Führung

Kann KI das mittlere Management ersetzen?

19.12.2023
Von 
Kaan Bludau ist Gründer und Geschäftsführer von BludauPartners Executive Consultants GmbH.

Komplexe Situationen zu erfassen, sollte man nicht der KI überlassen

Auch die Entscheidungsfindung in komplexen Situationen ist, bei allem beeindruckenden Fortschritt, noch nicht vollständig ausgereift. Zwar können absurd komplizierte Gleichungen in beispielloser Geschwindigkeit berechnet werden, solange alle nötigen Zahlen vorhanden sind. Doch einerseits sind nicht alle Faktoren eindeutig quantifizierbar. Und andererseits sind internationale Märkte mittlerweile so derartig volatil und Wertschöpfungs- und Lieferketten so eng miteinander verknüpft, dass teilweise ein einzelnes Ereignis am anderen Ende des Globus schon am nächsten Morgen drastische unvorhersehbare Auswirkungen auf weite Teile der Weltwirtschaft haben kann.

An diesen Punkten kann sich eine Führungskraft nur auf ihren individuellen Erfahrungsschatz und ihre Intuition berufen, also KI allenfalls als eine weitere Form von Unterstützung ansehen. Moderne Leader müssen daher, neben allen zwischenmenschlichen Fähigkeiten und fachlichen Qualifikationen vor allem eines: dauerhaft die reaktionsschnelle Anpassungsfähigkeit ihres Unternehmens gewährleisten.

Fehlende Motivation = weniger Identifikation

Um als ganzes Unternehmen möglichst schnell reagieren zu können, braucht es natürlich eine entsprechend motivierte und produktive Belegschaft. Eine gerade frisch erschienene Studie der University of Illinois hat untersucht, inwiefern das Verhalten von Führungskräften die Performance und Motivation von unterstellten Teams beeinflusst. Am produktivsten und motiviertesten waren Angestellte, denen vermittelt wurde, dass sie geschätzt und anerkannt waren. Ich sehe momentan noch nicht, wie eine KI in einer Führungsposition diese Wertschätzung authentisch genug vermitteln könnte, als dass sich dies nicht negativ auf die Mitarbeiterbindung auswirkt.

Schlecht war laut der Studie Führung vor allem dann, wenn ein "Empowerment" gänzlich fehlte. Mit "Empowerment" ist hier die gezielte Abgabe von Verantwortung der Führungskraft an Angestellte gemeint, indem man sie an wichtigen Arbeitsprozessen beteiligt oder bei anstehenden Entscheidungen einbezieht. Dies fördert zum einen unterschiedliche Stärken von verschiedenen Teilen der Belegschaft, zum anderen geht eine Übernahme von Verantwortung in aller Regel auch mit einer höheren Identifikation mit dem jeweiligen Unternehmen einher.

Tatsächlich leidet unter mangelndem Empowerment der Führungskraft vor allem die Motivation der beförderungswilligen Mitarbeiter, also genau der Kerngruppe, die ein erfolgreiches Unternehmen sonst nach vorne bringt. Mit schlechter Führung hält ein Unternehmen also vor allem seine produktivsten Mitarbeiter zurück. Menschen wollen von Menschen geführt werden. Es ist fraglich, ob eine KI a) diese Differenzierung vornehmen könnte und b) in der Lage wäre, die richtigen Maßnahmen zur Förderung zu ergreifen und durchzuführen.

Mensch als Manager noch unersetzlich

Abschließend ist es zunächst wichtig zu bemerken, dass im Kontext von KI noch viele Fragen ungeklärt sind. Allem voran: Wer trägt die juristische Verantwortung für die von KI getroffenen Entscheidungen? Die gesamte Geschäftsführung, nur der Chief AI Officer (wenn es denn einen gibt) und was ist mit den ausführenden Kräften? Die Übernahme von Managementverantwortung durch KI geht nicht nur mit einer Reihe von wirtschaftlichen, sondern auch ethisch-philosophischen Fragen einher, auf die unser Justizsystem noch nicht vorbereitet ist. Auch wenn der Gedanke natürlich seinen Reiz hat, halte ich das momentan noch für absolut illusorisch und auch in Zukunft wird das schwierig bleiben.

Denn die wichtigen Aspekte und Herausforderungen einer Führungskraft sind und bleiben menschlicher Natur - Menschen wollen von Menschen geführt werden. KI ist für herausragende Führungspersönlichkeiten in aller erster Linie ein Mittel, um neue Geschäftsfelder zu erschließen und Zeit zu sparen, um sich Mehrwert schöpfenden Tätigkeiten zu widmen. Meiner Einschätzung nach wird die menschliche Kompetenz tendenziell entscheidender für die KI-Initiativen und deren Erfolg sein als Aspekte wie vorhandene Infrastruktur oder Rechenleistung.

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