4-Tage-Woche bei aflexio

Das passiert, wenn die 5-Tage-Woche fällt

Kommentar  30.05.2022
Von  und
Jana Koske ist Geschäftsführerin der aflexio - Gesellschaft für Management- und Prozessberatung mbH.
Martin Pesch ist Geschäftsführer der aflexio - Gesellschaft für Management- und Prozessberatung mbH.
Was passiert, wenn ein Unternehmen am Standard der 5-Tage-Woche rüttelt? Das Beratungshaus aflexio hat den New-Work-Schritt gewagt - ein Erfahrungsbericht aus erster Hand.
Eine 4-Tage-Woche statt fünf Arbeitstage hat das Consulting-Unternehmen aflexio eingeführt, um den Beschäftigten mehr Freizeit am Stück zu ermöglichen. Doch das soll erst der Anfang von New Work sein.
Eine 4-Tage-Woche statt fünf Arbeitstage hat das Consulting-Unternehmen aflexio eingeführt, um den Beschäftigten mehr Freizeit am Stück zu ermöglichen. Doch das soll erst der Anfang von New Work sein.
Foto: Akin Ozcan - shutterstock.com

Seit Anfang des Jahres praktizieren wir eine 4-Tage-Woche. Der Freitag ist immer frei. An den anderen Tagen arbeiten wir stattdessen neun Stunden. Das Gehalt bleibt gleich, Überstunden gibt es kaum - dafür mehr Erholung. Uns geht es vor allem darum, Arbeitsprozesse so zu optimieren, dass die verbleibende Arbeitszeit besser und effizienter genutzt wird. Zum Beispiel, indem Rüst- und Leerzeiten vermieden, Templates und Tools stärker eingesetzt sowie Schulungsmaßnahmen gezielter gestaltet werden. Teil von "3F - 3 F-reie Tage" ist es zudem, nicht nur zeitlich flexibel, sondern auch mobil zu arbeiten, sprich: möglichst selbstbestimmt. Tatsächlich sind auch gar nicht alle Mitarbeitenden an unserem Standort in Karlsruhe ansässig, sondern in Deutschland verteilt. Insgesamt wollen wir mit dem Projekt eine agile und dynamische Arbeitsweise in einem diversen Team mit flachen Hierarchien und kreativen Gestaltungsmöglichkeiten fördern.

Die Entscheidung, freitags grundsätzlich nicht zu arbeiten, haben wir in einem internen Workshop im Herbst 2021 getroffen. Nachdem die ersten Jahre nach unserer Gründung 2014 ziemlich aufregend verliefen, war mehr und mehr Routine eingekehrt. Alles lief, wie es soll. Das war natürlich großartig. Dennoch hatten wir das Gefühl, dass uns als Unternehmen mal wieder ein neuer Reiz guttun würde. Dabei ist es genau dieser Drang nach unkonventionellem Neuem, der uns in den ersten Jahren erfolgreich gemacht hat. Zufällig hatte mir kurz vorher eine Mitarbeiterin mitgeteilt, dass sie künftig am Freitag nicht mehr arbeiten möchte. Im Workshop war dann auf einmal diese Idee im Raum: Wir haben hinterfragt, weshalb wir nicht alle nur vier Tage arbeiten sollten - um erfolgreicher zu sein.

Die Motivation hinter dem Projekt war schnell klar: Zeit für all das zu haben, was in einer herkömmlichen Arbeitswoche immer auf der Strecke bleibt, und sich auf das Wichtigste zu konzentrieren, das man hat - sich selbst. Den Arbeitsalltag achtsamer und bewusster zu gestalten sowie die Wertigkeit der Tätigkeiten selbst zu steigern, sind weitere Aspekte. Generell sehen wir in "3F - 3 F-reie Tage" die Zukunft der Arbeit.

