B2B-Szenarien für M2M und IoT

Über Machine-to-Machine und Internet der Dinge zur Industrie 4.0

11.07.2015
Von 
Klaus Hauptfleisch ist freier Journalist in München.
Beim Internet der Dinge denkt man spontan an den vernetzten Kühlschrank oder Smart Home. Es gibt aber auch viele B2B-Anwendungen für die Machine-to-Machine-Kommunikation (M2M), die einen wesentlichen Bestandteil von Industrie 4.0 darstellt.
Mit dem Internet der Dinge kommt Industrie 4.0 als vierte Generation der industriellen Revolution.
Mit dem Internet der Dinge kommt Industrie 4.0 als vierte Generation der industriellen Revolution.
Foto: Bosch SI

Welche Bedeutung das Internet der Dinge und Machine-to-Machine-Kommunikation einnehmen wird, wird derzeit eifrig diskutiert. Die Erwartungen reichen dabei je nach Ansatz weit auseinander. Gartner rechnet für das Internet der Dinge und M2M bis 2020 mit 26 Milliarden, IDC sogar mit 212 Milliarden IP-fähigen Geräten oder Vorrichtungen weltweit. Die in einer Studie von Bosch Software Innovation (Bosch SI) zitierten Experten von Machina Research gehen wiederum bis 2022 von lediglich 14 Milliarden Stück aus, wobei allerdings ein vernetztes Auto samt aller Sensoren und eingebauten (embedded) Systeme als nur ein "Connected Device" gezählt wird. Hinzu kommen auch noch einmal drei Milliarden Smartphones, Tablets und andere Zugangsgeräte, die Machina Research als Benutzerschnittstellen vom IoT-Markt bewusst losgetrennt betrachtet.

Machina Research macht für IoT und M2M dreizehn Felder aus. Die sechs größten sind der Reihe nach Gebäudeintelligenz/Smart Home, Consumer Electronics, Utilities (Versorgungsunternehmen), Verkehr, Smart Cities/Öffentlicher Verkehr und Gesundheit.
Machina Research macht für IoT und M2M dreizehn Felder aus. Die sechs größten sind der Reihe nach Gebäudeintelligenz/Smart Home, Consumer Electronics, Utilities (Versorgungsunternehmen), Verkehr, Smart Cities/Öffentlicher Verkehr und Gesundheit.
Foto: Machina Research

Auch bei den Einnahmen gehen die Einschätzungen stark auseinander. Der britische 3G/4G-Ausrüster Westbase Technology etwa rechnet für M2M bis 2020 mit einem Umsatzvolumen von 950 Milliarden Dollar und verweist dazu auf seiner Webseite auf eine Reihe von Anwendungsszenarien, darunter ein Smart Traffic System und einen Echtzeit-Vibrationsmelder für Baustellen. Machina Research legt die Latte deutlich niedriger - laut Bosch-Studie erwarten die Marktbeobachter, dass die IoT-bezogenen Umsätze bis Ende 2022 weltweit auf 596 Milliarden Euro ansteigen werden. Die Aufteilung: 212 Milliarden Euro davon sollen auf Gebäudeintelligenz und Smart Home entfallen, 176 Milliarden Euro auf Automobile, 44 Milliarden auf die Versorgungswirtschaft (Utilities), 21 Milliarden auf Smart Cities und 17 Milliarden auf das produzierende Gewerbe.

Schaut man sich das von Machina Research erwartete Datenvolumen von über vier Millionen Terabyte für 2022 an, versteht man, warum Big Data mit Blick auf die Analyse künftig eine immer größere Rolle spielen wird im IoT-/M2M-Geschehen: Über drei Viertel der vier Millionen Terabyte sollen laut Einschätzung 2022 auf die genannten fünf großen Säulen entfallen, mehr als die Hälfte allein auf Smart Cities mit über 2,4 Millionen Terabyte, 630.000 Terabyte auf den Kfz-Bereich.

Wie das Auto dank Sensoren zum Dienstleister wird

Gartner-Analystin Bettina Tratz-Ryan, zuständig für ökologische Nachhaltigkeit, intelligente Städte und Arbeitsplätze, verweist darauf, dass moderne Fahrzeuge oft schon über 80 oder 90 Sensoren verfügen. Die über das Steuerungsboard gesammelten Daten ließen sich in der Werkstatt oder remote unterwegs jederzeit auslesen. Das sei auch für Kfz-Versicherer interessant und werde auch schon eingesetzt, so Tratz-Ryan - ob mit oder ohne Einverständnis des Fahrers, sei dahingestellt. In der Flottenversicherung für Autos oder Lieferwagen gibt es etwa heute schon Ansätze, gutes Fahrverhalten zu belohnen und schlechtes zu bestrafen -gut für den Unternehmenskunden aber unter Umständen schlecht für den Fahrer.

Noch in der Anfangsphase und doch vielfach erprobt sind Konzepte der Stadt- und Elektromobilität, wobei Elektroautos wie der Tesla den nicht abgefahrenen Strom auch ins Stadtnetz oder Smart Grid einspeisen werden. Über Vehicle to Grid und die Übertragung von Kfz-Daten werde das Auto zum Dienstleister, so Tratz-Ryan. Die Gartner-Expertin ist davon überzeugt, dass die Wertschöpfungskette mit M2M als Basisdienst künftig mehr und mehr über Dienstleistungsfelder abgedeckt werde. Das erfordere aber auch einen höheren Integrationsgrad, neue Geschäftsmodelle und Kundensegmentierungen.

