3GSM World: Breite Abwehrfront gegen Microsoft

27.02.2003
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Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Der erwartete Siegeszug zweier breitbandiger Funkverfahren führt aber nicht dazu, dass im professionellen Umfeld das Rad in Sachen Applikationen neu erfunden wird. Der Einsatz mobiler Anwendungen rechnet sich auch künftig nur in den bereits bekannten klassischen Anwendungsszenarien. Hierzu zählen laut IBM Wireless-Chef Bray etwa das Fahrzeugflotten-Management, Applikationen für Wartungsdienste oder Außendienstmitarbeiter sowie der Distributionsbereich, also beispielsweise Paketdienste.

Dabei gibt es für den IT-Entscheider, wie die Messe in Cannes zeigte, nach wie vor keine Standardlösung, wie er sie etwa aus dem ERP- oder SCM-Umfeld kennt. Unter Integrationsaspekten muss der Anwender etwa passende Mobility-Plattformen wählen und auf die verwendeten Endgeräte und ihre Betriebssysteme achten, da diese nur für jeweils spezifische Einsatzgebiete geeignet sind.

Hinsichtlich der Anbindung mobiler Applikationen an die Backend-Systeme eröffnen sich mehrere Wege. So propagieren die Partner Nokia und Oracle die „Collaboration Suite“ des Datenbankherstellers als Messaging-Plattform für den mobilen Mitarbeiter. Eine andere Option ist IBMs Middleware „Websphere“, die als Grundlage für eine gemeinsam mit Nokia entwickelte „Wireless-Enterprise-Delivery“-Umgebung dient. Mit der „Mobile-Service-Delivery“-Plattform für Carrier und Unternehmenskunden mischt HP ebenfalls im Business-Segment mit. Zudem betreibt die Company mit dem HP-Bazaar eine Art Marktplatz für mobile E-Services-Applikationen. Hier findet der Anwender mobile Anwendungen von rund 600 unabhängigen Programmierern. Ein weiterer Lösungsansatz ist die „Tamino Mobile Suite“, die jüngste Entwicklung der Software AG.

Angesichts der Komplexität und der Vielfalt des Angebots lassen sich mobile Anwendungsszenarien ohne externe Integrationshilfe kaum realisieren. Nicht umsonst verweisen die IT-Companies deshalb interessierte Kunden an ihre Mobility Labs, die dann im Einzelfall dem jeweiligen Szenario angepasste Migrationsschritte gemeinsam etwa mit Mobilfunkanbietern, Netzausrüstern und Applikationsentwicklern erarbeiten.

Datenformate

Ebenso wenig erhält der Anwender einheitliche Aussagen darüber, welche Programmiersprachen oder Datenformate sich in der mobilen Welt durchsetzen. Während etwa Peter Svanberg, Worldwide Director Mobile Solutions bei HP, J2EE eher den Applikationen im Consumer-Bereich zuordnet und für das Enterprise Business .NET propagiert, hat Intel noch keine eindeutigen Präferenzen. Nach Einschätzung des Chipherstellers sind sowohl XML, Oracle-Datenbanken, Linux, .NET und Java gleichermaßen für mobile Anwendungen geeignet.

Dass es hierfür bisher keinen plattformübergreifenden, standardisierten Ansatz nach Art der Web-Services gibt, könnte für Microsoft eine Chance sein, doch noch im Handy-Markt Fuß zu fassen. Der Gedanke, mit Windows eine einheitliche Betriebssystem-Plattform vom Smartphone über PDAs bis hin zum Server zu besitzen, hat durchaus Charme.

Momentan hat Microsoft jedoch schlechte Aussichten, Windows als Betriebssystem für Smartphones zu etablieren. Auch wenn sich zurzeit kaum ein Anbieter endgültig auf eine Betriebssystemplattform für die Mobilgeräte festlegen will, zeigte sich in Cannes doch eindeutig, dass die Mobilfunkbranche Microsoft den Zutritt mehrheitlich verwehren möchte.

So musste der Softwaregigant am Vorabend der 3GSM World mit dem klaren Nein Samsungs, des weltweit drittgrößten Handy-Produzenten, zu Windows-gestützten Smartphones eine empfindliche Schlappe einstecken. Vor dieser Niederlage verblasst auch Microsofts Erfolg mit T-Mobile. Die Mobilfunker wollen ab Sommer ein Handy mit Windows-Betriebssystem vermarkten. Mit der Abwehrfront gegenüber Windows-Smartphones endet dann aber bereits die Gemeinsamkeit.

Mehr denn je ist offen, welche Endgerätegattung und welches Betriebssystem sich in der mobilen Welt von morgen durchsetzen werden. Machen Smartphones, PDAs oder Notebooks und verwandte Neuentwicklungen wie Microsofts Tablet PC das Rennen? Oder werden, wie Hans Geyer, Intel-Vice-President und General Manager der PCA Components Group, vermutet, Anwender geneigt sein, alle Produktgattungen zu nutzen: den PDA als Ausgabegerät, das Daten in Echtzeit zur Verfügung stellt, das Smartphone, um auch in der Freizeit per E-Mail erreichbar zu sein und mit Notebooks unterwegs neue Dokumente zu erstellen.

Wie offen diese Frage ist, zeigt Intels jüngste Produktoffensive: Mit dem „PXA800F“, Codename „Manitoba“, steigt der Chiphersteller, bislang mit Mobile-Pentium- und Xscale-Prozessoren eher für sein Engagement im Notebook- und PDA-Markt bekannt, in das Handy-Geschäft ein. Mit Manitoba vermarktet Intel eine Ein-Chip-Lösung zum Bau von Smartphones, die GSM/GPRS-Radio, Applikationsprozessor sowie Flash-Memory integriert. Wie die im Handy-Bereich bereits etablierten Chipkonkurrenten Texas Instruments oder Motorola zeigt sich Intel dabei in Sachen Betriebssystem nach allen Seiten offen. Der PXA800F soll für alle gängigen Smartphone-Betriebssysteme wie Windows, Symbians Epoc, oder Linux geeignet sein.