Kein Job für Anfänger

Projektarbeit in China

11.06.2013
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
In China ist Improvisationstalent gefragt. IT-Projekte folgen dort eigenen Gesetzmäßigkeiten. Sebastian Tschödrich von NTT Data erzählt, wie er mit den Unwägbarkeiten im Reich der Mitte umgeht.
Foto: klange76 - Fotolia.com

Auf sein erstes Projekt in China hatte sich Sebastian Tschödrich gut vorbereitet. Nach interkulturellem Training, eigenen Recherchen, einem Stapel Ratgeberliteratur und Gesprächen mit Kollegen fühlte sich der 30-Jährige fit für die neue Herausforderung. In Peking angekommen, drückte Tschödrich dem Taxifahrer stolz einen Zettel mit der Anschrift des Hotels in die Hand, den ein chinesischer Kollege in gut lesbaren Schriftzeichen notiert hatte. Bald wunderte er sich, dass der Fahrer planlos durch die chinesische Metropole kurvte. Schnell war klar: Der Taxifahrer konnte nicht lesen. Kurz entschlossen rief Tschödrich einen Mandarin sprechenden Kollegen an, hielt dem Fahrer das Mobiltelefon ans Ohr und ließ sich so auf direktem Weg zum Hotel kutschieren.

"Ich kann schon bestellen"

Sebastian Tschödrich, NTT Data: "Den deutschen Pragmatismus habe ich abgelegt."
Sebastian Tschödrich, NTT Data: "Den deutschen Pragmatismus habe ich abgelegt."
Foto: NTT Data

"Ich hatte einen abenteuerlichen Start", lacht der Senior-Berater heute, drei Monate später, über diese Anekdote. Für seinen Arbeitgeber NTT Data verantwortet er das Rollout eines großen Customer-Relationship-Management-(CRM-)Projekts für den deutschen Autohersteller Daimler in China. Inzwischen meistert Tschödrich einfache Alltagssituationen gut in der neuen Sprache: "Ich kann im Restaurant bestellen und einfache Dinge erklären. Bisher spanne ich meine chinesischen Kollegen als Sprachlehrer ein, doch ich habe mich auch für einen Sprachkurs angemeldet."

Bevor sich ein Projektteam auf die Reise macht, laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, besonders wenn es sich um einen internationalen Rollout handelt. "Zunächst definieren wir mit dem Kunden die Anforderungen an die Software, den zeitlichen Ablauf sowie die lokalen Besonderheiten des Marktes", erklärt Matthias Hanitsch, Vice President Customer Management CRM für NTT Data in Europa. Mehr als 280 IT-Berater zählt sein Team, zu dem auch Tschödrich gehört. Hanitsch bringt selbst Beratererfahrung aus vielen Ländern mit: "Potenzielle Probleme gibt es massenweise: von der Akzeptanz der neuen Software über Kosten- und Zeitdruck bis zur Migration von großen Datensätzen in das neue System." Gerade Zwischentöne, auf die es in hektischen Projektphasen ankomme, können durch die Projektsprache Englisch verloren gehen.

Viele Methoden sind unbrauchbar

Senior-Berater Tschödrich weiß, dass Projekte in China anspruchsvoll sind und die Lernkurve viel steiler als in Deutschland ist. Zu Beginn besprach der 30-Jährige zwar mit seinem Team das Einmaleins der Projektarbeit, stellte jedoch schnell fest, dass viele Methoden in Asien unbrauchbar sind. Seine chinesischen Kollegen kämen nie auf die Idee, offen Kritik zu äußern oder zu Arbeitsschritten Fragen zu stellen, selbst wenn sie die Aufgabe nicht verstanden haben. Tschödrich weiß, dass er niemanden offen kritisieren darf, das käme einer Bloßstellung gleich und würde das Projekt gefährden. Oft sind die chinesischen Mitarbeiter viel zu stolz, um zuzugeben, dass sie einer Aufgabe nicht gewachsen sind. "Meinen deutschen Pragmatismus habe ich abgelegt. Heute wäge ich ab, wie ich Arbeitsaufträge verteile, und überlege mir vorher, wie es beim Gegenüber ankommen könnte. Ich streue mehr Metaphern ein, da eine bilderreiche Sprache für die chinesischen Kollegen anschaulicher ist." Indem sich der Senior-Berater von seinen Mitarbeitern erklären lässt, wie sie an eine Aufgabe herangehen, weiß er schneller, ob sie auf dem richtigen Weg sind. Regelmäßig sprechen sie auch kleinere Arbeitsschritte ab.

Große Portion Diplomatie

Dieses behutsame Vorgehen erfordert eine große Portion Diplomatie, damit das Gegenüber nicht verunsichert wird. "Ich arbeite hier weniger inhaltlich, sondern kümmere mich mehr um die Projektsteuerung", sagt Tschödrich. Zwar kostet regelmäßiges Nachfragen Zeit, schützt aber vor bösen Überraschungen: "Es gibt natürlich Zeitpuffer in der Projektplanung, doch die benötigen wir auch." Tschödrich sieht sich hohen Erwartungen gegenüber: "Alle gehen davon aus, dass ich auf jede Frage eine Antwort weiß und dass alles reibungslos funktioniert. Als ich einmal einen Fehler eingeräumt habe, waren die Kollegen überrascht." Hanitsch weiß, wie wichtig Wertschätzung und ein persönliches Vertrauensverhältnis auf Management-Ebene sind. Gerade in China oder Japan müssten Unternehmen Geduld aufbringen, um längere Entscheidungswege zu akzeptieren. Das schnellere Arbeitstempo während des Projekts gleiche solche Verzögerungen wieder aus. "Für die internationale IT-Beratung brauchen Mitarbeiter Fachwissen und Persönlichkeit. Das ist keine Aufgabe für Berufsanfänger." , sagt Hanitsch. Das Alter des Projektleiters spiele dagegen eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sei, offen für Neues und rücksichtsvoll gegenüber der fremden Kultur zu sein. "Respekt im Projektteam muss man sich verdienen, das ist keine Frage des Alters."

Gründliche Vorbereitung

Seit 2008 gehört das ehemals mittelständische Münchner Beratungsunternehmen Cirquent mit seinen 1500 Mitarbeitern zum global agierenden Konzern NTT Data. 2012 verschwand auch der frühere Firmenname. Das japanische Technologieunternehmen beschäftigt weltweit rund 59.000 Mitarbeiter in 39 Ländern. Neben Asien und den USA gilt Europa als wichtiges Marktsegment. Die Analysten von Gartner positionierten NTT Data auf Platz sechs ihrer Liste der weltgrößten IT-Service-Unternehmen.

Zu den Aufgaben von Uwe Kloos, Head of Human Resources und Organisation in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zählt es, die Mitarbeiter auf die internationalen Aufgaben vorzubereiten. Gerade wenn Kollegen mit ihren Familien Deutschland für längere Zeit verlassen, bedarf es einer umfassenden Planung und Unterstützung. Beträgt die Projektlaufzeit mehrere Monate, gibt es flexible Reisevereinbarungen. "Wir bieten dann eine Mischung aus Arbeit und Urlaub an, indem wir beispielsweise die Besuche der Familie finanzieren", sagt Kloos. "Junge Mitarbeiter sehen mittlerweile internationale Aufgaben als selbstverständlich an." (am)