IT-Service-Management

Wohin steuert Itil?

07.04.2008
Von Albert Karer

Euphorie und Wirklichkeit

In einer von vielen Schlagworten geprägten Welt müssen "Best Practices" und "Benchmarks" oft als Ersatz für die eigene Kompetenz herhalten. Deshalb hat Itil echte Euphorie ausgelöst. Das allein zeigt, wie hoch die Nachfrage nach Lösungsansätzen für die IT-Service-Aufgaben ist. Im Gegensatz zu anderen IT-Themen, die erst mal einen kräftigen Marketing-Schub benötigten (erinnern Sie sich noch an Computer-aided Software-Engineering, kurz: CASE?), handelt es sich diesmal nicht um einen "geweckten" oder "initialisierten" Bedarf. Das Bedürfnis, Alltagsaufgaben hinsichtlich Qualität, Performance und Preis "optimal" zu erbringen, ist echt.

Selbstverständlich türmt sich auch hier bereits seit einigen Jahren eine Marketing-Welle auf. Es gibt wohl keine Softwarelösung im IT-Service Management-Umfeld mehr, die nicht "Itil-minded" oder sogar Itil-zertifiziert wäre. Kongress- und Schulungsangebote überschlagen sich, Sekundärliteratur steht in unterschiedlichster Qualität zur Verfügung. Zudem wird mehr oder weniger erfolgreich versucht, bekannte Problemfelder wie das Projekt-Management im Itil-Fahrwasser zu positionieren.

Auf Basis von Itil haben ganze Wirtschaftszweige spezifische Dienstleistungen und Produkte entwickelt, mit denen sie erhebliche Umsätze generieren. Damit tragen sie aus rein wirtschaftlichem Interesse zur Durchsetzung von Itil bei. (Das gilt selbstverständlich auch für den Autor!).

Auch aufgrund des Fehlens einer echten Alternative ist Itil heute ein wahrer "De-facto-Standard", sprich: durch Nutzung und nicht durch Regelung zu einem Standard geworden. Die Best-Practices-Sammlung bietet:

  • eine einheitliche Begriffswelt,

  • allgemeinen Zugang,

  • ein breites Spektrum von Zulieferern (Schulung, Beratung, Sekundär Literatur, Tools etc.).

  • eine Service-"Philosophie" jenseits der Technikorientierung,

  • weitgehende Unabhängigkeit für den Serviceerbringer.

Speziell im regelungsverliebten Deutschland kommt auch der Punkt zum Tragen, dass Itil einem offiziellen Regelwerk so ähnlich sieht.

In der Praxis machen sich allerdings auch die negativen Aspekte des De-facto-Standards bemerkbar. Nicht, dass Itil dafür etwas könnte! Aber die Wirklichkeit wird dem allgemeinen Standardbegriff nun einmal nicht gerecht. Die folgende Liste der Irrtümer erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit

  • Man muss nur Itil einführen, und schon sind die Probleme gelöst!

  • Der Aufwand für die Einführung ist gering; schließlich handelt es sich ja um einen Standard!

  • Wenn der Standard im Tool X abgebildet ist, wird mit der Einführung des Tools gleichzeitig Itil eingeführt!

  • Wir müssen nur alle Mitarbeiter oder zumindest die Leistungsträger in Itil schulen, dann arbeitet das Unternehmen nach der Itil-Philosophie!

  • Unternehmen A kann einfach die Vorgehensweise von Unternehmen B kopieren; so ist das mit Standards!

Die im Itil-Umfeld grassierende Kommerzialisierung ist wohl der Sargnagel für das an sich epochale Werk. Zweckentfremdet und von Menschen transportiert, die selbst nie wirklich Verantwortung für das IT-Service-Management getragen haben, wird Itil zum Selbstzweck. So genannte Itil-Projekte - schon dieser Begriff zeigt den falschen Schwerpunkt auf - werden auf theoretischer Basis in einen laufenden Betrieb "implementiert". Der Einfachheit halber optimiert man Prozesse, die schon mehr oder weniger gut funktionieren. Doch bereits für das relativ einfache Change- und Problem-Management fehlen Energie und Geld. Und beim hochkomplexen Configuration-Management lässt sich der Business Case nicht mehr darstellen.