IT Outsourcing

Agile hui, Offshoring pfui?

Kommentar  07.02.2020
Von 

Ulrich Böttger beendete 1987 sein Studium als Elektroingenieur und entwickelte und vertrieb anschließend digitale Lösungen für die Industrie. Auf dem Hochpunkt der „Digitalen Revolution“ wechselte er in ein multinationales IT-Beratungshaus. Hier entwickelte er sein Spezialwissen in den Bereichen: Strategie, Sanierung, Organisation und Outsourcing. 2009 übernahm er den Vorstandsvorsitz der Innovative Banking Solutions AG. Seit 2017 ist Herr Böttger selbständiger Berater.

Warum setzen viele Unternehmen auf agile Methoden um Mitarbeiter zu finden, aber nur wenige auf Off- oder Nearshoring? Eine Betrachtung von Risiken sowie verhaltensökonomischen Aspekten.

Warum setzen viele Unternehmen im Rahmen der Softwareentwicklung auf agile Methoden, und weshalb wird Offshoring beziehungsweise Nearshoring eher negativ wahrgenommen? Maßnahmen und Ansätze zu neuen Methoden im Management und der Softwareentwicklung werden derzeit sehr unterschiedlich diskutiert, bewertet und wahrgenommen. Dabei spielen nicht nur objektive Faktoren wie Zeit, Kosten, Qualität und Risiko eine Rolle, sondern auch die Einstellungen der Entscheider gegenüber diesen Kriterien und wie sie gewichtet werden.

Die Diskussion darüber, ob und wie die IT ausgelagert werden soll und welche Konsequenzen das für die Mitarbeiter hat, wird nach wie vor intensiv diskutiert.
Die Diskussion darüber, ob und wie die IT ausgelagert werden soll und welche Konsequenzen das für die Mitarbeiter hat, wird nach wie vor intensiv diskutiert.
Foto: Wright Studio - shutterstock.com

Tipp: Wer Antworten darauf erhalten möchte, findet in Ansätzen der Verhaltenswissenschaft, auch Behavioural Economics genannt, zusätzliche Erklärungen. Die Verhaltensökonomik analysiert, wie Menschen entscheiden. Dabei untersucht sie die Auswirkungen von psychologischen, kognitiven, emotionalen, kulturellen und sozialen Faktoren auf die wirtschaftlichen Entscheidungen.

„Outsourcing funktioniert doch nicht wirklich“, „Die haben nicht die richtigen Skills“, „Können die überhaupt richtiges Deutsch?“ Diese und ähnliche Aussagen sind häufig zu hören, wenn es um Outsourcing von Softwareentwicklung geht. In der Regel erfährt man noch, dass oftmals nur große internationale Konzerne diese Methode einsetzen, um in der Regel Kosten zu senken.

Konzepte wie etwa Nearshoring, das eine lokalere Form des Outsourcings im EU-Ausland darstellt, werden ähnlich beurteilt. Außerdem hört man häufig von Fällen, wenn ein Projekt nicht richtig funktioniert hat. Dies ist zum Teil verständlich, zumal viele der großen Unternehmen publizitätspflichtig sind und auch über Negatives ad-hoc berichten müssen. Es bleibt die Frage offen, ob dies den allgemeinen Erfahrungen entspricht oder es noch andere Gründe dafür gibt?

Outsourcing - Trendhopping statt Strategie

Während Entscheider gegenüber der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern im Ausland mit großen Ängsten und Zurückhaltung reagieren, ist es bei der agilen Softwareentwicklung ganz anders. Aktuell geben Unternehmen Beträge in Millionenhöhe aus, um „agil“ zu werden, weil die Methodik im Trend ist und diese sich erhoffen, auf diese Weise attraktiv für neue junge Mitarbeiter zu werden.

Dass agile Softwareentwicklung branchenübergreifend als „Nonplusultra“-Methode wahrgenommen wird, lässt sich zum einen mit dem Pro Innovation Bias erklären. Mit der „innovationsfreundlichen Verzerrung“ beschreibt man die Neigung von Entscheidern zu einem übermäßigen Optimismus gegenüber dem Nutzen einer Erfindung oder Innovation, wobei deren Grenzen und Schwächen oft nicht erkannt werden. Zum anderen tendieren Entscheider in Unternehmen dazu, Dinge zu tun (oder zu glauben), weil viele andere dasselbe tun (oder glauben). Der Nachahmer-Effekt (engl. bandwagon effect) führt nun dazu, dass sich Branchen- und Modetrends weiter verstärken können.

Ein Tipp: Anstatt einem beliebten Trend blind zu folgen, sollten die Unternehmer zunächst für ihre Situation analysieren und bewerten, ob die positiven Einschätzungen der Methode im Verhältnis zu ihren eigenen Berechnungen hinsichtlich Nutzen und Risiken steht.

