Macht ausüben oder Einfluss nehmen?

Was gute Führungskräfte auszeichnet

20.01.2014
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Macht ausüben oder Einfluss nehmen

Was ist der Unterschied zwischen Macht und Einfluss? Mit Macht ausüben ist das Durchsetzen der eigenen Interessen auch gegen den Willen anderer gemeint, mit Einfluss nehmen hingegen das Durchsetzen der eigenen Interessen mit Zustimmung der anderen. Der Unterschied erschließt sich aus dem Status-Modell. Innerhalb des Modells ist das Ausüben von Macht dem höheren Status zugeordnet und die Einflussnahme einer Position, die aus dem tieferen Status erwächst.

Dabei erhöht der aus dem höheren Status Agierende die Akzeptanz seiner Macht, je sympathischer er auftritt. Und der aus dem tieferen Status heraus Handelnde? Er gewinnt umso mehr Einfluss, je standfester er seine Interessen vertritt. Historische Beispiele wie Gandhi oder Nelson Mandela verdeutlichen den Unterschied: Die Macht und den höheren Status hatten die politischen Gegner. Aber beide hatten genug Einfluss, um aus dem tieferen Status heraus einen politischen - weitgehend gewaltfreien - Wechsel herbeizuführen.

Charismatiker sind Status-Spieler

Charismatische Leader zeichnet aus, dass sie auch in Stresssituationen nicht (unbewusst) den Verlockungen des Hochstatus erliegen. Sie agieren vielmehr auch dann zumeist bewusst aus dem tieferen Status heraus. Ihre innere Haltung ist zwar "hoch" ("Ich weiß, was ich will"), ihre äußere Vorgehensweise jedoch "tief" - also nicht machtvoll, sondern Einfluss nehmend. Sie gleichen einem Schilfhalm, der fest in der Erde verwurzelt sich im Sturm zwar biegt, aber nicht bricht, und sich hinterher wieder aufrichtet.

Die meisten Führungskräfte bevorzugen in Stresssituationen einen Status. Entsprechend gering ist gerade in solchen Situationen ihre Verhaltensflexibilität. Zum Erhöhen der Verhaltensflexibilität gibt es zwei Entwicklungswege:

Weg 1: Führungskräfte, die bevorzugt aus dem Hochstatus heraus handeln, lernen, bewusst in den tieferen Status zu wechseln (innen hoch, außen tief). Subjektiv stellt sich diese Statusbewegung für den Hochstatus-Typen als bewusster Machtverzicht dar, den er nicht ohne weiteres eingehen möchte.

Weg 2: Der Tiefstatus-Typ entwickelt genügend Durchsetzungswillen, um wirklich Einfluss nehmen zu können. Erfahrungen aus Status-Workshops zeigen: Der Weg in die Position der gezielten Einflussnahme muss über den Hochstatus führen. Die Person muss innerlich bereit sein, im Status hochzugehen und diesen auch auszuhalten. Erst dann kann sie den hohen Status wieder verlassen.

Diese Entwicklungsschritte sind wichtig, weil es bei ihnen letztlich darum geht, als Führungskraft eine größere Verhaltensflexibilität und somit auch eine höhere Souveränität zu entwickeln. Oder anders formuliert: Es geht um die Freiheit, selbst zu bestimmen, wie man im Umgang mit anderen auftritt. Und um die Option, im Bedarfsfall blitzschnell den Status zu wechseln, wenn das bevorzugte Status-Spiel nicht zielführend ist. (oe)

Kontakt:

Der Autor Tom Schmitt ist Diplom-Pädagoge, Schauspieler und gemeinsam mit Michael Esser Autor des Buchs "Status-Spiele: Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte". Er arbeitet als Managementberater und Trainer für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (www.kraus-und-partner.de). Tel.: 07251 989034, E-Mail: tom.schmitt@krauspartner.de