Digital Leadership

Digitalisierung verlangt eine neue Art der Führung

30.06.2019
Von 


Jörg Hawlitzeck ist Unternehmer, Managing Partner von Business Culture, Keynote-Speaker und Autor, ist Experte für Executive Mindset. Bei Springer erschien sein Buch "Das Zukunfts-Mindset. Neun Strategien, um auch morgen noch im Spiel zu sein.
Die digitale Transformation erfordert von Managern auch eine neue Art von Führungsstil, das Führen durch Reputation.

Digitalisierung und Automatisierung haben unsere Welt verändert. Entwicklungen vollziehen sich im Zuge der exponentiellen technologischen Entwicklung immer schneller und Menschen reagieren unterschiedlich auf diese Veränderungen. Die einen begrüßen sie mit Euphorie und entdecken in ihnen phantastische Chancen, den anderen bereitet sie Unbehagen oder gar Angst, eines Tages nicht mehr gebraucht zu werden. Was muss herausragende Führung heute leisten, um Menschen Orientierung zu geben? Wie sollten Manager ihr Führungsverhalten an die neue Situation anpassen? Und warum schreit die Digitalisierung nach einer neuen Art der Führung, nach Führung durch Reputation?

Führung durch Reputation spricht die Herzen der Mitarbeiter an
Führung durch Reputation spricht die Herzen der Mitarbeiter an
Foto: Mi.Ti. - shutterstock.com

Das Industrie-Zeitalter: Führen durch hierarchische Macht

Bedauerlicherweise erinnert Führung heutzutage vielerorts noch an das beginnende Industriezeitalter. Seinerzeit waren Mitarbeiter gefragt, pünktlich zu erscheinen, ihren Job zu machen, sich möglichst wenig mit Kollegen auszutauschen und diszipliniert ihre Aufgaben zu erfüllen. Dementsprechend war Führung ausgerichtet: Rigide Vorgaben, autoritärer Duktus, Kontrolle voller Misstrauen und Androhung von negativen Konsequenzen. Die Folge dieses Führungsstils? Angst.

Die Wissensgesellschaft: Führen durch Beeinflussen

Seit gut 20 Jahren hat sich herumgesprochen, dass Führen ohne emotionale Intelligenz nicht funktioniert. In der Wissensgesellschaft sind nicht mehr die tüchtigsten Hände, sondern die klügsten Köpfe gefragt. Und die wollen mitgenommen und eingebunden werden. Also wird beeinflusst, was das Zeug hält. Der Manager hat sich zum Motivator - manchmal auch Manipulator - und Coach weiter entwickelt, der dem Mitarbeiter zeigt, wie er seine Einstellungen, sein Denken und sein Handeln mit den Unternehmenszielen bestmöglich zur Deckung bringen kann. Doch den innersten Kern ihrer Mitarbeiter erreichen viele Führungskräfte dadurch nicht wirklich. Und sobald es hakt, verfallen sie wieder ins autoritäre "Basta" - frei nach Gerhard Schröder. Doch die Zeiten haben sich geändert und Umdenken ist gefragt.

Das digitale Zeitalter: Führen durch Reputation

Das Internet hat für eine schnelle, weltweite Vernetzung von Gleichgesinnten gesorgt. Binnen kürzester Zeit entstehen neue Märkte jenseits traditioneller Absatzkanäle. Revolutionäre Geschäftsmodelle disruptieren traditionelle Player innerhalb eines Augenaufschlags. Diese veränderte Ausgangslage erfordert ein neues Denken und neue Formen des sozialen Umgangs: Wir brauchen eine höhere geistige Flexibilität. Gleichzeitig sorgt die Digitalisierung für eine größere Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Wärme im direkten Kontakt. Willkommen im Zeitalter des Führens durch Reputation!

Die Führungskraft der digitalen Zukunft spricht neben dem Kopf der Mitarbeiter vor allem auch deren Herz an. Doch wie soll das gehen, ohne in oberflächliches "Schickimicki" zu verfallen? Der Manager von morgen muss mehr Ermöglicher statt Allwissender sein. Er kann gar nicht mehr alle Lösungen selbst kennen. Vielmehr sieht er sich in der Verantwortung, den Prozess zur Lösungsfindung unter Einbeziehung aller bestmöglich zu organisieren. Hierbei sind echtes Interesse und exzellente Fragen Kernkompetenz Nummer eins. Und Demut wird zur wichtigsten Tugend jenseits aller Hierarchien und Positionen. So entsteht soziale Dichte, der innerste Kern der Mitarbeiter wird endlich erreicht und die Kultur einer Organisation auf authentische Art und Weise gestärkt.

"Culture eats strategy for breakfast", hat Peter Drucker einmal so treffend formuliert. Kultur wird durch vorbildhaftes Verhalten untereinander geprägt. Vertrauen ersetzt hierbei Misstrauen oder gar Mikromanagement. Ehrlichkeit und Integrität werden wichtiger als Sollerfüllung und Null-Fehler-Toleranz. Und plötzlich finden sich Mitarbeiter in einer Welt wieder, in der sie sich tatsächlich verwirklichen können. In der Querdenken nicht nur erlaubt, sondern auch gefordert ist und Spaß bereitet.

In der persönliche Weiterentwicklung selbstverständlich wird, um eine neue Aufgabe oder Rolle zu übernehmen, sobald der alte Job überflüssig geworden ist. In der sich alle Beteiligten mit dem Unternehmenszweck identifizieren können, Motivation von Innen kommt und Sog erzeugt wird statt Druck. Und last but not least, in einer Welt, in der Freiheit herrscht, die in Verantwortung ausgeübt wird. In dieser Welt entstehen die Geschäftsmodelle, die die Kunden von morgen begeistern.

Ein inspirierendes Vorbild

Es gibt Unternehmen, die leben diese Art von Kultur bereits aktiv. Netflix beispielsweise zeigt, wie es gehen kann: Sieben Grundsätze prägen dort die Kultur.

  • Nur auf tatsächlich gelebte Werte kommt es an.

  • Höchstleistungen und Exzellenz sind das Maß.

  • Es herrscht Freiheit. Sie wird verantwortungsbewusst ausgeübt.

  • Kontext statt Kontrolle.

  • Teams und Funktionen werden zusammen gebracht, aber nicht gekoppelt.

  • Bezahlung am oberen Ende des Marktes.

  • Ständige Herausforderungen, um sich weiter zu entwickeln

Es ist für mich kein Wunder, dass wir derzeit aus dem Hause Netflix so phantastische, differenzierte und intelligente Serien bewundern dürfen. Und auch wenn derzeit Elon Musk oder Facebook kräftig an der Überbrückung der Schnittstelle zwischen menschlichem Gehirn und künstlicher Intelligenz arbeiten, hochwertige Führung wird das nicht überflüssig machen. Denn der Mensch will auch im 21. Jahrhundert noch frei sein.