Catharina van Delden im CW-Gespräch

Wie Crowdsourcing sich lohnen kann

10.11.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Lässt sich mit Crowdsourcing sparen?

CW: Lässt sich mit Crowdsourcing sparen? Immerhin können Konzerne auf dem Weg von der Idee bis zum fertigen Produkt einige Fehlversuche vermeiden.

Van Delden: So ist es. Wenn Unternehmen schon früh wissen, welche Ideen sie priorisieren müssen, können sie viel Geld sparen. Jedes Unternehmen kennt ja die Erfahrung, dass Ideen für viel Geld weitergetrieben wurden, dann aber nie zur Marktreife gelangt sind. Je länger Unternehmen und ihre Entwicklungsabteilungen Ideen mitschleppen, desto teurer wird es. Das heißt natürlich auch: Je früher man Ideen sterben lässt, die doch kein Erfolg geworden wären, desto mehr spart sich ein Unternehmen.

Ganz wesentlich ist aber beim Crowdsourcing auch Folgendes: Durch den Dialog mit den Kunden kommen Unternehmen auf Ideen, an die sie im eigenen Haus gar nicht gedacht hätten. Man kann ja schließlich nicht all die schlauen Menschen bei sich anstellen, die da draußen arbeiten.

CW: Crowdsourcing bedeutet auch, dass öffentlich über neue Produkte diskutiert wird. Die Konkurrenz kann das beobachten und sich die Hände reiben, wenn sich der Wettbewerber blamiert, oder aufspringen, wenn sich eine Idee als gut erweist. Kennen Sie diese Sorge?

Van Delden: Das hören wir ganz häufig in den ersten Gesprächen. Doch nehmen wir wieder das Beispiel Manhattan: Hier zeigt sich, dass im Zuge der Diskussion über ein Produkt eine intensive Beziehung zu den Kunden entstanden ist. Diese Kundennähe wiegt viel mehr als die Gefahr der Spionage. Hinzu kommt, dass die Kunden das, was sie sich von Manhattan wünschen, nicht unbedingt auch von anderen Herstellern erwarten. Das ist auch ein markenspezifischer Dialog.

Allerdings gibt es in diesem Prozess auch Phasen, die sehr vertraulich sind, etwa der Zeitpunkt der Herstellung von Laborprototypen. Wenn es also um die konkrete Umsetzung der Idee geht, hält auch Manhattan die Öffentlichkeit raus. In dieser geschlossenen Phase wurden nur die aktivsten Teilnehmer der Community zu Manhattan eingeladen. Sie durften dann im Eins-zu-eins-Gespräch mit der Produkt-Managerin diskutieren, wie das Produkt beschaffen sein sollte.

CW: In Communities gibt es Menschen, die Ahnung haben, aber auch viele Schwätzer. Will man im Crowdsourcing-Prozess nicht vor allem die Meinungsträger, die Influencer, ansprechen?

Van Delden: Einerseits ja, andererseits möchte man aber auch die Stimmen derer hören, die quasi eine Massenmeinung vertreten. Deshalb werden Unternehmen immer versuchen, die breite Masse zu erreichen. Man zielt gerade auch auf diejenigen ab, die das Produkt später kaufen sollen. Es geht ja nicht ausschließlich um Ideenfindung, sondern auch schlicht um die Bewertung eines Produkts.

Worauf sollte man beim Crowdsourcing achten?

CW: Worauf muss man beim Crowdsourcing achten?

Van Delden: Vor allem konzentriert man sich auf zwei Fragen: Wie kommt ein Unternehmen zu einem Ergebnis, das zu seiner Firmenstrategie, zu seiner Marke passt? Und wie erreicht ein Konzern das mit einer Community, die sich in diesen Produkten wiederfinden soll? Die sagt: "Genau daran habe ich mitentwickelt. Das ist mein Produkt."

CW: Gibt es schon Firmen, die über den einmaligen Versuch hinaus sind und Crowdsourcing als permanenten Prozess einsetzen?

Van Delden: Es war lange so, dass die Unternehmen sich des Themas im Zuge eines Pilotprojekts angenommen haben. Sie stammten meist aus dem Konsumgüterbereich. Seit ungefähr einem Dreivierteljahr ändert sich aber etwas, diese Art der Produktentwicklung wird zunehmend als ganzheitlicher Ansatz verstanden. Viele Firmen, die Crowdsourcing betreiben, kommen heute nicht mehr aus dem Konsumgüterbereich. Sie haben oft ganz grundsätzliche Geschäftsmodellfragen, etwa Versicherungen, Banken oder Energieversorger.

