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SAP S/4HANA-Umstieg – das Migrationstempo wird langsamer

07.06.2023
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
SAPs Wartungsuhr tickt unerbittlich. Doch der Großteil der SAP-Anwender hat den Umstieg auf S/4HANA noch vor sich. Schwierigere Rahmenbedingungen bremsen das Tempo bei der Migration.
Der Umstieg auf S/4HANA ist mühselig. Viele Anwenderunternehmen kommen dabei nur langsam voran.
Der Umstieg auf S/4HANA ist mühselig. Viele Anwenderunternehmen kommen dabei nur langsam voran.
Foto: SAP SE

Erst gut ein Fünftel der SAP-Anwender können von sich behaupten, die Migration auf S/4HANA erfolgreich abgeschlossen zu haben. Knapp drei Viertel der Betriebe haben den Umstieg auf SAPs aktuelle Produktgeneration noch vor sich und sieben Prozent sagen, sie wollen erst einmal nicht umstellen. Das ist das Kernergebnis einer Umfrage des SAP-Partners und Consulting- und Softwarehauses Valantic. Befragt wurden dafür im März und April dieses Jahres 73 Vertreterinnen und Vertreter aus SAP-Anwenderunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Insgesamt hat sich das Migrationstempo offenbar etwas verlangsamt. Die Valantic-Experten führen das auf die aktuell angespannte geopolitische Lage sowie die wirtschaftlich schwierige Situation zurück, in der viele Unternehmen stecken. Komplexe Projekte wie eine SAP-Migration, die viele Ressourcen binden und mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden sind, werden auf den Prüfstand gestellt und, wenn nicht unbedingt erforderlich, gerne erst einmal auf Eis gelegt.

Die Optimierung kommt nach der Umstellung

Angesichts des näher rückenden Wartungsende für SAPs Vorgänger-ERP-Systeme spätestens Ende des Jahrzehnts werden die Anwender allerdings um eine Migration nicht herumkommen. Vier von zehn befragten Unternehmen bevorzugen dabei einen Brownfield-Ansatz. Das heißt, sie gehen den Weg einer technischen Migration mit nur leichten Veränderungen hinsichtlich der Optimierung von Prozessen.

Erst die technische Migration hinter sich bringen, dann die Optimierungen angehen - die Valantic-Experten sprechen dabei von einem Extended-Brownfield-Ansatz, der die Migration entzerren kann.
Erst die technische Migration hinter sich bringen, dann die Optimierungen angehen - die Valantic-Experten sprechen dabei von einem Extended-Brownfield-Ansatz, der die Migration entzerren kann.
Foto: Valantic

Der Greenfield-Ansatz gewinnt wieder an Beliebtheit. Nach knapp 21 Prozent im Vorjahr gaben aktuell fast 28 Prozent der Befragten an, diesen Weg gehen zu wollen. Dabei nutzen Unternehmen die Gelegenheit, anlässlich der Migration ihre Prozesse und ihre Lösungsarchitektur auf den Prüfstand zu stellen und zu optimieren. Die Bluefield-Methode, eine Kombination aus Brown- und Greenfield, will etwa ein Drittel der Befragen den Vorzug geben.

Studie SAP S/4HANA: S/4HANA treibt Prozessoptimierung

Die Bekanntheit von SAPs Cloud-Initiativen, vor allem hinsichtlich des Programms Rise with SAP und der Private Cloud, nimmt laut Valantic-Umfrage deutlich zu. Die Experten interpretieren dies auch als schwindende Skepsis gegenüber der Cloud. Ganz ausgeräumt seien die Vorbehalte allerdings nicht, müssen die Berater zugeben. Ganz oben auf der Sorgenliste steht die große Anzahl bestehender Eigenentwicklungen, die bislang on-premises laufen und die nicht oder nur teilweise in die Cloud mitgenommen werden können. Dazu kommen fehlende Customizing-Möglichkeiten, insbesondere in der Public Cloud, und Bedenken bei Datenschutz und Datensicherheit.

BTP noch nicht bei den Kunden angekommen

Die Business Technology Platform (BTP), die SAP seit einigen Jahren als zentrale Integrationsplattform für seine S/4HANA-Welt platziert, scheint in den Reihen der eigenen Klientel noch nicht wirklich angekommen. Erst ein Drittel hat die BTP im Einsatz, weitere 13 Prozent arbeiten derzeit an der Einführung. Über die Hälfte haben bis dato keine Berührungspunkte mit SAPs BTP. Als Hauptgrund wird angegeben: Wir haben uns noch nicht ausreichend mit der SAP BTP beschäftigt (64 Prozent). Vermeintlich hohe Kosten halten knapp 18 Prozent von der Einführung ab.

