Neue Ideen im digitalen Zeitalter

Denkanstoß für mehr Kreativität

05.05.2017
Von  und Verena Vinke
Marc Wagner ist Future-Work-Evangelist und ein ausgewiesener Experte rund um die Themen Future Work, New Work und Innovationskultur. Er ist Senior Partner und Global Head of Transformation, Peoplemanagement & Integral Business bei Detecon International, einer auf digitale Transformation spezialisierten Managementberatung. Seit mehr als 20 Jahren begleitet er Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation. Er ist Autor diverser Publikationen und Studien rund um New Work und Innovationskultur.
Die Digitalisierung zwingt Unternehmen und ihre Mitarbeiter zu neuen Denkmustern. Aber wie soll man in der Schnelllebigkeit der digitalen Transformation noch Ruhe und Kreativität für neue Ideen finden? Hier finden Sie einige Anregungen.
  • Unternehmen müssen Mitarbeitern mehr Gelegenheit zu kreativem Arbeiten geben.
  • Der Rückgriff auf Vergangenes ist noch allzu oft die Grundlage von Planungsprozessen.
  • Die Ausschaltung visueller Reize in Dark Rooms fördert die Kreativität.

Kennen Sie das? Sie befinden sich in einer mehr oder weniger gleichförmigen und angenehmen, wenig herausfordernden Routine. Ihr Gehirn hat auf "Autopilot" geschaltet und befindet sich im Energiesparmodus. Hier kommt einem das Bild einer "Hängematte" in den Sinn. Wenn Sie dann eine gehörige Portion Stress, Leistungs- und Termindruck hinzufügen, folgt der absolute "Tunnelblick", der nur noch auf die Erledigung der Aufgabe nach dem immer gleichen, erlernten Muster ausgerichtet ist. Und in dieser Situation fordern Sie dann von sich eine kreative Lösung, einen "Geistesblitz", der es ermöglicht, ganz neue Wege zu beschreiten. Eine Idee also, die alle bisherigen Geschäftsmodelle in Frage stellt und eine Antwort auf den plötzlich auftauchenden Wettbewerber liefert.

Unternehmen sollten Mitarbeitern ausreichend Freiraum zum Experimentieren geben und die Suche nach persönlicher Inspiration, Kreativität und neuen Ideen fördern.
Unternehmen sollten Mitarbeitern ausreichend Freiraum zum Experimentieren geben und die Suche nach persönlicher Inspiration, Kreativität und neuen Ideen fördern.
Foto: ImageFlow - shutterstock.com

Eine theoretische Situation? Mitnichten. Mitarbeiter deutscher Unternehmen sehen sich immer stärker damit konfrontiert, dass kontinuierliche Verbesserungen der immer gleichen Routinen oder eine noch stärkere Effizienzsteigerung und Standardisierung nicht ausreichen, um mit den Marktkräften Schritt halten zu können. Es stellt sich also die Frage: Was ist zu tun, damit (endlich wieder) frische Ideen sprudeln, und die aus der Kindheit stammenden, verschütteten Kreativitäts-Synapsen wieder aktiviert werden?

Führungskräfte spielen Lego

Kindheit ist in diesem Zusammenhang übrigens ein gutes Stichwort. Wer Kinder beim Spielen mit Lego beobachtet, schaut durchaus neidvoll und mit Staunen auf das, was dort geschaffen wird, und welche Geschichten mittels der "kleinen Kunstwerke" interpretiert werden. Vergleicht man sie mit "Lego-Serious-Play-Übungen" von Erwachsenen, in deren Verlauf Führungskräfte Prototypen von Geschäftsmodellen erstellen mussten, wird deutlich: Die älteren Probanden benötigten im Vergleich zu den Kids fünfmal mehr Zeit, ihre Werke waren weit weniger beeindruckend und die Geschichten nicht ansatzweise so kreativ.

Womit wir nochmals bei der Frage wären: Wie wecken wir diese Kreativität wieder? Und in Verbindung mit dieser Fragestellung gibt es noch weitere Fragezeichen: Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden? Und welche Impulse brauchen wir, um wieder richtig kreativ zu sein und nicht nur irgendwelche Methoden wie Design Thinking etc. nachzumachen? Hier einige Erfahrungen, welche Rahmenbedingungen in unserem Unternehmen und persönlich zu mehr Kreativität, neuen Ideen und Erfolgen geführt haben.

Leaders don't ask for permission ...

... they ask for forgiveness. Zugegeben, wirklich neu ist dieser Slogan nicht und tausendfach in Leadership-Büchern wiedergekäut. Dennoch ist er aus einer Sicht ganz wesentlich. Sie können dabei nämlich "Leaders" auch durch "I" im Sinne von "Ich" ersetzen.

