Kommentar zu Connected Cars

Das Auto der Zukunft: Vernetzt, elektrisch & autonom

07.08.2016
Von 
Matthias Schorer ist Lead Business Development Manager IoT EMEA beim Virtualisierungs- und Cloud-Anbieter VMware.
Die Automobilindustrie steht vor großen Veränderungen, die wiederum neue Fragestellungen aufwerfen. Brauche ich überhaupt noch ein eigenes Fahrzeug? Kann ich einem autonomen Fahrzeug vertrauen? Werden sich elektrisch angetriebene Fahrzeuge überhaupt durchsetzen? Und wie sieht das Auto der Zukunft als Smart Device auf Rädern aus?

Ich bin beruflich viel unterwegs, auch mit Mietwagen verschiedenster Hersteller. Und jedes Mal bin ich wieder froh, zuhause in mein Tesla Model S zu steigen. Anstatt zig verschiedener Knöpfe erwartet mich ein großer übersichtlicher Touchscreen, mit dem man vom Navigationssystem über die Klimaanlage bis hin zum Sonnendach so gut wie alles steuern kann. Für mich außerdem wichtig: Kalendertermine inklusive Ort, Zeit und Anfahrt sowie meine Spotify-Playlist sind sofort verfügbar und unkompliziert aufrufbar. "Wer einmal elektrisch gefahren ist, der ist für alle Zeiten für den Verbrenner verloren", sagte unlängst Stefan Niemand, Leiter Battery Electric Vehicles bei Audi. In meinem Fall trifft das absolut zu. Sie merken schon, ich bin ein Fan – werde aber trotzdem versuchen, einen neutralen bis kritischen Blick auf das Auto der Zukunft zu werfen.

Connected Cars: Lösung für den Verkehrskollaps?

Dass vernetzte, elektrisch angetriebene und autonome Fahrzeuge die Zukunft sind, ist für mich persönlich schon lange klar. Das Modell des ausschließlich privat genutzten Automobils mit konventionellem Verbrennungsmotor hat ausgedient. Ob New York, Shanghai oder Istanbul: Egal welche Großstadt der Welt man sich zur Rush Hour anschaut, überall herrscht das gleiche Bild. Stehende Blechlawinen, soweit das Auge reicht, Abgase die die Luft verpesten. Dazu kommt noch die Tatsache, dass private Fahrzeuge mehrheitlich mindestens 22 Stunden pro Tag nutzlos wertvollen Raum in Anspruch nehmen und großvolumige Parkplätze und -häuser nicht gerade eine Augenweide darstellen. Noch dazu legt der durchschnittliche Deutsche laut ADAC gerade mal 36 Kilometer pro Tag mit dem Auto zurück. Einmal ganz abgesehen vom Aspekt der Umweltverträglichkeit und der Nachhaltigkeit.

Um dem Verkehrskollaps entgegen zu wirken, haben einige Städte bereits damit begonnen, autonome, vernetzte und gemeinschaftlich genutzte Fahrzeuge einzusetzen: In San Sebastian (Spanien), Wageningen (Niederlande), Ede (Niederlande) und Sitten (Schweiz) fahren bereits vollautonome Kleinbusse im Straßenverkehr. Auch in Asien sind innovative Projekte auf dem Vormarsch. Die MIT-Ausgründung namens nuTonomy plant autonome E-Taxis für den Insel- und Stadtstaat Singapur mit über fünf Millionen Einwohnern. Die autonomen Taxis könnten private PKWs im großen Stil ersetzen, ohne dass die Wartezeit 15 Minuten überschreitet. Für Großstädte mit limitiertem Platzangebot ist eine Reduzierung des PKW-Bestands um 60 Prozent ein echtes Argument. In meinen Augen sieht so das Verkehrskonzept der Zukunft für Großstädte aus. Die Vision von Tesla-Gründer Elon Musk geht in eine ähnliche Richtung: "Ich denke, es wird einen neuen Auto- oder Fahrzeugtyp geben, der für den öffentlichen Nahverkehr gut ist und der die Leute zu ihrem Ziel und nicht nur bis zur Bushaltestelle bringen könnte." Es gibt Vermutungen, dass es sich um eng hintereinander fahrende oder gar verbundene Fahrzeuge handelt, die die Nutzer direkt vor die Haustür bringen können – und Kosten sparen, da sie ohne Fahrer auskommen. Aber auch die Idee sein autonomes Fahrzeug Geld verdienen zu lassen, während man es nicht braucht, wurde schon von Elon Musk als Teil seines Masterplans 2.0 ausgesprochen.

