Warum sich Anwender mit SCM so schwer tun

14.03.2002
Von Jörg Köster

Zudem neigen Wertschöpfungsnetze zu starker Dynamik und Intransparenz. Damit ist schwer vorherzusehen und zu verifizieren, inwieweit aktive steuernde Eingriffe in solche Netze überhaupt ihr Ziel erreichen.Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Steuerung von unternehmensübergreifenden Wertschöpfungsnetzen eine zentralisierte übergeordnete Instanz erfordert. Aber wer übernimmt diese Funktion? Und welches Unternehmen möchte einen Teil seiner Autonomie an eine solche Instanz abgeben? In einem Konzern mit mehreren Produktionsstandorten funktionieren derartige Lösungen meist gut. Bei normalen, also unternehmensübergreifenden Kunden-Lieferanten-Beziehungen ist das jedoch um ein Vielfaches schwieriger bis unmöglich.

Unabdingbar: eine realistische Modellwelt

Ohnehin sollten die Unternehmen zunächst die interne Supply-Chain in den Griff bekommen, bevor sie an große SCM-Lösungen denken. Die Teilnahme an einem Wertschöpfungsnetz macht es erforderlich, Liefertermine kurzfristig zu ermitteln und einzuhalten. Leider bewältigen die Bedarfsauflösungen der ERP-Systeme, die der MRP-II-Philosophie folgen, diese Aufgaben nur mangelhaft. Sie müssen daher ersetzt werden.

Die Planungsfunktionen eines SCM-Systems basieren einerseits auf den Daten des ERP-Systems, andererseits auf komplexen Modellen, die ein virtuelles Abbild des realen Unternehmens schaffen. Die Maschinenkapazitäten gehören noch zum einfacheren Teil der Modellierung. Weitaus komplexer ist die Abbildung von Restriktionen wie Personal-, Transport- oder Lagerkapazitäten. Gelingt es nicht, eine der Realität nahe kommende Modellwelt aufzubauen, so ist das Ergebnis der SCM-Planung ebenso unbrauchbar wie das der MRP-II- Planung.

Der Aufwand für den Aufbau der Modelle und das ständige Anpassen an neue Gegebenheiten wird häufig unterschätzt. Bei der Modellerstellung unterscheiden sich die SCM-Systeme der Anbieter erheblich voneinander. Die Produkte mit den US-Wurzeln tendieren zu komplexen Modellen und Regelwerken, mit denen sie möglichst vollautomatisch planen können. Die deutschen Anbieter hingegen ersetzen einen Teil der Komplexität durch die Nutzung des menschlichen Know-how.

Weitere Unterschiede finden sich in der Beschreibung der Kapazitäten. Allgemein gilt es als Vorteil der SCM-Systeme, dass sie mit geschlossenen Kapazitätsgrenzen rechnen. Doch diese Eigenschaft macht den Modellaufbau um ein Vielfaches komplexer. Einige Systemanbieter erlauben deshalb die Wahl zwischen offenen und geschlossenen Kapazitätsgrenzen. Das kommt den deutschen Unternehmen entgegen. Haben sie sich doch in den vergangenen Jahren durch zunehmende Flexibilisierung in Richtung „atmender“ Fabriken entwickelt. Das Motto lautet: Nicht der Marktbedarf wird den Ressourcen angepasst, sondern die Ressourcen dem Marktbedarf. Doch solche Entscheidungen sind unternehmensstrategischer Art, und derartige Fragen müssen vor den SCM-Überlegungen geklärt werden.