B2B-Szenarien für M2M und IoT

Über Machine-to-Machine und Internet der Dinge zur Industrie 4.0

11.07.2015
Von 
Klaus Hauptfleisch ist freier Journalist in München.

Symbiosen wie im Korallenriff

Ob im Handel oder in der Industrie, alles hängt an der Lieferkette. Heute endet diese für den Hersteller meist beim Warenlager, Großhändler oder im Einzelhandel. IoT wird diese Perspektive laut Bosch SI grundlegend ändern. Die Softwaretochter des Elektronikriesen geht davon aus, dass sich der Markt und die Wertschöpfungskette von klar definierten Rollenbildern zu einer Art "Verkaufsarena" entwickeln werden. In dieser würden die Hersteller und ihre Lieferanten über die verbundenen Endgeräte und neue Mehrwertdienste nicht nur über ihre Handelspartner, sondern auch direkt mit dem Endkunden in Kontakt treten und interagieren.

Eine der vielen Herausforderungen in der IoT/M2M-Welt wird es laut Bosch SI sein, neue Ökosysteme ähnlich den Korallenriffen in der Südsee aufzubauen - mit Symbiosen, die ein gemeinsames Überleben und Anpassen an neue Anforderungen ermöglichen. Auf diese Weise können über das Internet der Dinge aus Konkurrenten auch Partner werden.

Wie Michael Weiß von der Experton Group betont, wird es ferner für Hersteller immer wichtiger werden, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Mit Blick auf Kundenbindung kann IoT einen wichtigen Beitrag leisten, mehr über die Kunden zu erfahren, um ihnen mit neuen Services und verbesserter Effizienz einen echten Mehrwert zu bieten und sich von der Konkurrenz abzuheben. Da die "Connected World" hoch volatil und dynamisch sein wird, sollten sich die Unternehmen die "DNA von Startups" aneignen, so Bosch SI. Dazu gehöre auch die Bereitschaft zu experimentieren, um gegen unerwartete Änderungen oder Risiken gewappnet zu sein. Daran Neues auszuprobieren, scheint es nicht zu fehlen in der Industrie, denn sonst wären viele der früher oft als schwerfällig bezeichneten Stützen der deutschen Wirtschaft nicht so weit mit ihrer Agenda 4.0.

Wenn das Werkstück die Industrie steuert

"Die Zukunft der Produktion ist vernetzt", erklärt SAP. Letztendlich gehe es um ein schnelleres Time-to-Market und eine Optimierung der Prozesse. Experton-Berater Weiß, der das Trendthema Industrie 4.0 betreut, betrachtet dieses als ein sehr "umfängliches Matrixthema", das wie Puzzleteile viele andere Trendthemen subsummiere. Dazu gehören für ihn auch Big Data, Cloud-Computing und Social Networking. Industrie 4.0 hat natürlich etwas mit Fertigung zu tun, aber interessant wird es erst, wenn das Werkstück die Industrie steuert oder das intelligente Produkt die Produktionsprozesse, wie es Weiß ausdrückt. Auf das produzierende Gewerbe bezogen, sind M2M, IoT oder das Internet of Everything (Gartner) für den Experton-Experten nur Pseudonyme für Industrie 4.0, eine Abgrenzung sei da schwer.

In der vertikalen Wertschöpfung innerhalb eines Produktionsbetriebs könne M2M oder Industrie 4.0 dazu beitragen, der angestrebten optimalen Losgröße von 1 nahe zu kommen. Es geht dabei um Just-in-Time-Fertigung mit signifikant reduzierten Beständen und verkürzten Rüstzeiten (Bestückung der Maschinen), wie man es heute schon aus der Automobilindustrie kennt. Diese ist laut Weiß schon sehr weit mit Industrie 4.0, aber was ihr noch fehle, sind eben die Losgröße 1 und ein höherer Automatisierungsgrad in der Fertigung. Von der komplett autonomen Produktion sind die Hersteller noch ein Stück weit entfernt.