Timo Rüb, Vice President bei valantic ERP Consulting, ruft die Anwenderunternehmen auf, SAPs Business Technology Platform (BTP) stärker in ihren Planungen zu berücksichtigen.
Timo Rüb, Vice President bei valantic ERP Consulting, ruft die Anwenderunternehmen auf, SAPs Business Technology Platform (BTP) stärker in ihren Planungen zu berücksichtigen.
Foto: Valantic

An dieser Stelle scheint mehr Aufklärungsarbeit gefordert. "Die SAP Business Technology Platform kann von Unternehmen genutzt werden, um die Zukunftsarchitektur der nächsten fünf bis zehn Jahre zu schaffen", sagt Timo Rüb, Vice President bei valantic ERP Consulting. Aus seiner Sicht sei es kaum mehr vorstellbar, ohne die BTP auf SAP S/4HANA zu migrieren. "Die Vorteile und der schnelle Return-on-Invest, den wir in einigen unserer Kundenprojekten sehen, wird von Unternehmen noch nicht intensiv genug genutzt."

Hype um RPA ebbt ab

Etwas ausgereizt scheint indes das Thema Robotic Process Automation (RPA). Zwar sei Automatisierung nach wie vor ein Kernanliegen vieler SAP-Anwender, RPA - der Automatisierungshype der vergangenen Jahre - ebbt nach Einschätzung der Valantic-Experten aber spürbar ab. Auf die Frage, welche Automatisierungslösungen für das eigene Unternehmen in Frage kämen, nannten nurmehr knapp 54 Prozent RPA. Vor zwei Jahren waren es noch fast 85 Prozent. Möglicherweise sind alle "low hanging fruits" per RPA in den Unternehmen bereits gepflückt und jetzt geht es an die anspruchsvolleren Automatisierungsprojekte, mutmaßen die SAP-Berater.

Deutlich zugelegt hat das Interesse der SAP-Anwender an Conversational AI und ChatBots im Zusammenhang mit Automatisierungsinitiativen - von 14 Prozent im vergangenen Jahr auf aktuell 30 Prozent. Nach dem Megahype rund um ChatGPT würden die Betriebe nun beginnen, belastbare Business-Szenarien für den Einsatz der Sprachmodelle zu evaluieren, glauben die Valantic-Experten. Unternehmerischen Mehrwert des Sprachmodells GPT-4 sehen sie unter anderem in den Bereichen interne und externe Kommunikation, Service, Support und Beratung.

Process Mining: SAPs Signavio nicht automatisch gesetzt

Luft nach oben gibt es beim Thema Process Mining. Erst ein Viertel der befragten Unternehmen setzt die Technik konkret ein, beispielsweise im Finance & Controlling, in der Logistik, im Einkauf oder im Vertrieb. Vorrangiges Ziel: Prozesstransparenz schaffen - das sagen mehr als drei Viertel. Darüber hinaus geht es beim Einsatz von Process Mining auch darum, die Standardisierung von Prozessen voranzutreiben (51,2 Prozent), die Prozessdigitalsierung im Zusammenhang mit der S/4HANA-Einführung zu unterstützen (46,5 Prozent) beziehungsweise grundsätzlich eine höhere Compliance und Prozessqualität zu errecihen (39,5 Prozent).

Beim Einsatz von Process Mining gibt es noch Luft nach oben.
Beim Einsatz von Process Mining gibt es noch Luft nach oben.
Foto: Valantic

Knapp 54 Prozent der von Valantic Befragten bekunden zumindest Interesse an der Technik. Aber gut jede(r) Fünfte gab an, sich nicht für Process Mining zu interessieren. Interessant in diesem Zusammenhang: Die SAP-eigenen Process-Mining-Tools, die der Konzern mit der Übernahme von Signavio vor mehr als zwei Jahren zugekauft hatte, sind für die SAP-Anwender nicht automatisch gesetzt. 38 Prozent der Befragten präferieren die Werkzeuge von Signavio. Aber auch Celonis (29 Prozent) und UIPath (12 Prozent) sind unter den SAP-Kunden weit verbreitet. Gut jeder Fünfte bevorzugt Werkzeuge eines anderen Process-Mining-Anbieters.

Rüdiger Hoffmann, Geschäftsführer bei Valantic ERP Consulting bezeichnet Prozesstransparenz und Prozessdigitalisierung als die wichtigsten Key Benefits bei Process Mining. Doch der Manager mahnt: "Der Nutzwert von Process Mining in der Transformation wird noch nicht stark genug berücksichtigt. Process Mining muss in allen Veränderungsprojekten mitbedacht werden."