Digitalisierung im Handel pragmatisch gedacht

Schluss mit dem 4.0-Hype

Kommentar  25.01.2018
Von 


Wolfgang Vogl ist Director Business Development bei Speed4Trade. Mit über 25 Jahren Erfahrung in und mit Softwareunternehmen ist er auf digitale Geschäftsmodelle und Commerce-Plattformen spezialisiert. Der Wirtschaftsinformatiker unterrichtet als Dozent im MBA-Studiengang “Digital Business Manager” und engagiert sich im Bitkom.
Digitalisierung ist der Einsatz aktueller Internet-Technologien zur Optimierung der Geschäftsprozesse. Punkt.
Beim Thema "Digitalisierung" herrscht bei vielen Entscheidern noch Ratlosigkeit.
Beim Thema "Digitalisierung" herrscht bei vielen Entscheidern noch Ratlosigkeit.
Foto: Dean Drobot - shutterstock.com

Eine Abfrage bei Google Trends über die letzten 5 Jahre zeigt ein leicht steigendes Interesse am Thema "Digitalisierung". Aber Spitzen bei den Suchanfragen gab es auch schon in 2012. Also doch nichts Neues? Erstaunlich ist, dass das Interesse zum Ende jeden Jahres immer stark ansteigt, um dann im Januar ebenso stark abzufallen.

Verlauf Google Trends: Interesse an "Digitalisierung" in den letzten fünf Jahren (Deutschland).
Verlauf Google Trends: Interesse an "Digitalisierung" in den letzten fünf Jahren (Deutschland).
Foto: Google Trends

Es ist zu vermuten, dass im Dezember viele Strategieplanungsrunden für das Folgejahr stattfinden. Alle suchen hektisch nach "innovativen" Themen. "Digitalisierung" oder Schlagworte in Kombination mit dem Zusatz "4.0" dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Vielleicht haben die Verantwortlichen auch auf einer der Herbstmessen einen Vortrag zum Thema gehört. Doch keiner weiß genau, was das ist. Und dann wird wild gegoogelt, um ein paar Schlagworte auf die PowerPoint-Folien zu bekommen. Im Januar verschwinden die Präsentationen dann wieder in der Schublade, da ja keiner so richtig weiß, was mit Digitalisierung eigentlich gemeint ist. Bis zum nächsten Dezember, dann geht das Spiel wieder von vorne los.

Doch Google hilft auch hier weiter. Unter "Verwandte Suchbegriffe" listet Google Themen wie Energiewende, Big Data, Internet of Things und Automatisierung. Vor allem der Begriff "Automatisierung" bringt uns auf die richtige Spur. Wenn Digitalisierung in Verbindung mit Automatisierung und Prozessoptimierung gedacht wird, bedeutet das konkrete Kostenvorteile für Unternehmen. Niedrigere Kosten bedeuten wiederum Wettbewerbsvorteile. Und das macht Digitalisierung wichtig, mittelfristig sogar überlebenswichtig. Spätestens jetzt kommt keiner mehr am Thema vorbei.

Digitalisierung ist der nächste konsequente Schritt

Nehmen wir das gesamte "Marketing-Tamtam" weg, ist genau das der Kern der Digitalisierung. Ob man damit gleich einen neuen Kondratieff-Zyklus einläuten muss - wie bei der Erfindung der Dampfmaschine und der Verbreitung der Elektrizität - überlassen wir den Trendforschern. Sehen wir es pragmatisch, vergleichbar mit dem Übergang von der Mechanik zur Elektronik: Vieles konnte auch damals durch die Substitution von Mechanik durch Elektronik schneller, besser und kostengünstiger gemacht werden.

Digitalisierung ist der konsequente nächste Schritt: Hardware wird mehr und mehr zur Software und Digitalisierung wird zur Vernetzung von Dingen, Prozessen und Unternehmen. Was heute der "Mechatroniker" ist, wird in Zukunft vielleicht der "Digitroniker" sein. Bezeichnenderweise wurde der Begriff "Digitroniker" bereits in einem Buch aus dem Jahre 2001 von den Autoren Björn Pfeffermann und Matthias Sommer mit dem passenden Titel "Fiasko Computer" geprägt. Darin gibt es schon einen Kühlschrank, der automatisch Bier nachbestellt, wenn es zur Neige geht. Das mit dem Kühlschrank kommt uns doch lange bekannt vor, oder? Und genau da liegt auch das Problem.

Eigentlich müssten spätestens seit dem Jahr 2001 alle Unternehmen permanent die aktuellen Internettechnologien scannen, um zu sehen, ob sie damit ihre Geschäftsprozesse weiter optimieren können. Doch davon ist wenig zu spüren, nur die kurze Schrecksekunde jeweils im Dezember.

Den digitalen Wandel aktiv gestalten

Warum ist das so? Wie beim Übergang vom Mechaniker zum Mechatroniker braucht es auch für die Digitalisierung Menschen, die von Grund auf digital denken und ausgebildet sind. Menschen, die den schnellen Wandel der Internet-Technologien beobachten und auf ihre Tauglichkeit für den Einsatz im Unternehmen bewerten können. Und damit sind nicht die Digital Natives gemeint. Diese sind meist nur Konsumenten der neuen Technologien und keine Macher. Da die Digitalisierung sehr speziell und individuell auf das jeweilige Unternehmen abgestimmt werden muss, ist eine formelle Ausbildung in Schule oder Hochschule schwierig. Was bleibt, ist das Lernen in konkreten Projekten. Einfach mal starten.

Die Arbeitsteilung, Ausdifferenzierung und Spezialisierung geht unaufhaltsam weiter. Die BasistechnoIogie "Internet" zur Vernetzung ist vorhanden. Im Kern ergeben sich daraus zwei Herausforderungen für Unternehmen. Erstens die sinnvolle Integration von Menschen, Prozessen und Technik und zweitens die Entwicklung benutzerfreundlicher Plattformen zur Bereitstellung der daraus gewonnenen Mehrwertdienste. Als Folge entstehen vielleicht durch Vernetzung von Lösungen auch noch ganz neue Geschäftsmodelle. Doch das ist die Kür, vorher kommt die Pflicht.

Händler müssen in den Innovationsmodus schalten. Jetzt.

Warum tut sich besonders der traditionelle Handel so schwer mit der digitalen Transformation? Ihm fehlt im Vergleich zur Industrie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung und damit der organisatorische Rahmen, um Innovationen gezielt zu entwickeln. Was bleibt, ist das Lernen an konkreten Projekten. Im Prinzip machen die Vorzeige-Startups im eCommerce auch nichts Anderes. Sie starten "lean" mit schlanken Lösungen und lernen über schnelle Feedback-Schleifen direkt im Projekt, was funktioniert und was nicht.

Um nicht ganz bei Null starten zu müssen, macht es Sinn, sich für die ersten Projekte erfahrene Dienstleister mit ins Boot zu holen. Wichtig hier: Neben guten Projektreferenzen in der Softwareentwicklung ist auch auf einschlägige Branchenerfahrung zu achten. Von Vorteil ist weiter, wenn der Anbieter bereits bewährte Komponenten zur Integration von Schnittstellen und Systemen sowie Komponenten zum Bau von Online-Plattformen im Portfolio hat. Dann heißt es, in Kombination mit dem eigenen Team und den Lösungsspezialisten die ersten Projekte zu starten. Für Neues gibt es nun mal keine fertige Blaupause, das liegt in der Natur der Sache. Da bleibt nur ausprobieren und lernen. Jetzt. (mb)