Kreative Lösungen um Fachkräfte

Wie sich Offshoring in Vietnam lohnt

23.08.2023
Von 

André Roitzsch ist CEO von Shopmacher.

Die E-Commerce-Firma Shopmacher betreibt in Vietnam zwei Standorte mit 25 IT-Entwicklern. Bis aus den Mitarbeitern in der Ferne echte Kollegen wurden, war es ein langer Weg.
Angesichts des Fachkräftemangels hierzulande kann es eine gute Idee sein, in Asien entwickeln zu lassen - allerdings sollte man einen langen Atem haben.
Angesichts des Fachkräftemangels hierzulande kann es eine gute Idee sein, in Asien entwickeln zu lassen - allerdings sollte man einen langen Atem haben.
Foto: Dragon Images - shutterstock.com

137.000 IT-Fachkräfte fehlen laut Umfrage des Branchenverbands Bitkom, und im Durchschnitt müssen Unternehmen sieben Monate warten, bis sie eine IT-Stelle besetzen können. Große Online-Händler wie About You haben in der Vergangenheit versucht, Menschen aus dem Ausland wie Portugal, Spanien oder Südamerika mit Arbeitsvisa nach Deutschland zu holen.

Doch die Strategie, Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld in eine völlig fremde Umgebung zu verpflanzen, birgt Risiken: Nicht selten werden hohe Löhne gezahlt, obwohl die Qualität noch nicht messbar ist. Eine Alternative ist das Near- oder Offshoring, also die Akquise von hochspezialisierten IT-Fachkräften aus dem nahen oder fernen Ausland. Doch angesichts zahlreicher Negativberichte über die Leistungen von Programmierern aus aller Welt schrecken viele Unternehmen davor zurück. Dabei sind die Probleme hausgemacht. Denn viele Unternehmen starten ihr Offshoring-Abenteuer mit völlig falschen Erwartungen.

Gute Ausbildung und gute Arbeitsmoral

Die E-Commerce-Agentur Shopmacher hat seit sechs Jahren zwei Standorte in Vietnam. 25 IT-Spezialisten programmieren von dort aus E-Commerce Plattformen für deutsche Kunden. Vietnam hat eine gute demografische Ausgangslage. Das Durchschnittsalter ist relativ niedrig, die Menschen sind technisch sehr gut ausgebildet, haben eine hohe Arbeitsmoral, und mit 100 Millionen Einwohnern ist Vietnam nicht so klein wie Litauen und bietet daher ein weitaus größeres Potenzial an verfügbaren Fachkräften.

Die Mitarbeiter sind nicht direkt bei Shopmacher angestellt, sondern arbeiten über den Offshoring-Dienstleister NFQ Asia für die Agentur aus Gescher. Für das Unternehmen ist es praktischer, die Umlage eines Partners zu zahlen und dafür Teil eines großen Coworking Spaces zu werden und von dessen Unterstützung zu profitieren. So muss sich von Gescher aus niemand darum kümmern, dass die Leute Zugangskarten für die Büros bekommen. Und wenn das Internet in Da Nang nicht funktioniert, sind ebenfalls Fachkräfte vor Ort verfügbar, die es wieder zum Laufen bringen.

Keine verlängerte Werkbank

Die Zusammenarbeit zwischen den Kollegen in Vietnam und den Shopmachern in Gescher unterscheidet sich allerdings von der eines klassischen Near- oder Offshoring-Partners. Die vietnamesischen Entwickler sind keine verlängerte Werkbank, sondern voll in die Agentur integriert. Dazu wurde beispielsweise die Kommunikation aller Teams, sowohl in Deutschland als auch in Vietnam, auf Englisch umgestellt. Außerdem durchlaufen die Mitarbeiter in Ho-Chi-Minh-Stadt und Da Nang die gleichen Prozesse wie ihre Kollegen in Gescher. Ein Beispiel ist die Personalentwicklung: Potenzielle Kandidaten führen nicht nur ihre Bewerbungsgespräche mit der Shopmacher-Geschäftsführung, sondern auch Entwicklungsgespräche und Gehaltsverhandlungen. Außerdem investiert die Agentur viel Herzblut, damit die Menschen, die sie in Vietnam beschäftigt, die eigenen Ziele und Visionen kennen und verstehen lernen.

Auch nach sechs Jahren noch nicht am Ziel

Diesen Idealzustand zu erreichen, ist allerdings eine der größten Herausforderungen beim Offshoring. Auch die Shopmacher sehen sich sechs Jahre nach dem Start noch nicht am Ziel. Neben sprachlichen Hürden erschweren die unterschiedlichen Arbeitsmentalitäten von Deutschen und Vietnamesen die Zusammenarbeit. Mitarbeiter in Vietnam würden nie von sich aus eine Idee ihres Vorgesetzten in Frage stellen, so die Firmenerfahrung. Gerade in IT-Projekten sei das aber wichtig. Das Wissen in Vietnam ist durch die internationale Komponente vielfältig und hoch. Deshalb ist die Meinung der Kollegen sehr wertvoll.

Doch das Vertrauen aufzubauen, Kritik äußern zu dürfen, ohne mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen, braucht Zeit. Viele Unternehmen unterschätzen dies und scheitern auch deshalb mit ihrer Offshoring-Strategie. Fast jedes Unternehmen muss hier einmal durch das Tal der Tränen gehen. Und nicht selten stellt sich heraus, dass das, was anfangs gut läuft, nach ein paar Monaten stagniert.

Schnell und günstig wird nicht funktionieren

Weil Shopmacher davon überzeugt ist, dass Offshoring in Vietnam für deutsche Unternehmen mehr Vor- als Nachteile mit sich bringt, bietet die Agentur ihr Know-how in Sachen Integration Management jetzt auch anderen Unternehmen an. Es besetzt das Start-Team auf Basis konkreter Anforderungen, übernimmt das Onboarding, das Vor-Ort-Management und berät zum Workflow und Integration Management aus Deutschland. Wenn das Team dann richtig eingespielt ist, können die Unternehmen es bei Bedarf komplett übernehmen.

Allerdings arbeitet die Agentur nur für Unternehmen, die ihre Offshoring-Pläne mit dem richtigen Mindset angehen. Wer "schnell und günstig" Arbeitskräfte sucht, wird höflich, aber bestimmt abgewiesen. In der Gesamtbetrachtung ist Offshoring zwar eine gute Lösung für den Fachkräftemangel hierzulande, jedoch nicht zwingend günstiger.

Offshoring ist ein langfristiges Projekt

Und obwohl in Vietnam neue Mitarbeiter vergleichsweise schnell gesourct werden können, ist Offshoring ein langfristiges Thema. Denn Unternehmen müssen ihre Organisation so anpassen, als ob sie einen zweiten Standort mehrere Fahrtstunden entfernt in Deutschland eröffnen würden. Und das braucht seine Zeit.

Insgesamt allerdings ist Shopmacher überzeugt: Offshoring kann funktionieren. Es müssen nur bestimmte Voraussetzung erfüllt werden:

- Unternehmen müssen sich im Vorfeld die richtigen Fragen stellen,

- ihre Unternehmensorganisation entsprechend anpassen,

- kontinuierlich an der Kommunikation arbeiten,

- ein gleiches Werteverständnis für Leistung entwickeln und vor allem:

- Verständnis für den jeweils anderen zeigen.

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