Doch außerhalb der großen Ballungszentren wird der privat genutzte PKW weiterhin den Verkehr dominieren. Deutschland als stark von der traditionellen Autoindustrie geprägtes Land gehört in Sachen Innovationskraft nicht zu den internationalen Spitzenreitern. Neben den USA gibt Asien hier den Ton an und wenn Deutschland respektive Europa sich hier nicht abhängen lassen wollen, muss definitiv mehr passieren und zahlreiche Bremsklötze aus dem Weg geschafft werden. Der Status Quo: 50,3 Prozent aller Fahrzeuge in Deutschland fahren mit Benzin, 48 Prozent mit Diesel – den Rest teilen sich alle anderen alternativen Antriebe. Die Dominanz der Verbrenner ist nach wie vor ungebrochen. Doch woran liegt das?

Statussymbol Auto in Gefahr: Share-Modelle im Aufwind

Lange galt das Auto in Deutschland als das Statussymbol schlechthin. Es wurde gehegt und gepflegt, geputzt und gewienert und war für viele der Inbegriff von Freiheit und Wohlstand. Doch mit dem Generationswechsel tut sich auch in dieser Hinsicht einiges: Junge Menschen teilen sich inzwischen ein Auto oder nutzen Carsharing bei Drive Now oder Car2go. Laut einer Studie erklären 37 Prozent der jungen Deutschen zwischen 18 und 34 Jahren, dass Carsharing für sie "eine gute Alternative zum eigenen Auto" sei. Ebenso viele bekennen sich dazu, sie könnten sich "ein Leben ohne Führerschein und Auto gut vorstellen" – Tendenz steigend. Das sind Zahlen, die die Automobilhersteller alarmieren sollten.

Elektroauto-Umschwung: Ladestation beim Discounter

Ein großes Argument gegen Elektroautos ist immer noch die mangelhafte Ladesäulen-Infratstruktur. Doch die bisher magere Verbreitung der Ladestationen in Deutschland bekam im letzten Jahr einen Schub. Seitdem Mitte 2015 die erste kostenlose Ladestation auf einem ALDI-Parkplatz eröffnete, hat sich die Situation massiv verbessert. 2,2 Millionen Euro investierte der Handelsriese in die Aktion "Sonne tanken". Manch einer mag sich wundern: Denn der typische Aldi-Kunde scheint auf den ersten Blick wenig Gemeinsamkeiten mit dem durchschnittlichen E-Autofahrer zu haben. Klar ist aber auch, dass angesichts der mangelnden Ladestationen das Angebot von Aldi Süd sehr gelegen kommt: Kostenlos parken, das Auto aufladen und gleichzeitig noch ein paar Besorgungen machen? Da sagen auch BMW-i- und Tesla-Besitzer nicht Nein. Für die Elektromobilität ist das ein wichtiger Schritt in Richtung Massenmarkt.

Wir sind aber trotz dieser lobenswerten Initiativen noch weit davon entfernt, ein Elektroauto-Mekka zu werden. Wirft man einen Blick über die Grenze in die Niederlande, wird man feststellen, dass unser Nachbarland die E-Mobilität richtig fördert: nicht mit fragwürdigen Zuschüssen, sondern mit einer ausreichenden Ladeinfrastruktur. In Amsterdam muss man seinen Elektroboliden nur anmelden und schon erstellt die Stadt einen Ladepunkt in der Nähe des Wohnorts, falls dort noch keiner vorhanden ist. Auch in dieser Hinsicht kommt man nicht umhin, erneut die Vorreiterrolle Teslas zu betonen. Der US-Elektropionier forciert den Aufbau eines flächendeckendes Netzes von Stromtankstellen - sogenannter Superchargern - an allen Autobahnen Europas. Hier kann man seinem Tesla innerhalb von nur 15 bis 30 Minuten eine kostenlose Komplettladung verpassen, womit auch Reisen von der Schweiz bis zum Nordkap und zurück kein Problem darstellen sollten - wenn man seine Route richtig plant.

