Betriebe wie gelähmt

Never touch a SAP-System?

25.10.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
SAP-Systeme sind der Motor für den Geschäftsbetrieb. Aus Angst vor Unterbrechungen und schlechten Erfahrungen trauen sich viele Unternehmen nicht an Veränderungen heran.
Der SAP-Motor muss laufen, sonst steht der Geschäftsbetrieb. Deshalb: Lieber Finger weg!
Der SAP-Motor muss laufen, sonst steht der Geschäftsbetrieb. Deshalb: Lieber Finger weg!
Foto: AMatveev - shutterstock.com

Auf kaum eine andere System-Landschaft passt die Aussage "Never touch a running system" besser als auf SAP. Die Software ist in aller Regel der Dreh- und Angelpunkt im Betriebsgefüge eines Unternehmens. Umso zurückhaltender sind die Verantwortlichen, wenn es um Änderungen geht.

Basis Technologies, ein Anbieter von Transformationslösungen rund um SAP, hat 200 SAP-Verantwortliche in Deutschland, Großbritannien und den USA befragen lassen, wie sie mit Anpassungen in ihren Systemen umgehen. Nahezu alle Interviewteilnehmer (96 Prozent) geben an, dass das Funktionieren ihrer SAP-Umgebung entscheidend für reibungslose Prozesse und damit für den Unternehmenserfolg sei. Entsprechend vorsichtig fassen sie ihre Systeme an. 85 Prozent der Manager erklärten, dass sie Änderungen in SAP-Systemen vorsichtiger angingen als solche in anderen Anwendungen.

SAP-Anwender haben schlechte Erfahrungen gemacht

Das hat verschiedene Gründe: Nahezu alle Unternehmen wollen nur ungern den Betrieb ihrer kritischen Geschäftssysteme unterbrechen, was aber notwendig wäre, wenn die SAP-Landschaft optimiert werden soll. Dazu kommt, dass viele SAP-Nutzer schlechte Erfahrungen mit Anpassungen gemacht haben (44 Prozent). Vier von zehn Betrieben geben zudem an, dass Änderungsprozesse in SAP zu aufwändig und teuer seien.

Den Betrieben fehlen offenbar auch geeignete Werkzeuge, um analysieren zu können, wie sich Änderungen im SAP-System auswirken würden. Fast sechs von zehn Befragten räumen ein, auf Excel-Tabellen zurückzugreifen, um Änderungen in ihrer SAP-Landschaft nachzuvollziehen.

Viele Firmen leiden unter SAP-Kater

"Die Unternehmen leiden unter einer Art 'SAP-Kater', der Best Practices behindert, und verlassen sich auf archaische Tabellenkalkulationen", sagt Mark Albrecht, Managing Director für die DACH-Region bei Basis Technologies. "Es ist erstaunlich, dass zu einer Zeit, in der SAP ein generatives KI-Angebot für Unternehmen herausbringt, diese immer noch versuchen, ihre Systeme wie im Jahr 1985 zu betreiben und zu verwalten."

Das hat negative Folgen für die Transformationsfähigkeit und auch für die Wachstumsziele der betreffenden Unternehmen. 88 Prozent der Befragten räumen ein, dass die mit SAP-Veränderungen verknüpften Herausforderungen nahezu unüberwindbare Hindernisse in einer SAP-basierten Unternehmenstransformation darstellten.

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Die innovativen Möglichkeiten künftiger Anwendungsgenerationen würden von etlichen Unternehmen nicht genutzt, heißt es in einer Mitteilung von Basis Technologies zur Umfrage. Stattdessen sorgten sich die Betriebe wegen der Komplexität. Rund die Hälfte der auf SAP spezialisierten Change Manager sei in erster Linie mit dem Widerstand der Organisationen gegen Veränderungen beschäftigt. Daraus könne eine erhebliche Fortschrittsbremse resultieren.

Es braucht klare Ansagen für die SAP-basierte Transformation

In der Diskussion darüber, wer die Verantwortung für SAP-geführte Transformationsstrategien übernehmen sollte, offenbart die Studie einen eklatanten Widerspruch: Mehr als ein Drittel der SAP-Manager ist demnach der Meinung, dass die eigene Führungsspitze zusammen mit SAP-Verantwortlichen den Kopf hinhalten sollte. Sie plane die geschäftlichen Veränderungen, also müsse sie auch die Transformationsstrategie verantworten. Nach Angaben der Befragten sehen sich aber nur 13 Prozent der CEOs in der Verantwortung für die SAP-basierte Transformation. Mehr als die Hälfte der SAP-Manager erklärte, sie hätten bei diesem Veränderungsprozess selbst den Hut auf.

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"Die oberste Führungsebene muss ihr IT-Bewusstsein schärfen, damit sie fundiertere Entscheidungen treffen kann", fordert Albrecht. IT-Abteilungen arbeiteten oft in Silos, und der Aufgabenbereich der CIOs habe sich stark ausgeweitet, so dass vielfach nicht unbedingt das notwendige SAP-Wissen vorhanden sei. "Die Realität ist, dass sich der moderne CIO auf neuere, glänzendere, aber letztlich weniger bedeutende Technologien konzentriert."