IT-Service-Management

Wohin steuert Itil?

07.04.2008
Von Albert Karer

Auf zu neuen Ufern - mit und ohne Itil

Die Frage, was nach Itil kommt, ist möglicherweise irreführend. Itil war und ist keine bahnbrechende Erfindung, sondern eine Kumulation von Know-how aus der Betriebswirtschaftslehre und der IT-Organisation. Deshalb wird sich Itil genauso in die Vielzahl existierender Management-Methoden, Optimierungsansätze und "Standards" einordnen wie Business Process Reengineering, Lean Production und Lean Management, Six Sigma etc.

Optimale Prozessorganisation im IT-Management - so heißt das jüngste Buch von Albert Karer. Es ist 2007 im Springer Verlag, Berlin, erschienen und bietet unter anderem eine ausklappbare Grafik, die alle wichtigen IT-Management-Prozesse und ihre Verknüpfungen im Überblick darstellt. Karer schöpft sein Wissen aus langjähriger Tätigkeit als Berater für Prozess- und Projekt-Management.
Optimale Prozessorganisation im IT-Management - so heißt das jüngste Buch von Albert Karer. Es ist 2007 im Springer Verlag, Berlin, erschienen und bietet unter anderem eine ausklappbare Grafik, die alle wichtigen IT-Management-Prozesse und ihre Verknüpfungen im Überblick darstellt. Karer schöpft sein Wissen aus langjähriger Tätigkeit als Berater für Prozess- und Projekt-Management.
Foto: Springer Verlag, Berlin

Auch mit der neuen Itil-Version 3 fokussieren die Autoren auf eine Forderung, die schon mehr als 20 Jahre alt ist: Die wertschöpfenden Geschäftsprozesse und deren Ergebnisse sind das Maß aller Dinge; die Aufgabe der IT ist es deshalb, diese Prozesse optimal zu unterstützen und sicherzustellen, dass die Ergebnisse in höchster Qualität und im besten Kosten-Nutzen-Verhältnis produziert werden.

Im Umkehrschluss heißt das: Die IT muss sich den wertschöpfenden Geschäftsprozessen und deren Ergebnissen unterordnen. Diese Forderung wurde bereits in den 80er Jahren des vorherigen Jahrhunderts erhoben. Sie fand ihren Niederschlag unter anderem in den Ideen von Michael Hammer und James Champy. Mit Itil lösen wir also die Probleme, die wir vor 20 Jahren schon kannten. Aber vermutlich ist für viele erst jetzt die Zeit reif dafür.

Unbestritten hat die IT heute in jedem Unternehmen einen sehr hohen Durchdringungsgrad, ähnlich wie die Energieversorgung. Egal, ob ich Maschinen herstelle, Geld verwalte, Güter transportiere, mit Waren handle oder Rohstoffe gewinne - meine wertschöpfenden Geschäftsprozesse sind vom IT-Know-how meiner Mitarbeiter abhängig. Aber für den überwiegenden Teil der Unternehmen ist die IT nur Mittel zum Zweck. Deshalb wird ja bereits ernsthaft diskutiert (beispielsweise von Nicholas Carr), ob sich die Unternehmen überhaupt noch eine umfassende IT-Organisation leisten oder die Services schlicht einkaufen sollten.

Ein Unternehmen, das sich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt, wird sicher zwei werthaltige Segmente der IT identifizieren:

  • das Know-how und die spezifische Art und Weise, wie die IT die wertschöpfenden Prozesse seines Unternehmens unterstützt, und

  • die Datenbestände, die das Unternehmen in seiner Gesamtheit verwaltet.

Die Konzentration auf diese beiden Wertfaktoren führt dazu, dass sich das in einem Unternehmen unabdingbare IT-Know-how auf das Prozess-Management und das Informations-Management reduziert. Damit bezeichnet IT-Know-how nicht mehr ein spezifisches technisches Wissen, sondern ein generelles Wissen darüber, wie man optimale IT-Lösungen für die spezifischen Besonderheiten des Unternehmens findet und bereitstellt.