Wir stellen also einen Wechsel hin zu Langfristmodellen fest. Die Postbank etwa unterhält mit unserer Software ein Ideenlabor online. Das sind Plattformen, die dauerhaft in Betrieb sind mit einer permanenten Community, die man zu verschiedenen Themen immer wieder einbeziehen kann.

Die Plattform "Ispo Open Innovation" ist ein weiteres Beispiel: Sie versteht Crowdsourcing als Geschäftsmodell. Ispo will die Beziehungen, die sie als Messe zu Ausstellern und Besuchern besitzt, in einen digitalen Wert umwandeln. Der Gedanke ist: Wenn eine Messe via Crowdsourcing-Plattform Aussteller mit Besuchern zu Innovationsfragen zusammenbringt, dann ergibt sich ein neues Geschäftsmodell.

CW: Grundsätzlich: Wie läuft ein Crowdsourcing-Projekt ab? Man kippt ja nicht einfach eine Frage in Facebook und wartet auf Antworten.

Van Delden: Lange Zeit war es so, dass unsere Kunden Facebook als Earned-Media-Kanal verstanden: Hier sind sie aktiv, hier haben sie Beziehungen zu ihren Kunden aufgebaut mit ihren guten Inhalten. Aber: Unternehmen merken in letzter Zeit immer häufiger, dass Facebook zum Paid-Media-Kanal wird. Soll etwas wirklich gelesen werden, muss es doch wieder in Form eines Sponsored Post publiziert werden. Deshalb überlegen viele Firmen, die Vernetzung mit den Kunden auf der eigenen Plattform vorzunehmen, also ohne Intermediär oder Vermittler. Hier bietet Crowdsourcing die Möglichkeit, die etwa auf Facebook schon versammelte Community relativ einfach mit einer intelligenten App auch auf eine andere Plattform einzuladen. Aus diesem Grund ist Facebook eine beliebte Plattform zur Rekrutierung für die eigene Plattform.

Was sind eigentlich Earned, Paid und Owned Media?

Nokia verwendete 2008 erstmals die Begriffe Paid, Owned und Earned Media. Ein Jahr später machte Forrester Research sie in einer Marktforschungsstudie einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

Earned, Paid und Owned Media

Bezahlte Werbemaßnahmen, bei denen sich Unternehmen die Nutzung von Medien für Werbezwecke erkaufen. Beispiele sind Fernseh-,Print-, Internet- und Radiowerbung.
Medien aus dem Bereich Corporate Publishing, die vom Unternehmen selbst kontrolliert werden. Dazu gehören Kundenzeitschriften, Business-TV, Unternehmens-Blogs, aber auch Profile auf Facebook, Twitter und Youtube.
Inhalte, die ohne direkten Auftrag eines Unternehmens etwa durch unabhängige Medienkanäle oder Konsumenten verbreitet werden. Besonders handelt es sich um Themen, die sich im Social Web "organisch" oder "viral" verbreiten. "Verdienen" müssen sich Unternehmen diese Art der kostenlosen PR durch langfristige Kundenbindung, gute PR-Arbeit sowie darauf aufbauendes Empfehlungs-Marketing. Crowdsourcing kann helfen, Earned Media zu "verdienen".

CW: Was gilt es bei der Kundenansprache zu beachten?

Van Delden: Unternehmen möchten zum einen Interessenten ansprechen, die Produkte und Marke schon kennen, zum anderen solche, die mit einem neuen Blick und einer neuen Perspektive an ihre Produkte herangehen. Erstere sind leicht zu erreichen: mit Facebook-Seiten, Blogs, Point-of-Sale-Kooperationen. Görtz etwa hat auf seine Kassenbons gedruckt, wo man Hinweise auf die Entwicklung neuer Produkte einbringen kann. Nehmen Sie das Beispiel "Marriott Travel Brilliantly": Die Plattform ist nicht von uns, sie ist aber sehr gut gemacht. Es geht um Innovationen rund ums Reisen, um Interaktion und Kundenideen. Die Macher unterhalten Medienkooperationen zum Thema Reisen der Zukunft. Da schreiben unter anderem Gast-Blogger eben über das Reisen der Zukunft.