Gerade große Unternehmen ziehen Zweck und Sinnstiftung aus einem engmaschigen Netz von Regeln, Prozessen und definierten Standards. Dies war lange Zeit auch sehr sinnvoll, lassen sich doch durch Standardisierung in stabilen Zeiten und festgeschriebene Rahmenbedingungen enorme Effizienz- und Effektivitätspotenziale heben. Nur haben sich diese Vorzeichen geändert. Wir bewegen uns nicht mehr in einem wirklich stabilen Umfeld. Das zeigen Begriffe wie "agil", "disruptiv" oder "Black Swan", die alle für eines stehen, nämlich Veränderung. Ein Rückgriff auf Vergangenes, noch allzu oft die Grundlage vieler Planungsprozesse, hilft dabei wenig.

Um wirklich Neues hervorzubringen - und dies setzt ja Kreativität voraus - ist es entscheidend, Bestehendes konsequent in Frage zu stellen. Dies bedeutet auch, bestehende Regeln und Prozesse (von rechtlichen, Reputations- und Compliance-Themen abgesehen), die in der neuen Situation keine Sinn mehr ergeben, durch ein neues und eigenes Vorgehen zu ersetzen. Dass dies zu Widerständen führt, ist unausweichlich. Doch nur reden hilft hier nicht: Fragen Sie nicht um Erlaubnis, sondern wählen Sie den aus Ihrer Sicht für das Unternehmen sinnvollsten und zweckmäßigsten Weg und ignorieren Sie einmal Unnötiges wie zum Beispiel bestimmte Meetings. Grenzen ausloten kann hier unter Umständen hilfreich sein. Wichtig an dieser Stelle zu sagen ist: Das ist kein Aufruf zu einem Nicht-compliant-Verhalten, der rechtliche Rahmen und das Wertekonstrukt sollen natürlich eingehalten werden.

Wo war noch mal die eigene Meinung?

Der Autor und Spezialist für Gesellschaftsentwicklung, Sir Ken Robinson, ist bekannt für seine messerscharfe Analyse unserer Sozialisation und Ausbildung. Grundlegend ist dabei, dass uns viele der kindlichen Fähigkeiten konsequent durch unsere Ausbildung und anschließenden Jobprofile abtrainiert werden. Eigene Meinung - Fehlanzeige. Es zählt das Lehrbuch, die Definition des Professors, das Prozesshandbuch oder die Ansage des Vorgesetzten. Dies schlägt sich dann auch schön im Beurteilungssystem nieder: Gute Noten und Leistungsbeurteilung gibt es nur für Konformität. Bitte nicht abweichen! Querdenker werden auf dem Papier gerne gefordert, stören aber letztlich nur die Kreise des jeweils Vorgesetzten. Und die vielbeschworene Fehlerkultur ist natürlich auch nur Alibi. Fakt ist aber, dass Fehler eine Abweichung von der Norm sind. Sie beinhalten letztlich die kreativen Ideen, welche die geforderte Radikalität besitzen und die Zukunftsfähigkeit sicherstellen. Die inflationäre Anwendung von Lean-Ansätzen wie zum Beispiel das Managementsystem "Six Sigma" tragen auch nicht gerade zu höherer Fehlertoleranz bei. Natürlich gibt es Bereiche, die eine Nulltoleranz in Sachen Fehler zwingend erfordern, zum Beispiel im Betrieb eines Kernkraftwerks oder Flugzeugs. Sie sollte aber nicht im Kreativbereich gelten.

Aus dem gewohnten Trott reißen (lassen)

Um kreativ sein zu können, ist es entscheidend, das gewohnte Umfeld verlassen und neue Impulse und Reize aufnehmen zu können. Wirklich kreativ ist man selten am immer gleichen Ort - schon gar nicht an einem kargen Schreibtisch. In unserem Unternehmen haben wir uns zum Beispiel entschieden, die Gestaltung unseres Arbeitsumfelds gemeinsam mit einem internationalen Künstlerteam vorzunehmen und auf feste Arbeitsplätze vollständig zu verzichten. Stattdessen gibt es ganz unterschiedliche Arten von Räumen, die sich nicht nur durch künstlerische Gestaltung, sondern ein hohes Maß an Flexibilität und Funktionalität auszeichnen. Der Wechsel in einen anderen Raum kann somit schon mal zum gesuchten Geistesblitz führen. Und damit dieser nicht verloren geht, besteht nahezu überall die Möglichkeit, Wandflächen oder Whiteboards zu beschreiben.

