Ein Bot als kleiner Helfer

So nutzt Walmart Generative AI

27.10.2023
Von 
Michael Bertha ist Partner bei der Strategieberatung Metis Strategy und freiberuflicher Autor für CIO.com. Sein Unternehmen berät Fortune-500-CIOs und Digital-Executives in Fragen der IT-Strategie.
Nach dem Erscheinen von ChatGPT fragen sich viele Unternehmen, wie sie generative KI (GenAI) sinnvoll nutzen können. Walmart geht erst einmal im Personalbereich voran.
Noch kommt GenAI in den Märkten von Walmart nicht zum Einsatz, wohl aber im Back Office.
Noch kommt GenAI in den Märkten von Walmart nicht zum Einsatz, wohl aber im Back Office.
Foto: Tupungato - shutterstock.com

Walmart hat im August 2023 den KI-Bot "My Assistant" eingeführt, der die Produktivität von etwa 50.000 Beschäftigten in den USA verbessern soll. Die weltgrößte Einzelhandelskette gehört damit zu den ersten Unternehmen außerhalb der ITK-Branche, die Generative AI (GenAI) in größerem Umfang einsetzen.

Eine treibende Kraft hinter My Assistant ist Ben Peterson, Leiter von Walmarts "People Product Organization". Peterson war zuvor jahrzehntelang bei einem globalen Beratungsunternehmen beschäftigt, wo er Einzelhandelskunden und Konsumgüter-Hersteller im Produktmanagement beriet. Bei Walmart stürzte er sich direkt auf das Thema Employee Experience. Der Konzern beschäftigt rund 2,1 Millionen Menschen rund um den Globus.

Walmart will das Mitarbeitererlebnis neu gestalten

"Wir sind auf dem ehrgeizigen Weg, die Mitarbeitererfahrung neu zu gestalten, indem wir intuitive digitale Erlebnisse schaffen, die das Potenzial der Beschäftigten freisetzen", sagt Peterson. Er bezieht sich dabei auf die digitalen Systeme und Prozesse, die Walmart-Mitarbeiter in Bereichen wie Hiring und Onboarding, Lernen, Performance Management, Karriereentwicklung, Vergütung, Sozialleistungen und Gehaltsabrechnung nutzen.

"Wir wussten schon früh, dass wir bei generativer KI führend sein wollen", sagt Peterson und erzählt von den jüngsten Innovationen bei Walmart und wie es gelungen sei, das Versprechen von GenAI in größerem Umfang einzulösen. Im Konzern kursiere ein Satz aus dem medizinischen Umfeld, den jeder GenAI-Interessierte kenne: "KI wird den Radiologen nicht ersetzen, aber der Radiologe, der KI nutzt, wird denjenigen ersetzen, der es nicht tun."

Was ist My Assistant?

Walmart hat mit My Assistant ein GenAI-gestütztes Tool für rund 50.000 derjenigen US-Mitarbeitenden eingeführt, die nicht in einem der Stores arbeiten. Das Tool basiert auf einem proprietären Large Language Model (LLM) und unterstützt - so wie ChatGPT - schnelle Textentwürfe und das Zusammenfassen längerer Dokumente. Monotone, sich wiederholende Tätigkeiten sollen für die Beschäftigten reduziert werden.

Über My Assistant bietet zudem die Personalabteilung von Walmart diverse Dienste an: So können sich Mitarbeitende einfacher als bisher über Trainings und Sozialleistungen informieren. Neues Personal kann sich schlau machen, was im Konzern vor sich geht. Walmart will das Tool weiter ausbauen und mehr Self-Services für die Beschäftigten und für Kunden anbieten.

Walmart ist nicht das einzige Unternehmen, das hier vorangeht. Beispielsweise hat der Immobilien- und Investment-Konzern JLL ein auf eigene und fremde Daten trainiertes Modell (JLL GPT) für seine mehr als 103.000 Mitarbeiter bereitgestellt. Es soll demnächst auch eine Variante für Kunden geben. Unter anderem dient JLL GPT dazu, Preise zu kalkulieren und Marktentwicklungen vorherzusagen. Auch die Berater von PwC und McKinsey arbeiten mit GenAI.

Die Analogie bringt die Haltung des Walmart-Managements auf den Punkt: Es ist wettbewerbskritisch für den Konzern, innovative Technologien schnell zu prüfen und gegebenenfalls einzuführen. Nach dieser Prämisse hatte der Handelsriese schon vor Jahren sein Supply Chain Management neu definiert und seine Strategie Everyday Low Prices so etabliert, dass sie heute von Elite-Wirtschaftshochschulen in aller Welt als Fallstudie gelehrt wird.

Walmart tat sich mit einer Forschungseinrichtung zusammen

Im Frühjahr 2023, als ChatGPT erstmals über 100 Millionen Nutzer zählte, tat sich ein Team von Walmart mit einer der weltweit führenden Forschungseinrichtungen zusammen, um die Chancen von GenAI für den Konzern herauszuarbeiten. Man kam zu der Erkenntnis, dass die neue Technologie erst einmal vor allem Wissensarbeitern dienen und deren Arbeit ergänzen solle. Von Automatisierung war noch keine Rede. So beschlossen die Verantwortlichen von Walmart, einen Versuch zu wagen, und sie wählten dafür die rund 50.000 Back-Office-Mitarbeiter des Unternehmens in den USA als erste User-Basis aus.

Am Tag nach dem Besuch der Forscher trafen sich Walmarts Führungskräfte, um sich auf eine Vision für generative KI zu einigen. Laut Peterson war das wegen des Hypes um die Technologie wichtig: "Angesichts der täglich neuen technischen Innovationen und der unterschiedlichen Perspektiven auf dem Markt war es entscheidend, Ablenkungen zu vermeiden und nachhaltige Fortschritte zu erzielen." Diese Klarheit diente der Ausrichtung und half den Teams, sich auf die Umsetzung vorzubereiten.

Dabei stellten sich die Teilnehmenden viele Fragen: Wie würden die Mitarbeiter auf das Tool zugreifen? Was wären die wichtigsten Anwendungsfälle? Wie würde sich der Fokus nach den ersten 60 Tagen verändern? Wie sieht die KI-Welt in 24 Monaten aus? Genauso entscheidend war laut Peterson die übergreifende Kommunikation im Unternehmen. Walmart nahm den Mitarbeitenden die Angst vor KI, indem von Anfang an klargestellt wurde, dass die Technologie die Menschen unterstützen und nicht ersetzen soll. "Das Ziel ist es, unseren Leuten zu helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen. Sie sollen ihre Arbeit intuitiver gestalten können und mehr Raum für Kreativität und menschliche Beziehungen bekommen. Das ist es, was Walmart so besonders macht", erklärt Peterson.