Emotionen vs. Cloud

IT modernisieren - aber richtig

13.10.2020
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
Veraltete Software, angestaubte Server oder aus der Mode gekommene Nutzeroberflächen – es gibt viele Gründe, weshalb Unternehmen ihre IT-Strukturen modernisieren wollen.

Die Pandemie legte in den vergangenen Monaten ganze Wirtschaftszweige lahm. Auch manche IT-Projekte wurden auf unbestimmte Zeit verschoben, andere katapultierte die Krise ganz nach oben. Wie sieht es mit der IT-Modernisierung aus? Diese Frage bewegt auch die COMPUTERWOCHE, die zum Start der Studie "IT-Modernisierung 2021" eine virtuelle Roundtable-Diskussion veranstaltete.

"IT-Modernisierung ist heute aktuell wie nie zuvor, das Thema steht bei den Kunden weit oben auf der Agenda", sagte Lea Zurawka, Account Managerin von PKS Software aus Ravensburg. Das 1988 am Bodensee gegründete Softwarehaus ist auf die Analyse von IBM-basierten Anwendungssystemen spezialisiert. Es berät und begleitet seine Kunden in Modernisierungs- und Migrationsprozessen.

IT-Modernisierung - heute so aktuell wie nie.
IT-Modernisierung - heute so aktuell wie nie.
Foto: greenbutterfly - shutterstock.com

Die Krise ist Treiber

Jens Krüger, CTO von Workday, sieht es ähnlich. "IT-Modernisierung wird in den Unternehmen weiter vorangetrieben, Kunden interessieren sich für Cloud-Anwendungen. Die Krise ist ein Treiber, die Kunden wissen, dass es notwendig ist, etwas zu tun." Workday bietet Cloud-basierte Anwendungen für Finanzmanagement, Human Capital Management, Planung und Analyse an. Krüger beobachtet in diesen Marktsegmenten ein starkes Wachstum.

Tibor Kosche von T-Systems schätzt, dass etwa die Hälfte der Kunden ihre IT-Modernisierungsprojekte mit Hochdruck vorantreiben. "Sie wollen aufräumen", erklärte der Vice President Managed Application Retirement Services, kurz M.A.R.S., die Vorgehensweise. Kosche kennt sich mit Altsystemen aus und weiß, wie sie sich stilllegen lassen. "IT-Modernisierung findet auch von unten statt. Was nicht mehr operativ genutzt wird, kostet die Unternehmen viel Geld. Die Haltung ist: Wir räumen auf, sichern die Daten langfristig, machen sie verfügbar und bereinigen die IT-Infrastruktur. Damit schaffen wir Platz für Neues."

Ob modernisiert wird oder nicht, das hat wenig mit der jeweiligen Branche zu tun, in der sich ein Unternehmen bewegt. "Manche Projekte gehen weiter, andere werden verschoben. Das hängt mehr vom Kunden ab und weniger von der Branche", erläutert Christoph Ehlers, Technical Lead Software Engineering bei Consol. Das in München ansässige Unternehmen ist auf die Entwicklung von Individualsoftware spezialisiert.

Coronabedingt fand der Roundtable virtuell statt - das änderte aber nichts an der Diskussionsfreudigkeit der Experten.
Coronabedingt fand der Roundtable virtuell statt - das änderte aber nichts an der Diskussionsfreudigkeit der Experten.

Mehr Pragmatismus gefragt

Tobias Leicher, Z Client Architect & Z Champion for Modernization bei IBM, beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Modernisierung von Mainframe-Umgebungen bei Banken und Versicherungen. Mit der Pandemie habe sich der Fokus der Kunden verändert. "Letztes Jahr ging es noch um technische Coolness, jetzt fragen Kunden, was ihnen eine IT-Modernisierung bringt. Ich beobachte, dass die wirtschaftlich schwierige Situation in den Unternehmen zu mehr Pragmatismus führt", sagte Leicher.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'IT-Modernisierung 2021'

Um die Frage zu beantworten, wo in der Modernisierung angesetzt werden solte, eignet sich ein Software-Assessment. Lea Zurawka von PKS erklärt die Methode: "Wir schauen uns die Gesamtsituation an. Im ersten Schritt durchleuchten wir mit unserem selbstentwickelten Analyse-Tool eXplain die Legacy-Anwendungen und führen eine Komplexitäts-, Konsistenz- und Qualitätsbetrachtung durch. Schwachstellen, Probleme der Software oder toter Code kommen so unweigerlich ans Licht." Diese Analyse dient als Grundlage für die Beratungs- und Modernisierungsstrategie. Anschließend berechnet PKS für die Kunden, wie viel Geld sie eine Ablösung von Systemen und gegebenenfalls ein Umstieg auf Standardsoftware kosten würde.

