozesse, die sie optimieren wollen", sagt Ulrich Kaindl, Managing Director bei Wireless Logic. "Hier spricht man von M2M-Kommunikation (Machine to Machine). IoT ist aber weitaus mehr. Während M2M nur geschlossene Systeme betrachtet, handelt es sich bei IoT um offene Systeme, die Daten unterschiedlichen Anwendungen zur Verfügung stellen."

Die Grenzen sieht er hier nicht bei der Technologie, sondern in den Köpfen der Menschen. Als Beispiel nennt Ulrich Kaindl ein Gespräch mit einem IT-Mitarbeiter einer deutschen Bank, der einen Remote-Service für die Geldautomaten der Bank über Mobilfunk einrichten wollte, um die Wartung zu vereinfachen. "Das erlauben allerdings die Richtlinien der Bank nicht. Mit solchen Hürden haben wir immer wieder zu tun", so Kaindl. Er unterscheidet zudem zwischen großen und mittleren Firmen. "Der Mittelstand besitzt oft nur wenig IoT-Know-how und hat kaum Ressourcen für die Umsetzung von IoT-Projekten. Er braucht modulare Lösungen, die weniger Investitionen erfordern und schnell umzusetzen sind."

Auch andere Teilnehmer wie Marten Schirge, Vice President of Sales bei Device Insight, bestätigen die Einschätzung eines IoT der zwei Geschwindigkeiten. "Auf der einen Seite gibt es viele fortschrittliche Firmen, insbesondere bei den Großunternehmen, die zum Teil bereits seit zwei oder drei Jahren ihre eigenen IoT-Lösungen bauen oder Plattformtechnologien einsetzen. Auf der anderen Seite stehen Firmen, die die Entwicklung verschlafen und abgehängt werden könnten", so Schirge.

Informationen zu den Partnerpaketen für die IoT-Studie

Herausforderung: neues Geschäftsmodell

Der Expertenrunde zufolge erwarten die befragten Unternehmen durch das IoT grundsätzlich viele positive Impulse für ihr Geschäft. Im Vordergrund stünden hier die höhere Effizienz bei bestehenden Geschäftsprozessen, weniger aber die Erschließung neuer Services und Geschäftsmodelle. "Die deutschen Firmen sind in der ersten IoT-Stufe sehr gut, in der es um die Optimierung von bestehenden Prozessen geht. Eine sehr große Herausforderung stellt aber die zweite IoT-Stufe dar, die Transformation eines Geschäftsmodells mithilfe von Daten und bisher unbekannten oder neuen Vertriebskanälen", erklärt Jürgen Pollich, Head of Business IoT/M2M bei Telefónica in Deutschland.

Ein Beispiel für neue Geschäftsmodelle ist Product-as-a-Service. Hier verkauft eine Firma ihr Produkt nicht mehr direkt an den Kunden, sondern bietet es als Serviceleistung an. Die Abrechnung erfolgt dann nach Parametern wie beispielsweise Nutzungsdauer oder Volumen, die mittels vernetzter Sensoren aufgezeichnet und zur Analyse auf eine IoT-Plattform in der Cloud übertragen werden. Ein Beispiel: Ein Hersteller von Druckmaschinen verkauft nicht mehr die Maschine, sondern verdient sein Geld mit den darüber ausgeführten Druckaufträgen und Services.

"Die Firmen müssen sich verstärkt auch um smarte Geschäftsmodelle kümmern. Bislang agieren viele noch sehr kurzfristig ROI-getrieben und fokussieren sich daher auf die Vernetzung der eigenen Produktionsprozesse. Sie müssen jedoch auch die Pain Points ihrer Kunden sowie die Schwachstellen und Risiken ihres eigenen Geschäftsmodells genau analysieren, um dann möglichst konkrete Mehrwerte für ihre Kunden mithilfe von IoT schaffen", betont Jan Rodig, CEO des IoT-Dienstleisters tresmo. "Das machen derzeit nach unserer Erfahrung nur etwa 20 Prozent der Unternehmen. Ich sehe das primär als kulturelles Thema. Firmen müssen hier auch das Silo-Denken überwinden und alle Abteilungen an einen Tisch bringen."

Ziel: Business Case finden

Laut Siegfried Wagner, Managing Director bei in-integrierte informationssysteme, wissen manche Firmen vor dem Start eines IoT-Projekts oft nicht, welchen Nutzen sie sich davon versprechen. "Sie brauchen bereits am Anfang den Business Case und eine Idee, womit sie am Ende ihr Geld verdienen wollen. Wir stellen die größte Wertschöpfung bei Firmen fest, die mithilfe einer IoT-Plattform intelligente Services anbieten, die ein Kundenbedürfnis erfüllen. Das IoT ist dafür ein Enabler", so Wagner.