Kunst hat in diesem Zusammenhang auf viele eine besondere Wirkung, eröffnet sie doch neue Perspektiven und regt durch gewollte Irritation immer wieder zum Nachdenken an. Kunst muss nicht zwingend im eigenen Unternehmen vorgehalten werden. Das kann auch mal der Besuch einer Galerie oder eines Museums sein. Entscheidend dabei ist der Raum- beziehungsweise Tapetenwechsel. Lösungen für Probleme und neue Ideen können aber auch beim Joggen kommen. Oder kurz vor dem Einschlafen, wenn das Licht ausgeschaltet ist. Der Wegfall von visuellen Reizen schärft nämlich die Sinne und hilft bei der Konzentration. Das ist der Grund, warum Unternehmen "Dark Rooms" für ihre Mitarbeiter schaffen, damit sie sich dort in völliger Dunkelheit auf ihre Gedanken besinnen können.

Eine weitere wesentliche Quelle für neue Ideen und Kreativität ist neben dem direkten Umfeld auch der persönliche Austausch mit Menschen. Aus diesem Grund führt zum Beispiel unser Team regelmäßige Exkursionen durch, sei es zu Veranstaltungen, zu Interviews mit interessanten Gesprächspartnern oder zu einem Workshop auf einem Hausboot. Wir versuchen, mindestens einen dieser Impulse pro Woche im Arbeitsablauf zu integrieren. Das funktioniert mittlerweile sehr gut. Wichtig dabei ist, dass das Unternehmen die Sinnhaftigkeit und den Wert solcher "Exkursionen" versteht, unterstützt oder fordert. Übrigens muss dabei nicht immer nach dem Sinn des jeweiligen Trips oder Interviews gefragt werden. Der ergibt sich dann von selbst.

Activity Based Working

Auch wenn es viel Literatur gibt, welche die Bedeutung von Bewegung zur Anregung der Gehirnaktivität unterstreicht, fällt es vielen schwer, körperliche Aktivitäten in den Arbeitsalltag einzubauen und auf die vielerorts geforderten 10.000 Schritte pro Tag zu kommen. Die immer gleiche Büroluft und Umgebung tun ihr Übriges, dass sich Routinen breitmachen und Impulse sowie die Aktivierung des Gehirns - Grundlage für neue Ideen und kreative Gedanken - ausbleiben. Viele Büros sind zudem so gestaltet, dass sie genau dieses Verhalten unterstützen, zum Beispiel durch möglichst bequeme Stühle, die zu langem Verweilen einladen. Kurze und möglichst optimierte Wegstrecken und keinerlei Frischluft sind weitere negative Faktoren.. Durch die Einführung von "Activity Based Working", das heißt an unterschiedliche Arbeitssituationen angepasste Arbeitsumfelder und den dadurch geförderten, häufigen Wechsel von Räumen, entstand in unserem Betrieb schon mehr Bewegung. Des Weiteren wird versucht. längere Sitzphasen in Meetings zu vermeiden oder zwischendurch aufzustehen. Auch Sportgeräte im Büro sind denkbar, beispielsweise ein Laufband mit Ablagefläche für den Laptop. Darüber hinaus gestalte ich persönlich möglichst viele Meetings in Form von "TWALKS", das bedeutet: Ich verlasse das Office bewusst, was nicht nur zu mehr Bewegung und frischer Luft führt, sondern auch zu neuen Eindrücken und Impulsen. Auch das ist keine wirklich neue Erkenntnis. Steve Jobs hat viele seiner Meetings in Form von TWALKS bestritten.

Mit seiner Idee alleine sein

Bisweilen kann es förderlich sein, sich jeglicher Art von Ablenkung zu entziehen, um konzentriert die eigene Idee weiterzuentwickeln. Selbst das Ticken der Uhr oder auch ein unaufgeräumter Tisch können schon störend sein. Für solche Situationen gilt es Räume zu schaffen, Plätze ohne Störeinflüsse, mit ausreichend Bewegungsfreiheit zum "Brüten" und der Möglichkeit, die Ideen festzuhalten.

Fazit

So weit die Anregungen zum Thema Inspiration und auf neue Gedanken beziehungsweise Ideen kommen. Die Erfahrung aus vielen Innovations- und Future-Work-Projekten hat auch gezeigt, dass vielfältige und kreativitätsfördernde Arbeitsumgebungen sowie das gezielte Coaching der Mitarbeiter wichtig sind. Erfolgskritisch ist allerdings, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern ausreichend Freiraum zum Experimentieren geben und die Suche nach persönlicher Inspiration, Kreativität und damit letztlich neuen Ideen und Innovationen aktiv fördern. Das bedeutet aber auch ein hohes Maß an zeitlichem Investment. Denn wer den gesamten Tag in seinem Hamsterrad und der persönlichen Routine gefangen ist, wird selbst im besten Umfeld dem Tunnelblick und Autopilotmodus nicht entgehen können. (pg)