Das klingt zunächst nicht besonders aufregend. Aber die organisatorischen Konsequenzen sind gravierend. Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen löst seine ehemalige IT-Abteilung auf beziehungsweise ersetzt sie durch eine neue Organisationseinheit mit der Bezeichnung Prozess- und Informations-Management, die folgende Arbeitsbereiche abbildet:

  • IT-Supplier-Management, also Beschaffung, Steuerung, Koordination und Controlling der extern eingekauften IT-Leistungen. Diese Aufgaben gehen weit über die einer Einkaufsabteilung hinaus, sie umfassen auch die klassische Produktionsplanung und -steuerung (Tages- und Monatsende-Verarbeitungen, Auf- und Abbau von Arbeitsplatzsystemen etc.) sowie die Beauftragung und Überwachung der Leistungen.

  • Projektportfolio-Management, also das Erfassen sämtlicher Projektanträge, die Prüfung ihrer Auswirkungen auf IT-Betrieb, Prozess- und Informations-Management. Hinzu kommt die Zentralverantwortung für das unternehmensweite Ressourcen-Management.

  • Prozess-Management, der personell am besten ausgestattete Bereich. Seine Mitarbeiter begreifen sich als interne Berater. Es handelt sich um ausgeprägte Generalisten mit Fach-Know-how hinsichtlich der unternehmensspezifischen Prozesse und der dafür eingesetzten IT-Mittel sowie mit Methodenwissen auf den Gebieten Analyse, Prozessoptimierung und Projekt-Management. Aktuelles technisches Know-how wird extern beschafft. Dieses Segment gliedert sich automatisch in Kompetenz-Center, die die jeweiligen Fachabteilungen der Unternehmung repräsentieren. Das heute meist als Stabstelle existierende Qualitäts-Management wird aufgelöst und funktional integriert.

  • Informations-Management: Keine Unternehmung hat die heute anfallende Datenmenge wirklich zufriedenstellend im Griff. Wer Teile der IT ausgegliedert hat, ist auf der Datenebene meist völlig abhängig vom Lieferanten; er weiß oft nicht einmal, welche Informationen extern erzeugt und verwaltet werden, und in den Outsourcing-Verträgen ist das Thema "zu liefernde Daten im Falle eines Insourcings oder Provider-Wechsels" allenfalls rudimentär geregelt. Das Informations-Management muss sicherstellen, dass das Unternehmen jederzeit über alle für seine Prozesse nötigen Informationen verfügt.

Mittelfristig sind es vor allem die innovativen mittelständischen Unternehmen, die solche neuen Organisationsformen für die Unterstützung ihrer Geschäftsprozesse durch IT-Lösungen finden werden. Die klassische Organisation der IT-Abteilung - bestehend aus Infrastruktur-Management, Betrieb, Service-Management und Softwareentwicklung - hat ihren Zenit überschritten; sie existiert in dieser Form schon in vielen Firmen nicht mehr.

In Unternehmen ohne klassische IT-Abteilung wird auch Itil mittelfristig keine große Rolle mehr spielen. Die "Itil-Prozesse" erbringt ja der externe Partner. Sicher sollten die Auftraggeber über ein Basis-Know-how verfügen. Aber vor allem sollten sie ihre Serviceerbringer zwingen, transparente, standardisierte und gegebenenfalls zertifizierte Prozesse nachzuweisen. Ist ein Service als Produkt definiert, beschrieben und bepreist, lassen sich die Angebote unterschiedlicher Anbieter - intern wie extern - relativ leicht vergleichen. Entscheidet sich das Unternehmen, die Leistung einzukaufen, erleichtert die Transparenz die Auftragsvergabe.

Für IT-Service-Provider und andere Organisationen, die im Rahmen eines Produktlebenszyklus klar definierte IT Services anbieten, ist Itil zumindest in der nächsten Dekade noch Pflicht. Dasselbe gilt für Unternehmen, die sich über die IT markant vom Wettbewerb abheben, sowie für große Konzerne mit ausgeprägter IT-Organisation. Aber alle anderen können Itil getrost vergessen und sich den wirklichen Herausforderungen stellen.

Sind Sie auch dierser Ansicht? Oder stimmen Sie eher Joachim Fremmer, dem Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Exagon, zu, der sagt: "Outsourcing macht Itil nicht überflüssig." Diskutieren Sie mit in unserem Forum zur "Itil-Kontroverse". (qua)