Je klarer der Business Case, umso besser. Am einfachsten ist der Business Case oder Use Case wohl in der industriellen Produktion zu finden - Stichwort Industrie 4.0 oder Industrial Internet of Things (IIoT). "Der primäre Nutzen ist hier meist klar: Der Kunde will die Leistung seiner Produktion messen und die Produktivität signifikant und dauerhaft steigern. Die Herausforderung bestehe darin, die Daten aus Maschinen unterschiedlichster Hersteller und Herstellungsjahrgänge zu erfassen und sie über offene Schnittstellen Drittsystemen - der Unternehmensplanung (ERP / SAP) ebenso wie Systemen für PLM, CAQ, Werkzeugverwaltung, Vorhersagende Wartung (Predictive Maintenance) oder Künstliche Intelligenz (KI) - zur Verfügung zu stellen, erläutert Franz Eduard Gruber, CEO von Forcam. Seine Kunden etwa aus der Automobilindustrie konnten auf diese Weise ihre Produktivität binnen kurzer Zeit nachhaltig um zehn bis 20 Prozent steigern. Schwieriger werde es bei Themen wie smarten Produkten und Services.

Gruber rät seinen Kunden, nach dem Motto "Think big, start small" zu handeln und mit kleinen IIoT-Pilotprojekten zu beginnen, um den technischen und kommerziellen Nutzen zu prüfen. Jürgen Pollich von Telefónica Deutschland spricht in diesem Zusammenhang von der "Power of incremental change", also einer schrittweisen Vorgehensweise: "Für große IoT-Projekte braucht es eine Vision. Zur Erreichung muss man diese mit konkreten ersten Schritten verknüpfen und am besten klein anfangen, um sich nicht zu verzetteln. Wenn die ersten Milestones erfolgreich erreicht wurden, machen die Firmen mit dem IoT weiter und sind offen für zusätzliche Veränderungen."

Zum Thema Internet of Things (IoT) führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie europäische Unternehmen das Thema Internet of Things (IoT) angehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 36086 137) gerne weiter. Informationen zur IoT-Studie finden Sie auch hier zum Download.

Transformation notwendig

IoT-Projekte sind immer mit Veränderungen verbunden. Teilweise müssen Firmen verkrustete Strukturen aufbrechen, wenn sie beispielsweise neue Geschäftsmodelle entwickeln. José Manuel Benedetti, Director Customer Success Management bei PTC, erlebt dies häufig, wenn er Firmen bei IoT-Projekten berät. Er führt mit seinem Team bei seinen Kunden sogenannte Discovery Workshops durch, um Use Cases für IoT-Projekte zu identifizieren, zu validieren und zu priorisieren - und anschließend umzusetzen mit Zwischenschritten wie einem Proof of Concept und Proof of Value.

Doch nicht selten stehen die vorhandenen Strukturen dem IoT-Projekt im Weg. "Um mit IoT erfolgreich zu sein, müssen Firmen meistens folgende vier Säulen verändern: Strategie, Ressourcen, Organisation und Prozesse. Das ist häufig mit einem größeren Umbruch verbunden", erklärt Benedetti. "Daher begleiten wir unsere Kunden bei jedem Schritt, bauen Vertrauen auf und teilen in manchen Fällen auch das Risiko."

Auch Johannes Kaumanns, VP IoT Market Development and Business Steering bei T-Systems, legt großen Wert darauf, bei IoT-Projekten nah am Kunden und an dessen Geschäftsmodell zu sein. "Wir als Partner und Anbieter müssen die Schmerzstellen unserer Kunden kennen und mit ihnen gemeinsam Lösungen entwickeln, die einen Mehrwert bringen, sei es kurzfristig oder langfristig." Dazu betreibt T-Systems zusammen mit Partnern auch einen IoT-Prototyping-Hub, um schneller Prototypen und Proof of Concepts für IoT-Lösungen zu entwickeln.

Informationen zu den Partnerpaketen für die IoT-Studie

Standard oder Eigenentwicklung?

Zum Abschluss der Runde diskutieren die Teilnehmer noch die Frage, ob Firmen beim Thema IoT eher auf Standardplattformen oder auf eigenentwickelte Lösungen setzen sollten. Der Tenor ist eindeutig: Standardlösungen sind notwendig, um IoT-Projekte schnell umzusetzen, die vor allem auf die Optimierung bestehender Prozesse zielen. Zur Differenzierung von den Wettbewerbern oder zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle seien aber eigene Lösungen oder Anwendungen gefragt, die auch auf IoT-Plattformen mit offenen Schnittstellen basieren können.

Stellvertretend dafür die Stimme von Bastian Burger, Co-Founder und CEO des Start-ups blik, das sich auf das Logistik-Tracking mit IoT spezialisiert hat: "Mit Standardlösungen können Firmen sehr schnell einen Proof of Concept umsetzen und die ersten Ergebnisse erzielen. Die Standardisierung macht meiner Meinung nach etwa 80 Prozent aus. Dann erst beginnt die Differenzierung, und der Kunde kann individuelle Lösungen entwickeln, die auf seine Anforderungen zugeschnitten sind." (mb)