Welche Herausforderungen es zu meistern galt

Eine Herausforderung war tatsächlich, alle Mitarbeitenden von der Idee zu überzeugen. Die eine oder der andere waren skeptisch, wie das gleiche Arbeitspensum in weniger Zeit zu schaffen sei. Um die Sorge vor zu viel Stress zu nehmen, haben wir in gemeinsamen Gesprächen entschieden, dass freitags auf freiwilliger Basis gearbeitet werden darf - aber keine Termine stattfinden. Diese Option wird von allen als "Ventil" genutzt, jedoch nicht regelmäßig. Zudem trifft sich das gesamte Team einmal im Quartal freitags persönlich zu einem besonderen Anlass - einem internen Workshop, einem Coaching oder Ähnliches.

Eine weitere Herausforderung war die Anpassung der Arbeitsverträge. Wir wollten sichergehen, dass diese so gestaltet sind, mühelos zum herkömmlichen Modell zurückwechseln zu können, wenn sich die Vier-Tage-Woche als nicht praktikable herausstellen sollte, denn 3F wurde von Anfang an als Experiment verstanden und das auch so gegenüber unseren Mitarbeiter:innen kommuniziert.

Unsere Arbeit lässt sich in der Regel so organisieren, dass der freie Freitag unsere Leistung für die Kunden nicht beeinflusst. Das ist leicht, weil in der Beratung der Freitag ohnehin meist für interne Aufgaben geblockt ist. Faktisch gibt es also keine Schwierigkeiten. Dass wir nur an vier Tagen arbeiten, ist aber dennoch immer wieder einmal ein Thema. Dabei scheint dann ab und zu auch mal ein Ethos vergangener Tage durch: Die 80-Stunden-Woche als Statussymbol und Ausdruck der eigenen Leistungsfähigkeit!

Die Erfahrungen nach 100 Tagen

Bislang sind wir sehr zufrieden. Der zusätzliche Freiraum tut uns allen gut. Wir - und das gilt sicher auch für all unsere Mitarbeitenden - mögen unsere Arbeit sehr. Dennoch haben wir verschiedene Rollen und Interessen. Die 4-Tage-Woche bietet uns den Spielraum, uns vollständig zu entfalten. Das klingt esoterisch, hat aber ganz handfeste Folgen. Auch für uns als Unternehmerin und Unternehmer: Ausgeglichene Mitarbeitende sind auf Dauer motivierter und kreativer. Und ihre physische und psychische Gesundheit bleibt erhalten. Wer ständig am Anschlag ist, bezahlt dafür früher oder später einen Preis.

Was die Prozesse angeht, sind wir derzeit noch in einer Lernphase. Und genau an dieser Stelle wird es für uns interessant: Wie kann Arbeit aussehen, die wirtschaftlich erfolgreich ist und uns als Menschen gerecht werden? Wir sind überzeugt, in diesem Jahr den Umsatz und den Gewinn des vergangenen Jahrs nicht zu unterschreiten - alles andere wird sich zeigen.

Wie sich die Zahlen entwickeln, analysieren wir übrigens ganz konkret. Unser langfristiges Ziel: Unser Geschäftsmodell so anzupassen, dass wir mit weniger Arbeit mehr Nutzen für unsere Kunden und mehr Umsatz für uns generieren. Dabei geht es auch darum, mehr produktive Zeiten und abrechenbare Leistungen zu schaffen.

Eine weitere Erfahrung ist, dass wir achtsamer mit der Auswahl neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umgehen. Wir hatten nie Probleme, Stellen neu zu besetzen. Daher können wir es uns erlauben, nun noch genauer zu schauen, ob Bewerber:innen wirklich ganzheitlich zu uns und unserem Mindset passen.

Was wir anders machen würden

Wir haben die Idee, den Freitag immer freizumachen, zu Beginn zu wörtlich genommen. Und uns gedanklich sehr eingeschränkt. Mittlerweile geht es uns mehr um den Freiraum dahinter. Für uns zählt der Wille, etwas anders zu machen - Arbeit anders zu leben. New Work ist dabei kein vorgefertigtes, starres Konstrukt, sondern ein gemeinsamer iterativer Prozess, der Geduld und Anpassungen erfordert. Die Vier-Tage-Woche ist erst der Anfang. (pg)