Denn mittlerweile hat sich herausgestellt, dass viele agile Softwareprojekte ihre Ziele nicht erreichen und nicht wenige im Chaos untergehen. Außerdem kann das Risiko steigen, dass nicht nur zu viel Geld und Ressourcen versenkt werden, sondern ein Projekt komplett scheitert. Zum Beispiel, wenn die Kunden bei neu implementierten agilen Prozessen nicht mitspielen. Oder, wenn die agilen Methoden unzureichend angewendet werden – sei es aufgrund von Unkenntnis oder gar fehlender Disziplin im Hinblick auf die Regeln. Trotzdem funktioniert es bei kleinen Projekten oft noch sehr gut. Jedoch gibt es ab einer Projektgröße von zwei bis drei Mannjahren eine kritische Schwelle, wonach die beschriebenen Risiken vermehrt auftreten.

Nicht zu viele externe Berater

Außerdem leiden die meisten Organisationen zumindest zu Beginn massiv unter den Organisationsänderungen. Nachdem agiles Management eingeführt wird, fallen ganze Managementebenen weg und darüber hinaus entfallen spezielle Controlling-Maßnahmen.

Tipp: Die Erfahrung aus der Praxis legt nahe, dass alle Strukturen, die in Unternehmen weggenommen werden stattdessen durch neue (stringente) Prozesse ersetzt werden müssen. Die agil arbeitenden Mitarbeiter müssen dann mit hoher Disziplin sich selbst organisieren und Prozesse einhalten, zum Beispiel Abstimmungsprozesse.

Darüber hinaus ist es ineffektiv, wenn die Veränderungen von einer Heerschar an externen, zumeist auch teuren Coaches angeführt werden, die von „außen“ Veränderungen herbeiführen wollen.

Tipp: Agiles Management funktioniert nicht, wenn man sich lediglich Berater ins Haus holt. Stattdessen sollte Agiles Management zu einer veränderten Art der Zusammenarbeit führen, die erfolgreich ist, wenn man die Methode im Unternehmen wachsen lässt, die eigene Haltung dazu entwickelt und sie von der Unternehmensleitung voll unterstützt wird.

Im Gegensatz zu den beschriebenen Risiken, organisatorischen Problemen und hohen Kosten ist die Erweiterung oder Auslagerung von Software-Entwicklungskapazitäten in das europäische Ausland mit wenigen Risiken belegt – insbesondere, wenn man dabei schrittweise oder mit überschaubaren Aufgaben vorgeht. Etwaige Hürden, die sich vor Unternehmen beim Start von Nearshoring-Projekten auftun, sind eher von Einstellungen beeinflusst.

Outsourcing - Sprachprobleme sind oft vorgeschoben

Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Outsourcing-Kunden eingangs hohe Anforderungen an Deutschkenntnisse von Mitarbeitern stellen, die im Ausland – beispielsweise am Standort eines Nearshoring-Centers – arbeiten. Doch nach ein paar Monaten werden diese Anforderungen als nicht mehr so wichtig gesehen. Stattdessen konzentrieren sich die Entscheider des auslagernden Unternehmens nun auf die notwendigen fachlichen und technischen Skills. Auch diese Höflichkeitsverzerrung (engl. courtesy bias) ist ein interkulturelles Phänomen, das die Verhaltenswissenschaft leicht erklären kann.

Tipp / Lessons learned: Aufgrund der Höflichkeitsbefangenheit tendieren potenzielle Outsourcing-Kunden dazu, eine Meinung zu äußern, die gesellschaftlich korrekter ist als die eigene wahre Meinung, um zu vermeiden, jemanden zu beleidigen. Angebliche Sprachschwierigkeiten sind als mögliche Gründe gegen Outsourcing gesellschaftlich eher akzeptiert und werden daher schneller genannt als Vorbehalte gegen potenzielle Mitarbeiter im Ausland.

Nearshoring - Intensive Weiterbildung unumgänglich

Für die Integration von Nearshoring-Konzepten kommt es außerdem darauf an, die Mitarbeiter im auslagernden Unternehmen im Zuge der Veränderungen besser einzubinden. Hierzu ist eine offene Kommunikation notwendig. Darüber hinaus muss das Personalmanagement den Mitarbeitern neue Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung anbieten sowie die Akzeptanz von Veränderungen und die Integration von Nearshoring-Mitarbeitern durch Anreizsysteme fördern. Denn ob Nearshoring-Mitarbeiter vielleicht fleißiger und besser sind, fragen sich auch die Mitarbeiter im Unternehmen, das auszulagern plant. Wenn Mitarbeiter über solche Fragen selten offen reden, so steckt eine Angst vor dem Unbekannten und dem Verlust des Arbeitsplatzes dahinter; auch vor der Konkurrenz. Um ein Job-Risiko für die bisherigen Mitarbeiter zu vermeiden, sollte das Unternehmen vielfältige interne Weiterbildungsmaßnahmen fördern.

Tipp: Über Weiterbildungsmaßnahmen sollte den (Inhouse-) Softwareentwicklern ermöglicht werden, sich zusätzliche Kenntnisse anzueignen, um in Zukunft konkurrenzfähig zu sein – etwa durch das Aneignen von Business Know-how, von Prozesswissen oder durch eine Weiterqualifizierung für Führungsaufgaben, um beispielsweise neue Kollegen in den Nearshoring-Labs steuern zu können. Für Führungskräfte eines Unternehmens ist ferner empfehlenswert, Widerstände und Ängste im Unternehmen im Rahmen eines überschaubaren Change Projektes zu berücksichtigen. (hk)