Ein emotionales Thema

Die Situation in vielen Unternehmen ist ähnlich: Oft laufen IT-Systeme schon zwischen 30 und 40 Jahren, immer wieder wurde etwas hinzugefügt. Auf diese Weise entstanden unübersichtliche IT-Landschaften, die den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind. "Gemeinsam mit den Kunden überlegen wir die nächsten Schritte: Wo wird ein Mehrwert generiert? Wo müssen wir die Software aktualisieren? Lohnt es sich beispielsweise, für das Back Office auf Standardsoftware umzusteigen?", fragt Zurawka und weist darauf hin, neben technischen auch menschliche Aspekte zu beachten: Oft schätzen die Betroffenen ihre Eigenentwicklungen ganz besonders.

Die Frage, ob eine Standardsoftware nicht die bessere Alternative wäre, ist deshalb mitunter heikel. "IT-Modernisierung ist ein emotionales Thema", sagt Tobias Leicher. "Wenn Mitarbeiter für das Unternehmen Software geschrieben haben, steckt darin auch viel Wissen, das nicht verloren gehen sollte." Auch der IBM-Mann empfiehlt ein behutsames Vorgehen. "Die Unternehmen schauen jetzt genau hin, wo und ob es überhaupt Probleme gibt", beobachtet Leicher. Oft fallen Entscheidungen über eine IT-Modernisierung auf CIO-Ebene. "Es ist wichtig, darüber auch mit den Leuten zu sprechen, die die Software nutzen. Wenn beispielsweise bei einer Versicherung ein neues Interface eingeführt werden soll, lohnt es sich, vorher auch mit den Anwendern zu sprechen", so Leicher.

Nicht nur "von oben" entscheiden

Tibor Kosche unterstützt dieses Argument: "Es ist wichtig, in einem Änderungsprozess auch die Nutzer abzuholen und keine Entscheidung nur von oben zu treffen, sonst leidet später die Akzeptanz." Der T-Systems-Mann rät zu einer genauen Analyse. Gerade die Diskussion zwischen Individual- und Standardsoftware führten Firmen oft emotional. "Kunden sagen, unser System ist sehr speziell und individuell. Über die Jahre haben sie einen flotten Sportwagen zu einem behäbigen Geländewagen umgebaut", vergleicht Kosche. Dabei würden aufwendige Eigenentwicklungen oft kaum genutzt. "Doch damit haben sie Millionen versenkt. Unsere Aufgabe ist es, die Systemlandschaft von Altlasten zu befreien und die Unternehmen fit für die Zukunft zu machen", sagt Kosche. Der IT-Experte schätzt, dass sich in vielen Fällen 95 Prozent der Geschäftsprozesse mit Standardsoftware erledigen lassen.

Standardsoftware oder individuelle Lösungen?

Workday-CTO Krüger argumentiert, dass Unternehmen mit Standardsoftware am einfachsten flexibel und upgrade-fähig blieben. "Wenn ich die Worte ,Bei uns ist alles anders' in meinen Gesprächen genauer nachfrage, zeigt sich, dass viele Out-of-the-Box-Lösungen einsetzen könnten, denn im Personalwesen gibt es viele standardisierte Prozesse." Vor allem im Back Office helfe den Firmen mehr Standardisierung, so Krüger, und er fügt hinzu: "Standardisierung ist für viele ein schwieriges Wort. Dabei sehe ich oft, dass 80 Prozent der Individualsoftware überhaupt nicht genutzt wird."