Oder die Betreiber der Plattform "Patient Innovation": Sie suchen im Netz nach Menschen, die etwas für den medizinischen Bereich erfunden haben. Diese kreativen Tüftler werden eingeladen, ihre Erfindungen auf Patient Innovation zu zeigen. Damit wird diesen Menschen ein Kanal geboten, sich weiter zu vernetzen. Auch so kann man auf Leute im Sinne des Crowdsourcing-Gedankens zugehen und sie zusammenbringen.

Manchmal will man übrigens auch nur schnell einmal eine Frage beantwortet wissen und keine große Kampagne inszenieren. Wir bieten solch eine Funktion auf unserer Plattform mit der Funktion "Crowd Supercharger" an. Da haben wir Schnittstellen zu Crowdworking-Marktplätzen wie "Mechanical Turk" von Amazon oder "Clickworker". Wir nutzen das hin und wieder auch, um rasch eine Umfrage zu einem speziellen Thema zu starten wie beispielsweise: "Wann hältst Du es für sinnvoll, wenn Deine Daten am Arbeitsplatz verfolgt werden?" Das ist zwar ein brisantes Thema, für das wir aber kein großes Projekt betreiben wollen.

CW: Werden nicht durch Crowdsourcing-Modelle die Kreativen in den Unternehmen unter Druck gesetzt, vielleicht sogar entmachtet? Immerhin lässt sich die geballte Intelligenz und der Einfallsreichtum von Tausenden Menschen "da draußen" nutzen.

Van Delden: Eigentlich ist es umgekehrt: Crowdsourcing-Prozesse werden erst durch das Wissen der Kreativen und Entwickler angestoßen. Es wird meiner Meinung nach niemals einen Crowdsourcing-Prozess geben, bei dem ein Unternehmen komplett alle Inhouse-Tätigkeiten auslagert und am Ende ein fertiges Produkt bekommt. Viele Fragen können nur die Spezialisten im Unternehmen beantworten: Wie kann man etwas umsetzen? Was für Techniken haben wir? Wie passt etwas zu uns?

Übrigens sind die Entwickler in Unternehmen dank Crowdsourcing in einer angenehmen Situation: Sie können ihren Job besser machen, weil sie genau das entwickeln, was Kunden wollen. Wir hatten Fälle etwa aus der Lebensmittelbranche, da haben Entwickler an Ideen aus der Community ganze Wochenenden herumgetüftelt, um her-auszufinden, ob sie realisierbar sind. Sie glauben gar nicht, wie frustrierend für Entwickler die Erkenntnis ist, dass ein Großteil ihrer Entwicklungen niemals das Licht der Welt sehen wird. Durch Crowdsourcing wird diese Frustration erheblich verringert.

CW: Gibt es einen bestimmten Typ von Unternehmen, für den Crowdsourcing besonders geeignet ist?

Van Delden: Ich hatte mal ein interessantes Gespräch mit einem Firmenchef aus der Lebensmittelbranche. Der sagte: "Die Kunden wollen doch, dass wir sie überraschen. Die wollen, dass wir für sie nachdenken und auf den Markt bringen, was gefragt ist." So ein Geschäftsführer prägt natürlich die Produktstrategie seines Unternehmens, und wenn er ein kreatives Genie ist, mag die Rechnung auch aufgehen. Jedenfalls wird es solchen Unternehmen schwerfallen, ihre Firmenkultur an ein Crowdsourcing-Modell anzupassen. Am Ende ist es eine Frage der Firmenkultur, ob Crowdsourcing ein gangbarer Weg ist.

Wir hatten mal den Fall, da stellten wir uns in zwei konkurrierenden Unternehmen aus derselben Branche vor. In dem einen wollte man genau wissen: Wo sind die Potenziale von Crowdsourcing für uns? Was können wir damit anfangen? Wie können wir uns weiterentwickeln? In dem anderen Unternehmen ging es nur darum, uns zu beweisen, warum unser Modell nicht funktionieren kann. Das ist uns schon in vielen Branchen passiert. Wir sind der Sache dann in einem Fall nachgegangen und wollten herausfinden, ob die ablehnende Haltung an einzelnen Gesprächspartnern liegt. Dort haben wir dann mit ganz unterschiedlichen Leuten gesprochen, und es hat sich bestätigt. Die Firmenkultur ist entscheidend dafür, ob Crowdsourcing eine Option ist.