Seit dem schlagzeilenträchtigen, tödlichen Unfall eines Model-S-Besitzers bei aktivierter Autopilot-Software stehen nicht nur Tesla und seine Technologie-Zulieferer in der Kritik, sondern das autonome Fahren ganz generell. Ich bin der Meinung, dass sich das autonome Fahrzeug auf lange Sicht durchsetzen wird, allerdings sind wir heutzutage noch weit davon entfernt. Gerade in diesem Bereich gibt es zahlreiche Mischformen beziehungsweise Unterstützungsangebote wie semi-autonomes oder pilotiertes Fahren, das den Fahrer situationsabhängig unterstützt. Ein solches Szenario ist beispielsweise der Stop-and-Go-Verkehr: Das stetige Anfahren und Abbremsen bei niedrigen Geschwindigkeiten kann die Software wesentlich effizienter. In der Regel reagieren die autonomen Systeme tatsächlich auch viel schneller auf gefährliche Situationen als der menschliche Fahrer – aber sie entbinden diesen heute noch nicht davon, seine Aufmerksamkeit auf die Straße zu richten.

Menschliches Versagen vs. Autonomes Fahren

Die größte Herausforderung ist hier das Vertrauen der Fahrer in die Technik und in die Hersteller. Dabei ist die Technik insgesamt gesehen, wie erwähnt, weitaus vertrauenswürdiger als der Mensch. Laut einer aktuellen US-amerikanischen Studie sind technische Defekte wie Bremsversagen oder ein geplatzter Reifen in der Unfallstatistik fast bedeutungslos geworden. Nur für etwa jeden tausendsten Unfall kann eine solche technische Ursache verantwortlich gemacht werden. Menschliches Versagen wie Müdigkeit, eingeschränkte Fahrtüchtigkeit oder Ablenkung - beispielsweise durch das Handy - spielt bei neun von zehn Unfällen eine Rolle. Daraus ließe sich schließen, dass das Auto immer sicherer wird - der Mensch dagegen zur immer größeren Gefahr. Im Grunde müsste man den Tesla-Unfällen der letzten Zeit die abertausende Unfälle gegenüber stellen, die durch menschliches Versagen verursacht wurden.

Und genau dafür könnte das autonome Fahren die Lösung sein. Denn wie beim Autopiloten im Flugzeug wird der Fahrer nur noch in schwierigen Situationen oder Notfällen benötigt beziehungsweise ist in erster Linie für die Überwachung der Systeme zuständig. Mit dem autonomen Fahren gewinnt der Mensch etwas, von dem er immer zu wenig hat: Zeit. Zeit zum Lesen, für Gespräche und Filme, aber natürlich auch für die Arbeit, die sich so noch flexibler und ortsunabhängiger gestalten lässt.

Das Empfinden für das Thema Autofahren wird sich von Grund auf verändern. Sogar Staus oder das Einparken verlieren ihren Schrecken, weil das Fahrzeug diese Aufgaben völlig selbstständig meistert. Lange Fahrten fordern nicht mehr so viel Aufmerksamkeit vom Fahrer und minimieren so die Gefahr müdigkeitsbedingter Unfälle. Dennoch gibt es hier noch einiges zu tun und viele offene Fragen: beispielsweise die nach der Haftung im Falle eines von einem autonomen Fahrzeugs versursachten Unfalls mit Personenschaden.

Das Auto als Teil des Internet of Things

Das vernetzte Auto kommuniziert jedoch nicht nur mit seinem Fahrer, sondern auch mit anderen Fahrzeugen und seiner Umwelt. Durch die Sammlung dieser unterschiedlichen Daten sollen frühzeitige Warnungen vor Glatteis, Staus oder anderen Hindernissen ermöglicht und dadurch der Straßenverkehr sicherer und zügiger gestaltet werden. Außerdem sind natürlich Entertainment-Angeboten keine Grenzen gesetzt: Ob Zeichentrickfilme für die quengelnden Kinder auf der Rückbank, Computerspiele, Musik, Serien oder die Abendnachrichten – über verschiedene Screens im Fahrzeug kann sich jeder Mitfahrer sein maßgeschneidertes Unterhaltungsprogramm zusammenstellen. Auf diesem Gebiet sehen sich Automobilhersteller mit Konkurrenz aus der IT- und Unterhaltungs-Branche konfrontiert, die in diesen Belangen oftmals besser aufgestellt sind. Die Software spielt bereits heutzutage eine entscheidende Rolle bei der Bedienung moderner Fahrzeuge. Doch in der Zukunft wird die Software sogar zum Hauptmerkmal der Revolution des Personentransports.

Im Grunde wandelt sich das Auto im Zuge des Internet of Things zu einem fahrenden Teil des Internets: ein erweiterter Wohn- und Lebensraum, dessen Oberflächen als Informationsquelle dienen. In den nächsten zehn Jahren wird sich das Auto zu einem persönlicheren und sozialeren Ort transformieren. (fm)