Kulturelle Aspekte bremsen manches IT-Modernisierungsprojekt aus. Beharrungskräfte und Gewohnheiten finden sich in vielen Firmen. Deshalb empfangen die Angestellten externe Modernisierungsprofis oft eher mit Skepsis und Misstrauen. Auch wenn sie nur für eine begrenzte Zeit zu Gast sind, sollten sie versuchen, die Unternehmenskultur des Kunden zu verstehen. Consol-Mann Christoph Ehlers verrät seine Strategie für erfolgreiche Cloud-Transformationsprojekte: "Wir binden die Mitarbeiter unserer Kunden ein, befähigen und begeistern sie für das Neue." Entscheidend sei die Frage: "Womit fangen wir an?", so Ehlers. "Wir klassifizieren die Systeme und zeigen dem Kunden mit einem geeigneten Pilotsystem, wie Modernisierung gelingen kann. Dadurch können die Mitarbeiter erfahren, wie wir vorgehen."

Auch Leicher rät: "Es ist essenziell, die Unternehmenskultur zu berücksichtigen. IT-Modernisierung sollte zielgerichtet sein. Wir empfehlen, die Diskussion und die Entscheidungsschritte für eine neue IT-Architektur aufzuschreiben, damit es auch in fünf Jahren nachvollziehbar ist, weshalb sich ein Unternehmen für diese Lösung entschieden hat", sagt der IBMer.

Studie "IT-Modernisierung 2021": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema IT-Modernisierung führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) Herr René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Herr Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Es braucht Menschen - trotz AI

Aber auch in der Umsetzung eines IT-Modernisierungs-Projekts lauern Fallstricke. ",Schrittweise' ist das Zauberwort. Ich rate von Big-Bang-Lösungen ab, denn da geht oft etwas schief, weil zu vieles parallel passiert", sagt Leicher. Wichtig sei auch der oft vernachlässigte menschliche Faktor in Transformationsprojekten: "Es braucht Menschen, trotz AI."

Ein wenig überraschend herrschte in der Runde Konsens darüber, dass Programmiersprachen gar nicht so wichtig seien. Ein guter Programmierer lerne schnell, mit allen Sprachen umzugehen. Tobias Leicher ergänzt: "Jedes Jahr kommen neue Programmiersprachen dazu, und es ist jedes Mal eine Wette auf die Zukunft." Dabei hätten auch die alten Sprachen wie Cobol durchaus ihre Qualitäten.

Leicher kritisiert: "Viele Firmen klagen über die angeblich altmodischen Systeme und machen damit auch den Mainframe schlecht. Sie müssten viel eher Werbung dafür machen und auch jungen Bewerbern erklären, wie wichtig diese alten Anwendungen sind und dass sie auch in Zukunft gebraucht werden." Lea Zurawka sieht es ähnlich: "Ob in einer Bank oder am Flughafen - immer steckt eine Mainframe-Architektur dahinter. Jüngeren Entwicklern ist oft nicht klar, wofür Cobol, RPG oder Natural genutzt werden und wie wichtig, weil funktional mächtig und ausgereift diese Systeme heute sind. Auch eine moderne Eclipse-Entwickleroberfläche für junge Entwickler würde helfen, statt sie vor einen grün-schwarzen Bildschirm zu setzen", sagt sie.

Agile Methoden helfen

Und wie sieht es mit der Agilität aus? "Agile Methoden helfen loszulassen. Wenn beispielsweise alle zwei Wochen Sprints und Zwischenergebnisse anstehen, wissen alle, was im Modernisierungsprojekt gerade passiert", sagt Jens Krüger von Workday. "Agilität heißt, alle reden miteinander, und nicht nur, dass alles ganz schnell gehen muss", ergänzt Leicher und fügt hinzu: "Wir müssen sehr agil werden, wenn die IT-Transformation gelingen soll."

Auch wenn die Pandemie einiges durcheinander gewirbelt hat - das Leben und die IT-Modernisierung gehen weiter. Für manche Unternehmen wirkt die Krise auch wie ein Katalysator und zeigt, wie wichtig eine moderne IT-Infrastruktur ist. Die IT-Experten des Round Table empfehlen, Modernisierungsprojekte schrittweise und behutsam umzusetzen, viele Mitarbeiter in den Prozess einzubeziehen und wo es möglich ist, auf Standard-Software zu setzen.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie 'IT-Modernisierung 2021'