Organisationsentwicklung

So kann der Finanzsektor die Modernisierung vorantreiben

19.10.2023
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Als CEO von Camunda, einem Anbieter von Software zur Prozessautomatisierung, ist Jakob Freund verantwortlich für die Vision und Strategie des Unternehmens. Neben einem MSc in Informatik ist er Co-Autor des Buches „Real-Life BPMN“ und ein gefragter Referent auf Technologie- und Branchenveranstaltungen.
Durch Prozessorchestrierung können Finanzdiensleister die sich ständig ändernden Herausforderungen des Geschäftsbetriebs bewältigen. Wie das gelingt, erfahren Sie in diesem Artikel.
Der Umstieg vom Sparschwein auf digitale Finanzgeschäfte ist beispielsweise (noch) ein Generationen-Thema. Dies ist nur einer der Prozesse, bei denen mit Fingerspitzengefühl digitalisiert werden sollte.
Der Umstieg vom Sparschwein auf digitale Finanzgeschäfte ist beispielsweise (noch) ein Generationen-Thema. Dies ist nur einer der Prozesse, bei denen mit Fingerspitzengefühl digitalisiert werden sollte.
Foto: pogonici - shutterstock.com

Laut einer Umfrage von Camunda (Bericht nur per Linkabgabe erhältlich) sind 96 Prozent der IT-Führungskräfte der Meinung, dass Prozessautomatisierung eine entscheidende Rolle spielt, um die Ziele der digitalen Transformation zu erreichen. Dennoch tun sich viele mit der Modernisierung schwer: Drei von fünf Entscheidungsträgern bezeichnen die digitale Transformation als „schwierig umzusetzen“. Die folgenden drei Punkte sollten Sie dazu näher ins Auge fassen.

Orchestrieren von Legacy-Systemen

Legacy-Systeme sind bei Finanzdienstleistern immer noch allgegenwärtig. Mehr als 800 Milliarden COBOL-Codezeilen, eine 1959 entwickelte Programmiersprache, werden heute immer noch auf Mainframe-Systemen ausgeführt. Die Effizienz dieser Systeme ist nicht die einzige Herausforderung. Die für die Instandhaltung verantwortlichen Mitarbeiter gehen bald in den Ruhestand. Laut Deloitte haben IT-Teams allein in den vergangenen fünf Jahren 23 Prozent ihrer Beschäftigten verloren, die mit Mainframe gearbeitet haben und 63 Prozent dieser Stellen blieben unbesetzt.

Diese Systeme einfach von einem Tag auf den anderen komplett zu ersetzen, ist keine Option. Viele von ihnen verarbeiten Millionen, wenn nicht gar Milliarden von Euros an Transaktionen. Stattdessen können Legacy-Systeme aber so orchestriert werden, dass sie mit moderner Software zusammenarbeiten, bis die technischen Ressourcen für eine neue Architektur oder das Neuschreiben der Systeme aufgewendet werden können. IT-Teams in Finanzdienstleistungsunternehmen können schrittweise an die Modernisierung herangehen, indem sie SaaS-Tools zur Workflow-Integration oder RPA (Robotic Process Automation) in Verbindung mit einem Legacy-System einsetzen.

Lesetipp: Lagacy-Modernisierung - Unternehmen müssen lernen loszulassen

Oft geht es dabei um die Automatisierung lokaler Prozesse, einer einfachen Aufgabe oder einer Reihe von Aufgaben. Wenn Prozesse jedoch miteinander interagieren oder komplexer sind als nur eine lineare Abfolge von Schritten, kann Prozessorchestrierung die Modernisierung beschleunigen.

Bei der Orchestrierung werden unterschiedliche Prozessendpunkte miteinander verknüpft und ausgesteuert. Software-Tools können dabei unterstützen und transparent darstellen, was funktioniert und was nicht. Dies hat zur Folge, dass die Prozesse nicht mehr in Silos ablaufen, sondern End-to-End und effizient ineinander greifen.

So können zum Beispiel eine Reihe von RPA-Bots, die einzelne Aufgaben oder Prozesse innerhalb eines Legacy-Systems automatisieren, gemeinsam orchestriert werden. Im nächsten Schritt hat das Engineering-Team dann die Möglichkeit, diese Bots nach und nach in Microservice-basierte Anwendungen umzuschreiben und diese Anwendungen zu orchestrieren, bis das Legacy-System letztlich ganz abgeschafft werden kann.

