Ein Beispiel aus dem Fußball

Warum Zielvereinbarungen nicht funktionieren

26.02.2024
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Aufgabenziel: Schießen, nicht treffen

Kommen wir zu den aufgabenbezogenen Zielen. Müller soll in der Saison mindestens zehn Tore schießen. Das wird eng, denn er hat gerade eine Pechsträhne, außerdem war er ein paar Mal verletzt und saß im Club zuletzt oft auf der Ersatzbank. Zuletzt hat ihn der Trainer auch noch ausgewechselt, weil er sehen wollte, ob vielleicht ein anderer in der Rolle die bessere Wahl wäre.

Müller schießt die Elfmeter. Das ist sein Ziel. Zu treffen ist nicht so wichtig.
Müller schießt die Elfmeter. Das ist sein Ziel. Zu treffen ist nicht so wichtig.
Foto: EFKS - shutterstock.com

Um seine Torziel kurz vor Saisonende doch noch zu erreichen, schießt Müller in den beiden letzten Spielen des Jahres aus jeder Lage auf das gegnerische Tor - zum Ärger seiner oft besser positionierten Mitspieler. Denen hat er aber schon im Laufe des Jahres die ausgemachten acht Treffer aufgelegt, kein Handlungsbedarf also, was das Assist-Ziel betrifft. Müller trifft tatsächlich und macht seine zehn Treffer. Allerdings fällt die Länderspielbilanz insgesamt negativ aus. Das liegt auch daran, dass der Stürmer alle Elfmeter geschossen hat: Von sieben hat er fünf versemmelt. Nicht gerade toll, diese Bilanz, aber - so what? Ziel erreicht!

Entwicklungsziel: Englisch statt Fußball

Bleiben die entwicklungsbezogenen Ziele. Statt zu trainieren hat Müller am Englischunterricht teilgenommen und zu Hause gebüffelt. So lautet nun Mal sein Ziel, auch wenn er gar keine Lust auf Pressekonferenzen in Englisch hat und auch nicht beabsichtigt, in die Premier League zu wechseln. Er hat ja gerade erst in der Bundesliga seinen Vertrag verlängert und ist auch schon 32 Jahre alt. In die Pressekonferenzen könnte ja eigentlich der Innenverteidiger gehen, der hat bekanntlich viele Jahre in Manchester gespielt und ist deshalb der englischen Sprache sicher mächtig. Aber der hat andere Zielvereinbarungen.

Der Rhetorikkurs kommt Müller da schon eher gelegen. Könnte nützlich werden, wenn der Stürmer nach seiner aktiven Karriere bei Sky oder Dazn als Ko-Kommentator einsteigen möchte. Dieses Ziel deckt sich also endlich mal mit seinem Privatinteresse. Bleibt noch das Torschuss-Training. Wie bereits erwähnt, hat es sich nicht bewährt, aus jeder Lage auf's Tor zu dreschen, auch wenn Müller hier zweifellos besser geworden ist. Er hat sogar zweimal die Latte getroffen.

Im betrieblichen Alltag sind Mitarbeiterziele oft kontraproduktiv

Wer nun denkt, das Fußballbeispiel sei nicht auf das eigene Unternehmen zu übertragen, hat sicher Recht. Aber es gibt Parallelen. Nehmen wir einfach mal den Vertrieb: Niemandem ist geholfen, wenn der Verkäufer statt 120 nun 150 Kunden im Jahr ansprechen soll, aber weniger Abschlüsse vereinbart, weil er sich nicht mehr genug Zeit für den einzelnen Kunden nehmen kann. Oder nehmen wir den IT-Support, der jetzt noch mehr Tickets abarbeiten soll, aber aus Zeitmangel weniger Probleme löst, weshalb sich die Anwender jetzt gegenseitig helfen und der Hey-Joe-Effekt greift. Oder den Sachbearbeiter, der 20 Prozent mehr Fälle auf dem Tisch liegen hat, aber am Ende mit einem Burnout in der Nervenklinik landet.

Zielvereinbarungen folgen der Illusion, es gäbe einfache Lösungen für komplexe Aufgaben. Die Idee, die Mitarbeitenden zu motivieren, gezielt zu fördern und ihnen das Gefühl zu geben, ein wichtiger Baustein in einem funktionierenden System zu sein, ist ehrenhaft. Allein, sie funktioniert nicht. Unternehmen verändern sich ständig, in den seltensten Fällen lassen sich - ausgehend von der Konzernstrategie bis auf die unterste Arbeitsebene - sinnvolle Individualziele formulieren. Immerhin verdienen die Beratungshäuser gut daran, diese Illusion aufrechtzuerhalten.

Am Ende kommt es für Unternehmen und ihre Vorstände darauf an, die Menschen zu begeistern und eine Kultur des Vertrauens zu schaffen. Es geht um sinnvolle Aufgaben, Zugehörigkeit, ein Gemeinschaftsgefühl - und damit letztlich um Bindung. Haben die Beschäftigten Klarheit darüber, wohin es gehen soll, und zudem das Gefühl, einen wertvollen Beitrag zu leisten und dabei aufrichtig und fair behandelt zu werden, werden sie sich verantwortlich fühlen und entsprechend handeln. Dann gehen sie, um in der Fußballersprache zu bleiben, auch mal dahin, wo es wehtut.

Sie konzentrieren sich nicht auf ihre Partikularziele, sondern auf das Team, in dem alle gerne zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Die Menschen erledigen ihre Aufgaben motiviert und mit Überzeugung - ohne, dass ihnen ständig eine Möhre vorgehalten werden muss. Und zum Schluss: Eine gute Idee ist es auch, die Menschen am Erfolg ihres Unternehmens zu beteiligen und ebenso auch mal gemeinsam Durststrecken zu durchstehen. Das hilft den Unternehmenszielen mehr als jede betriebliche Zielvereinbarung.