Die Kunst des internen Aufstiegs

Gestern Kollege, heute Chef

13.02.2011
Von Anja Dilk

Führungskräfte müssen ihren eigenen Stil finden

Der Experte rät, sich und den anderen zu zeigen: Jetzt bin ich in erster Linie Chef, aber ich bin mir der besonderen Lage als Euer Ex-Kollege bewusst und weiß, dass wir alle in einer schwierigen Situation stecken. Groth: "Wenn allen Beteiligten die neue Rolle transparent ist und man klaren Verhaltensregeln folgt, hat man auch als Chef im alten Kollegenteam großen Handlungsspielraum." Beim Skatabend dabei sein? Warum nicht. Wenn man klar macht, dass man nicht wie früher bis fünf Uhr morgens gemeinsam abstürzt. Denn solche Erlebnisse bleiben haften und können im nächsten Konflikt zum Bumerang werden.

Wie Neuaufsteiger ihre neue Rolle gegenüber dem Team kommunizieren und etablieren können, hängt freilich von vielen Variablen ab. Trainerin Astrid Schreyögg analysiert mit ihren Coachees deshalb genau: Wie ist die Persönlichkeit der neuen Führungskraft? Welche (informelle) Rolle hatte sie zuvor im Team? Wer ist ihr Vorgänger? In welcher Situation befindet sich das Unternehmen zum Zeitpunkt des Wechsels? Schreyögg: "Es ist wichtig, sich diese komplexe Ausgangssituation klar zu machen, um seine Strategie darauf abzustimmen." War der Aufsteiger als Kollege etwa die Integrationsfigur im Team, der zwischen einem hierarchisch-herrischen Chef und dem Team vermittelt hat, darf er nicht der Illusion erliegen, auch als Führungskraft everybodys Darling sein zu können. War der Vorgänger ein charismatischer, erfolgreicher Kopf, tut der Nachfolger gut daran, sich damit auseinandersetzen, dass er zunächst im Schatten des Ex-Bosses stehen wird. Er bleibt nur: sich klar abgrenzen und dem eigenen Stil folgen.

Michael Seipel, Goll Consulting: " Viele Firmen unterschätzen die Probleme beim Führungswechsel und erkennen nicht, wie viel ein holpriger Übergang das Unternehmen kostet."
Michael Seipel, Goll Consulting: " Viele Firmen unterschätzen die Probleme beim Führungswechsel und erkennen nicht, wie viel ein holpriger Übergang das Unternehmen kostet."
Foto: Michael Seipel, Goll Consulting

Michael Seipel von Goll Consulting fuchst es seit Jahren, dass es bei Chefwechseln immer noch so gewaltig holpert. Nach Einschätzung des Bonner Beraters scheitern rund ein Drittel der Führungswechsel, auch wenn es keine harte Zahlen und nur wenig Transparenz gibt. Scheitern heißt: Der neue Chef verlässt früher oder später die Position oder die Arbeitsergebnisse der Abteilung lassen deutlich nach.

Deshalb hat sich Seipel auf die Probleme des Wechsels spezialisiert. Zu ihm kommen Menschen, die beim Aufstieg nicht ins Schlingern geraten wollen. Unterstützung vom Unternehmen bekommt fast keiner von ihnen. "Viele Firmen unterschätzen die Probleme beim Führungswechsel und erkennen nicht, wie viel ein holpriger Übergang das Unternehmen kostet."

Dabei kann ein Unternehmen viel tun und zwar ganz systematisch, indem es die Wechsler individuell durch Coaching vorbereitet. Indem es Übergabegespräche einführt oder den Erfahrungsaustausch zwischen den Führungskräften etabliert. Zum Beispiel durch feste Rituale wie zwei Tage bei anderen Chefs hospitieren, die Mitarbeiter der eigenen Abteilung einen halben Tag begleiten oder Startworkshops mit dem Team organisieren. Empfehlenswert sind auch Feedbackgespräche für die ersten 100 Tage mit der Personalabteilung, in denen regelmäßig gefragt wird: Wie läuft es, wo hakt es, wie können wir dich unterstützten? All diese Schritte helfen freilich nur, wenn ein Arbeitgeber diese Regeln und Rituale ernst nimmt. Denn wenn etwa eine Unternehmenskultur vorherrscht, die Führungskräfte, die solche Instrumente nutzen, als Weicheier abstempelt, läuft jede gut gemeinte Unterstützung ins Leere.

Die Realität sieht eher so aus, dass sich der neue Boss irgendwie durchwurschteln muss. Führungskräften rät Seipel daher, so klar wie möglich herauszufinden: Was wird von mir in der neuen Chefrolle genau erwartet, welche Ziele soll ich erreichen? Dann hält er seinen Cochees einen Spiegel vor.

Christian Kuhlbrodt kann sich daran nur zu gut erinnern. Der 38-Jährige hatte gerade seinen neuen Chefposten in einer Nachbarabteilung eines Kommunikationsdienstleisters angetreten - also nicht aus dem Team heraus und innerhalb desselben Unternehmens. Verunsichert wandte er sich an den 100-Tage-Profi. Dieser ermunterte ihn, sich mit Fragen wie diesen auseinanderzusetzen: Wo stehe ich eigentlich? Wer will ich sein für mein neues Team? Was soll ich hier leisten? Wer ist wichtig, damit ich meine Ziele erreiche? Diese systematische Auseinandersetzung hat Kuhlbrodt den Umgang mit seiner neuen Situation erleichtert.

Auf Anraten seines Trainers suchte er zuerst ein Gespräch mit seinem neuen Vorgesetzten. Danach war ihm klarer, was von ihm im nächsten halben Jahr erwartet wird. Schließlich trat Kuhlbrodt vor die Mannschaft, hielt seine Antrittsrede. Er überzeugte. "Ohne mich intensiv mit meiner neuen Rolle auseinandergesetzt zu haben, hätte ich diesen Schritt nicht so leicht geschafft." Jetzt heißt es, die Position zu konsolidieren, die Kontakte zu den neuen Führungskollegen auszubauen und dann die Freiräume im neuen Job zu erweitern. Denn der Wechsel hat gewaltig an den Nerven gezerrt. Fünf Kilo hat Kuhlbrodt in den ersten Monaten zugenommen. Kuhlbrodt grinst. "Und mehr sollen es wirklich nicht werden."