Wie sich am Beispiel London zeige, sei die Zahl der Kfz-Neuzulassungen in den Metropolen, nicht zuletzt durch Car-Sharing oder von den Städten oder Bahngesellschaften bereitgestellten City-Autos heute schon rückläufig, erklärt die Analystin. Ziel urbaner Konzepte sei es, dass eine kleinere Zahl von Fahrzeugen möglichst immer in Bewegung ist und weniger Parkplätze erforderlich sind. Ein umfassendes Smart-City-Konzept wie in Singapur, nämlich unter Einbindung eines teuren elektronischen Mautsystems, eines günstigen, als vorbildlich geltenden Nahverkehrsnetzes und Wegweiser für unterirdisch oder überirdisch verlaufende klimatisierte Fußwege gebe es bisher nur selten, werde aber als Megatrend der Zukunft in den Megametropolen gehandelt.

Datenschutzfragen im Kfz- und Gesundheitsbereich

Das in der EU für alle Neuwagen ab Oktober 2015 verbindlich vorgeschriebene Notrufsystem eCall soll auch Pay-as-You-Drive-Versicherungsmodelle und Mauterfassung unterstützen. Aber trotz aller Beteuerungen steht das System in der Kritik, weil sich darüber auch eine EU-weite Überwachungsinfrastruktur aufbauen lässt. Von den Möglichkeiten des Datenmissbrauchs durch Dritte ganz zu schweigen. Gartner arbeitet an Studien, wie sich Straßenlaternen als Knotenpunkte für die Intelligenz in Städten einbinden lässt, um zum Beispiel demente ältere Mitbürger per Profilerkennung nach Hause oder ins Seniorenheim zurückzuführen. Aber diese sollten zumindest gefragt werden, ob sie das wollen, ethisch ist das ein zweischneidiges Schwert.

Ein anderes Beispiel, das auch viele Fragen aufwirft, ist der IoT- oder M2M-Einsatz im Gesundheitswesen. Während Industrie 4.0 in der Pharmaindustrie schon weit verbreitet ist und der Absatz von Fitness-Messgeräten boomt, Stichwort Gamification, seien in den USA verkaufte Sensoren für inkontinente Patienten in Deutschland "vom Datenschutz gedeckelt", wie Tratz-Ryan es ausdrückt. Interessanter wären da schon Lösungen wie ein Strumpf der italienischen Firma Reply, der den ganzen Bewegungsapparat des Menschen abbilden kann. Auf diese Weise kann man bei Hüftproblemen erkennen, wo der Schuh drückt, nach Operationen wird angezeigt, wie die Rehabilitierungsmaßnahmen anschlagen.

Die Informationen über den Gesundheitszustand einer Person lassen sich aber auch anderweit verwerten. Krankenversicherer gehen schon den Möglichkeiten nach, über Sport- und Fitness-Tracking den Kunden völlig neue Tarifmodelle anbieten zu können. Problem ist nur, was passiert mit den Daten? Wird der Übergewichtige bestraft, weil er nicht abnimmt, der Trinker oder der Raucher, weil er von dem Laster nicht lassen kann? Landen die Daten am Ende auch in Flensburg, bei der Polizei und dem jeweiligen Arbeitgeber? Das gilt es zu bedenken und wird sicherlich noch für so manchen Gesprächsstoff sorgen.

Automaten, digitales Bezahlen und Rabattsysteme

Im Klinikeinsatz schon weit verbreitet ist die Fernüberwachung. Noch etwas Old School, weil festnetzbasierend, ist der Hausnotruf für Senioren. Mit Healthsense, einem 24/7-Gesundheitscheck, an dem Westbase Technology mitgewirkt hat, können pflegebedürftige ältere Mitbürger weiter zu Hause wohnen, ohne dass sich ihre Angehörigen ständig um sie Sorgen müssen.

Im Krankenhaus und in vielen anderen öffentlichen Einrichtungen finden sich natürlich auch Automaten. Über 500.000 sind es allein in Deutschland mit einem Jahresumsatz von rund 2,5 Milliarden Euro, rechnet die Deutsche Telekom vor. Mit M2M ginge da noch viel mehr, das bargeldlose Bezahlen per Handy und Near Field Communication (NFC) habe Zukunft. Bis 2017 soll der weltweite Zahlungsverkehr via Funkchip auf ein Volumen von 180 Milliarden Dollar steigen. Der Vorteil für die Automatenbetreiber: Der Chip lässt sich leicht nachrüsten.

Cashless Payment kann laut Experton-Analyst Weiß auch als Internet der Dinge sublimiert werden und stößt bei vielen Einzelhandelsketten auf großes Interesse. Denn so lassen sich die mobilen Endgeräte der Kunden auch nutzen, um sie mit digitalen Rabattsystemen oder Schnäppchenangeboten zu ködern. Was früher die Rabattmarken, heute die Payback-Karte, könnten künftig iBeacon-Lösungen wie die vom Hamburger Startup Yoints für die "mobile Kundenbindung 2.0" sein.