Im US-Werk von BMW in Spartanburg gehen Roboter bei der Türmontage den menschlichen Arbeitskräften zur Hand.
Im US-Werk von BMW in Spartanburg gehen Roboter bei der Türmontage den menschlichen Arbeitskräften zur Hand.
Foto: BMW

Viele Tätigkeiten wie das Einsetzen von Türen lassen sich eben nun mal nur manuell vornehmen. Der Trend geht jedoch zur Mensch-Maschine-Kooperation mit kollaborativen, statt wie wilde "Tiere im Zoo in Käfig gehaltenen" Robotern, O-Ton Wolfgang Dorst vom ITK-Branchenhauptverband Bitkom. BMW reklamiert für sich, in der Türmontage in Spartanburg, South Carolina, erstmals Mensch und Roboter, ohne Schutzzaun als Team Seite an Seite gestellt zu haben.

In der horizontalen Wertschöpfungskette leitet Industrie 4.0 Weiß zufolge einen Paradigmenwechsel ein, weg von einer zentralen zu einer dezentralen Steuerung und hin zu einer "Adhoc-Vernetzung". Wie die Fertigung der i-Produkte von Apple mittlerweile weltweit geschehe und nicht an einen Produktionsstandort gebunden ist, könnten Hersteller wie Porsche mit dem bis dato in Leipzig gebauten Panamera zukünftig flexibel auf andere Werke ausweichen.

Weitgehend autonome, sich selbst organisierende, flexible Produktionsprozesse mit intelligenten Produkten und Werkstoffen werden laut Weiß auch mehr flexible Arbeitszeiten mitbringen. Kleine Zulieferer werden als "Nischenplayer" eine viel größere Rolle spielen, weil sie den Großen wie Audi etwa den nötigen Mehrwert bieten. Außerdem werde Industrie 4.0 auch eine Auflösung der klassischen Branchengrenzen bewirken. Das zeigt sich gerade in der Kfz-Branche.

Automobilindustrie überschreitet Grenzen

Auch dank freundlicher Unterstützung der Bundesregierung über ein entsprechendes Forschungsprojekt ist die deutsche Automobilindustrie besonders weit mit Industrie 4.0. Zudem weisen viele moderne Fahrzeuge bereits einen hohen Vernetzungsgrad auf. So lässt sich darüber heute auch schon die Haustechnik daheim steuern - wofür der Fahrer natürlich besser einen Zwischenstopp einlegen sollte.

In der Fertigung geht der Trend wie bereits aufgeführt zur Mensch-Maschine-Kooperation. BMW ist nicht der einzige OEM, der auf dem Weg zur Autonomie an Möglichkeiten arbeitet, Menschen und Roboter ohne Schutzzaun kollaborativ zusammen arbeiten zu lassen. Volkswagen hat in seinem Motorenwerk in Salzgitter schon einen Roboterarm getestet, der den Menschen beim Einsetzen der empfindlichen Glühkerzen zur Hand gehen soll. Ein anderer Trend, der sich dem Kfz-Wirtschaftsexperten Stefan Bratzel in der Welt abzeichnet, ist Standardisierung oder das Klonen von Produktionsprozessen. Über sogenannte "modulare Fabriken" will der VW-Konzern mit seinen 102 Produktionsstätten weltweit sicherstellen, dass die Bauteile aus Deutschland denen aus China oder Brasilien (und umgekehrt) in nichts nachstehen.

Abgesehen von schlankeren und günstigeren Produktionsprozessen treibt die Automobilkonzerne aber auch der Servicegedanke bis hin zu dem, dass der Pkw künftig nicht mehr in erster Linie als Kaufobjekt betrachtet wird, sondern als mietbarer Mobilitätsservice. So ein "Komplettpaket" schließt laut Experton-Analyst Weiß auch Wartung, Tanken und Versicherung ein. Es gebe auch schon Kooperationsversuche mit Versicherungsunternehmen. Aber wenn das nicht funktioniere, würde die Kfz-Hersteller ihre eigene Versicherung aufmachen, zitiert Weiß einen für Industrie 4.0 zuständigen IBM-Manager.

Durch Cyber Physical Systems (CPS) genannte Embedded-Systemen mit Internet-Schnittstelle würden die Hersteller mehr und mehr zu Herrschern über die Sensordaten im Fahrzeug. BMW sei damit schon sehr weit und biete als "Predictive Service" einen Wartungsdienst an, der bei einer Fehlermeldung diese erst ans Smartphone und dann an die nächstgelegene Vertragswerkstatt schicke. Dort werde dann auf einem reservierten Werkstattplatz die Reparatur sofort ausgeführt. Ist dies nicht möglich, werde ein Ersatzfahrzeug bereitgestellt, so Weiß.