Mit Unternehmenskultur Bewerber überzeugen

Recruiting ohne Headhunter

06.07.2017
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Wer auf kulturbasiertes IT-Recruiting setzt, braucht künftig keine Headhunter mehr. Diese These vertritt Frank Rechsteiner in seinem neuen Buch. Im Gespräch erläutert der Personal- und Strategieberater die Gründe.

In Ihrem Buch entwickeln Sie eine Strategie, mit der IT-Arbeitgeber das Recruiting selbst in die Hand nehmen können. Machen Sie sich als Personalberater damit nicht auf Dauer arbeitslos?

Frank Rechsteiner: Nein, da mache ich mir keine Sorgen! Mein Buch soll ein Bewusstsein schaffen, wie die IT-Arbeitgeber ihre Recruiting-Herausforderungen auch ohne Headhunter lösen können. Im Kern geht es um die Schaffung und Umsetzung einer wertbasierten Arbeitgebermarke, die den Bedürfnissen und Erfordernissen der IT-Spezialisten Rechnung trägt. Nur damit lassen sich in Zeiten des steigenden Fachkräftemangels qualifizierte Mitarbeiter anziehen und langfristig binden. Im Bestfall sollten IT-Unternehmen bis zu 90 Prozent ihrer Personalanforderungen über die eigene HR-Abteilung lösen, nur in Einzelfällen ist ein Headhunter das Mittel der Wahl.

Frank Rechsteiner: "Im Bestfall sollten IT-Unternehmen bis zu 90 Prozent ihrer Personalanforderungen über die eigene HR-Abteilung lösen, nur in Einzelfällen ist ein Headhunter das Mittel der Wahl."
Frank Rechsteiner: "Im Bestfall sollten IT-Unternehmen bis zu 90 Prozent ihrer Personalanforderungen über die eigene HR-Abteilung lösen, nur in Einzelfällen ist ein Headhunter das Mittel der Wahl."

Fehlbesetzungen scheinen in der IT-Branche an der Tagesordnung zu sein, wie aktuelle Studien belegen. Woran liegt's?

Frank Rechsteiner: Ein Knackpunkt ist, dass sich viele Unternehmen im Recruiting deutlich besser darstellen, als sie im Tagesgeschäft tatsächlich handeln. So höre ich von Kandidaten bereits wenige Wochen nach Firmeneintritt immer wieder die Klage: "Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht zu diesem Unternehmen gegangen!" Sie fühlen sich zu Recht betrogen und verraten. Würden die IT-Arbeitgeber dagegen konsequent an der Verbesserung der Unternehmenskultur, des Personalmanagements und der Transparenz ihrer Außendarstellung arbeiten, gäbe es keine so große Diskrepanz zwischen Schein und Sein. Statt für eine "Black Box" entscheiden sich die Bewerber dann für einen Arbeitsplatz, an dem sie sich langfristig wohlfühlen können.

Work-Life-Balance und Karriereförderung passen nicht zusammen

Der derzeitigen Misere bei der IT-Personalgewinnung sagen Sie mit kulturbasiertem Recruiting den Kampf an. Was steckt dahinter?

Frank Rechsteiner: Cultural-Fit-Ansätze gehen davon aus, dass Stellenbesetzungen nur dann gelingen, wenn neben der fachlichen Eignung der Kandidaten auch die kulturelle Passung berücksichtigt wird. Voraussetzung dafür ist, dass Unternehmen eine unverwechselbare Arbeitgebermarke aufbauen. Nur dann können sie gezielt nach Bewerbern suchen, die zu den eigenen Werten, Normen und Einstellungen passen. Dazu zwei Beispiele: Arbeitgeber mit ausgeprägter Karriereförderung sollten von Bewerbern Abstand nehmen, die nach einer Work-Life-Balance streben. Auch sind Kandidaten, die Wert auf professionelle Distanz legen, weniger für Unternehmen mit familiärem Arbeitsumfeld geeignet.

Wie lässt sich diese Klientel ans Unternehmen binden?

Frank Rechsteiner: In meiner langjährigen Berufspraxis kristallisierten sich mehrere Erfolgsfaktoren für eine langfristige IT-Personalbindung heraus, die durch namhafte Studien untermauert werden. Ein Erfolgsfaktor ist, den Mitarbeitern größtmögliche Eigenverantwortung und Raum zur Selbstverwirklichung zu geben. Das wusste schon der Managementdenker Peter F. Drucker, als er in den neunziger Jahren über die Arbeitswelt der Zukunft schrieb. In der heutigen Wissensgesellschaft, in der die Mitarbeiter mehr über die Produkte und Kunden wissen als ihre Vorgesetzten, gehört der Top-down-Führungsansatz der Vergangenheit an. Wissensmanager müssen sich selbst managen, sie brauchen Autonomie, brachte es Drucker auf den Punkt.