Schritt halten mit Compliance- und Risikomanagement

Die heutigen Compliance- und Risikoanforderungen für Finanzdienstleister können sich im Handumdrehen ändern. Sich immer wieder an die Compliance- und Risikoanforderungen anpassen zu müssen, kann disruptiv sein, wenn ein Unternehmen nicht darauf vorbereitet ist, sich ebenso schnell zu verändern.

Um ein Beispiel zu nennen: Mit dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und Signature Bank ist es denkbar, dass die Regulierungsbehörden plötzlich Wert auf Stresstests für Vermögenswerte legen. Unternehmen können Automatisierung und Orchestrierung als Frühwarnsystem für wirtschaftliche Indikatoren nutzen, sodass Teams ihre Portfolios neu bewerten können, bevor Liquiditätsprobleme oder andere Herausforderungen auftreten.

Viele andere Compliance-Prüfungen — von routinemäßigen KYC-/AML-Prüfungen bei der Kreditkartenabwicklung bis hin zur Übertragung von Kundendaten — lassen sich mit Automatisierung und Orchestrierung umsetzen. Wie das gelingt? Mithilfe von Prozessmodellierungs-Frameworks wie BPMN (Business Process Model and Notation) können Teams Prozesse von Anfang bis Ende entwerfen, und zwar sowohl für maschinelle als auch für manuelle Arbeitsabläufe.

Prozessorchestrierung, die einem BPMN-Framework folgt, erleichtert die Definition manueller Arbeitsabläufe in automatisierten Systemen, die in Compliance-Abteilungen üblich sind. Selbst wenn ein technologisches System einen Fehler verursacht, wird die Überprüfung oder Korrektur durch einen Menschen nicht verzögert.

Lesetipp: FAQ Compliance Management - Compliance Management richtig umsetzen

Die Kunden sind digital

Viele "Newcomer" wie Fintechs bieten ihren Kunden benutzerfreundlichere Alternativen und machen traditionellen Finanzdienstleistern den Rang streitig. Als Reaktion darauf rüsten alteingesessene Finanzinstitute ihr digitales Angebot auf und bieten unter anderem digitale Bankdienstleistungen für Privat- und Geschäftskunden sowie schnellere Handelsabschlüsse an. Das Ziel ist es, wo immer möglich ein reibungsloses Kundenerlebnis zu bieten. Bei vielen Finanzdienstleistern erfordert dies jedoch einen höheren Automatisierungsgrad.

Sogenannte Omnichannel Customer Journeys oder solche, die sich über Kanäle wie persönliche Gespräche, Online-Dienste, Chat und Kontaktzentren erstrecken, können besonders umständlich sein und eine Herausforderung darstellen. Ähnlich, wie zuvor bei Compliance- und Risikoanforderungen beschrieben, können Unternehmen Business Process Model and Notation (BPMN) nutzen, um effektiv orchestrierte, automatisierte Prozesse zu entwickeln. Diese integrieren diese Kanäle erfolgreich, so dass die Customer Journey nicht unterbrochen wird. Sobald ein erfolgreich ausgeführter End-to-End-Prozess vorhanden ist, können Unternehmen diese Entwurfsmuster auf andere Prozesse übertragen, anstatt das Rad jedes Mal neu zu erfinden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass viele Finanzdienstleistungsunternehmen bereits einen gewissen Automatisierungsgrad erreicht haben und nicht mehr bei Null anfangen. Unabhängig davon, auf welcher Automatisierungsstufe sie sich befinden, kann Prozessorchestrierung dabei helfen, verschiedene Prozessendpunkte zu verknüpfen und komplexe Prozesse auszuführen. Eine erfolgreiche Einführung eines Tools zur Prozessorchestrierung kann ein Unternehmen dabei unterstützen, seine Effizienz mit bestehenden Legacy-Systemen zu erhöhen, mit modernen Compliance- und Risikomanagementanforderungen Schritt zu halten und das Kundenerlebnis zu optimieren. (bw)