E-Learning: Die Aufholjagd beginnt

04.09.2001
Von Dirk Schneckenberg

Das auf IT und E-Business spezialisierte Marktforschungsunternehmen IDC rechnet in den nächsten drei Jahren mit einem erheblichen Marktwachstum in Europa: „Das Marktpotenzial der Europäischen E-Learning-Branche wird bis 2004 auf vier Milliarden Dollar wachsen.“ Das entspricht einem geschätzten aktuellen Volumen von 500 Millionen Dollar und einer jährlichen Wachstumsrate von 100 Prozent.

Die entscheidende Antriebskraft für das Wachstum netzbasierter Wissensvermittlung liegt im Wandel der Industriegesellschaften. Die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien hat in der Wirtschaft eine Nachfrage an Fachkräften erzeugt, die durch die teilweise starren Lehrangebote der staatlichen Hochschulen nicht ausreichend und vor allem nicht schnell genug gedeckt werden kann. Als Konsequenz macht seit einigen Jahren im IT-Umfeld das Schlagwort der „Skills Gap“ die Runde - der Begriff verkörpert den Mangel an IT-Spezialisten auf dem Arbeitsmarkt. Schätzungen der Gartner Group und der IDC über das Ausmaß der Skills Gap in den USA und den EU bis zum Jahre 2003 belaufen sich auf jeweils 20 Prozent aller offenen IT-Stellen in der Wirtschaft, die nicht besetzt werden können.

Gerade die Vermittlung von IT-Kenntnissen bietet sich als Thema für die Provider von E-Learning an. Die Entwicklung in den USA zeigt, dass Inhalte der Informationstechnologie zirka 50 Prozent der gesamten Nachfrage von Unternehmen an technologiegestützter Wissensvermittlung ausmachen. E-Learning-Analyst Clark Aldrich von der Gartner Group erklärt diese Dominanz mit der hohen Technikkompetenz der Zielgruppe: „Gerade für IT-Experten bietet sich E-Learning an. Es passt genau zu ihrer Arbeitsweise: IT-Professionals sind es gewohnt, am Bildschirm zu arbeiten.”

Neben der dynamischen Informationstechnologie liefern weitere Marktentwicklungen Inhalte für E-Learning. So ruft die Globalisierung der Wirtschaft immer größere Firmenzusammenschlüsse auf internationaler Ebene hervor, stetig kürzere Produktlebenszyklen verengen den zeitlichen Rahmen unternehmensinterner Produktschulungen und die steigende Transparenz der Märkte eröffnet den Verbrauchern eine Vielzahl von Informationsmöglichkeiten. Diese Veränderungen sind eine große Herausforderung für Unternehmen. Als Konsequenz finden sich zunehmend Themenbereiche wie die Schulung von Soft Skills, die Darstellung von Produkteigenschaften und die Vermittlung von unternehmensweiter Corporate Identity in der Angebotspalette der E-Learning-Provider wieder.

Der Produktionsfaktor Wissen ist im geschäftlichen Umfeld einer vernetzten Welt ein entscheidender Erfolgsgarant für die Unternehmen geworden. Nach einer Schätzung des Analyseinstituts Corporate University X-Change hat sich die Zahl der unternehmenseigenen Universitäten in den USA innerhalb der letzten zehn Jahre auf 1600 Institutionen vervierfacht. Ein neues Berufsbild auf Ebene der Geschäftsführung verdeutlicht die zentrale Stellung, dass dem Wissen in der Wirtschaft eingeräumt wird: Der Chief Learning Officer (CLO) entwickelt eine langfristige Lernstrategie für die Angestellten seines Unternehmens und ist mit der Umsetzung eines Wissenspools beauftragt, in dem projektübergreifend die Erfahrungen der Kollegen einfließen und als elektronische Dokumente abrufbar sind.

Eine Folge des Tanzes der Unternehmen um das goldene Kalb Wissen könnte die Verschmelzung von Training und Knowledge-Management in einem intranetweit erreichbaren Wissenspool sein. Die netzbasierte Vermittlung und Aufbereitung von Fachwissen stellt dem individuellen Lernbedarf der Mitarbeiter die passenden Lösungsansätze zur Verfügung - das klingt wie der Wunschtraum eines jeden Human-Resource-Managers. Eine technologische Wissensvermittlung kann allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie soziale Komponenten in den Lernprozess der Mitarbeiter miteinbezieht. Selbst hartgesottene Progammierer lernen letztlich lieber im direkten Gespräch mit Trainern und Kollegen als in der elektronischen Wüste eines noch so gelungenen Javakurses. Eine ausgewogene Kombination von online abrufbaren Wissensinhalten und vertiefenden Präsenzseminaren dürfte der Schlüssel für einen erfolgreichen Lernprozess sein.