Freiraum macht Laune. Die Entwickler des Kasseler Softwarehauses Micromata können 20 Tage im Jahr neue Technologien ausprobieren. Dafür wurde Micromata auch als ein Great Place to Work ausgezeichnet.
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Foto: Micromata GmbH

Warum sollten IT-Unternehmen die Mitarbeiter nach ihren Stärken und Vorlieben einsetzen? Sollten nicht eher die Job-Anforderungen den Ausschlag geben?

Frank Rechsteiner: Auch bei dieser These kann ich mich neben meiner Erfahrung auf zahlreiche Praxisbeispiele stützen, die im Buch vorgestellt werden. Ein prominentes Beispiel ist der "Dell Plan 2020" des weltweit drittgrößten PC-Herstellers Dell. Er geht davon aus, dass eine gezielte Weiterentwicklung nicht nur das Wachstum der Mitarbeiter, sondern auch die Wertschöpfung der Arbeitgeber beflügelt.

Als Besonderheit hat Dell so genannte "thematische Mitarbeiterteams" etabliert, die Gemeinsamkeiten bezüglich des Geschlechts, der Nationalität, ethnischen Herkunft, Lebensführung, sexuellen Orientierung oder anderer Interessen haben. Ziel ist, kreative Kräfte freizusetzen, weil jedes Teammitglied seine eigene Gedankenwelt, Perspektive und Ideenwelt einbringen kann.

Weg mit Bürokratie und Hierarchien, lautet eine weitere Forderung in Ihrem Sechs-Punkte-Plan. Wie schafft es ein IT-Arbeitgeber, diese effektiv umzusetzen?

Frank Rechsteiner: Obwohl IT-Unternehmen einer der innovativsten Branche angehören, sind viele noch immer von Verwaltungsroutine und lähmendem Silodenken geprägt. Hier sollten IT-Anbieter auf ihre eigene Waffe setzen und schleunigst die interne Digitalisierung vorantreiben. Denn Software hilft nicht nur, die Prozesse zu verschlanken und die Mitarbeiter zu mobilisieren. Auch Abteilungs- und Wissensgrenzen fallen weg, weil sich durch den digitalen Wandel neue Strukturen schaffen lassen, die an den tatsächlichen betrieblichen Erfordernissen ausgerichtet sind.

Was raten Sie IT-Arbeitgebern, die ein kulturbasiertes Recruiting einführen möchten?

Frank Rechsteiner: Zunächst muss in der Geschäftsleitung das Bewusstsein geschaffen werden, dass es sich um kein reines HR-Projekt handelt, sondern um ein Projekt, bei dem es um den Kern und die Kultur - und damit um die Zukunft des gesamten Unternehmens geht. Dann sollte die HR- und Recruiting-Abteilung ins Boot geholt und auf die neuen Rollen und Aufgaben vorbereitet werden. Prinzipiell gibt es jedoch keine allgemeingültige Formel und Vorgehensweise für die Transformation. Da man es mit Menschen zu tun hat, ist jede Arbeitskultur und die dazu passende Recruiting-Strategie so individuell wie die DNA eines Unternehmens.

Wie lässt sich die Botschaft Ihres neuen Buchs zusammenfassen?

Frank Rechsteiner: Your culture is your brand. Das heißt konkret: Der entscheidende Wettbewerbsvorteil von IT-Anbietern liegt in einer nachhaltigen, einzigartigen Unternehmenskultur. Nur die IT-Arbeitgeber werden den Kampf um die besten Talente für sich entscheiden, die durch eine klare Verhaltensethik überzeugen. Dieses fundamentale Ursache-Wirkungsverhältnis muss allen Stakeholdern im Unternehmen deutlich gemacht werden, am besten im Rahmen gezielter Strategie-Workshops.

Das Buch zum Thema

Frank Rechsteiner: "Kulturbasiertes IT-Recruiting: Warum Headhunter für Ihr Unternehmen überflüssig sind". Das 116seitige Taschenbuch ist bei Springer Gabler erschienen und kann für 24,99 Euro unter www.springer.com/de/book oder im Buchhandel unter ISBN 978-3-662-54679-6 bezogen werden.

Arbeitgeber, die auf Unternehmenskultur Wert legen

Der Great-Place-to-Work-Wettbewerb zeichnet jedes Jahr Unternehmen aus, die sehr zufriedene Mitarbeiter haben und eine vorbldliche Personalarbeit, die den Mitarbeiter in den Mittelpunkt rückt. Hier einige der Siegerunternehmen: