Einstweilige Verfügung

Post vom Abmahnanwalt? Kein Grund zu Panik

17.10.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

IV. Reaktionsmöglichkeiten des Antragsgegners

Der Antragsgegner hat folgende Möglichkeiten, auf die einstweilige Verfügung zu reagieren:

1. Abschlusserklärung

Im Einzelnen sind zu beachten:

a) Inhalt und Zweck

Hat ein Antragsteller eine einstweilige Verfügung erlangt, so hat er damit nur einen materiell rechtskräftigen, hinsichtlich der Hauptsache aber nur vorläufigen Titel. Um die einstweilige Verfügung ebenso effektiv und dauerhaft werden zu lassen, wie einen Hauptsachetitel, hat die Praxis die sog. Abschlusserklärung des Schuldners entwickelt. Darin erkennt der Adressat der einstweiligen Verfügung die durch die Verfügung ergangene Regelung als endgültige Regelung des Rechtsstreits an und verzichtet gleichzeitig auf die Rechte aus §§ 924, 926 und 927 ZPO. Hierdurch entfällt das Rechtsschutzinteresse für eine Klage in der Hauptsache, so dass das oft kostspielige Hauptsacheverfahren vermieden werden kann.

b) Abschlussschreiben

Der Abschlusserklärung geht in der Regel ein sog. Abschlussschreiben des Gläubigers voraus. Darin wird der Schuldner (zweckmäßigerweise schriftlich) aufgefordert, innerhalb einer bestimmten Frist eine (zweckmäßigerweise vorformulierte) Abschlusserklärung abzugeben. Die Frist muss angemessen sein. Dem Schuldner sollten mindestens vier Wochen ab Zustellung der einstweiligen Verfügung und mindestens zwei Wochen ab Zugang des Abschlussschreibens zugebilligt werden. Darüber hinaus muss das Schreiben die Androhung der Hauptsacheklage für den Fall der Fristversäumung enthalten.

Wird das Abschlussschreiben durch einen Rechtsanwalt verfasst, entstehen neue Kosten, die der Schuldner im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruchs nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag oder aus Schadensersatzgesichtspunkten zu erstatten hat. Ein solcher Kostenerstattungsanspruch besteht jedoch nur, wenn der Antragsgegner nach Ablauf einer Wartefrist zur Abgabe der Abschlusserklärung aufgefordert wurde. Die Wartefrist muss ausreichend bemessen sein, um dem Schuldner zunächst Gelegenheit zu geben, von sich aus die Abschlusserklärung abzugeben. Die Rechtsprechung geht von einem Zeitraum von zwei Wochen bis zu einem Monat aus.

2. Widerspruch, § 924 ZPO

Hält der Antragsgegner die gegen ihn erlassene einstweilige Verfügung in der Sache für unberechtigt, so kann er hiergegen gemäß §§ 936, 924 I ZPO Widerspruch erheben. Der Widerspruch ist nicht fristgebunden. Wird er erst nach vielen Monaten eingelegt, kann ihm aber der Verwirkungseinwand entgegen gehalten werden. Der Widerspruch führt notwendig zur mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung, über die durch Endurteil entschieden wird, § 925 ZPO.

Wird die einstweilige Verfügung aufgehoben, so tritt sie sogleich außer Kraft. Wird das Urteil in der Berufungsinstanz wieder aufgehoben, so muss das Berufungsgericht die einstweilige Verfügung erneut erlassen. Die Vollziehung der einstweiligen Verfügung wird durch den Widerspruch nicht gehemmt, § 924 III 1 ZPO. Eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 924 III 2, 707 ZPO kommt nur ausnahmsweise in Betracht, beispielsweise dann, wenn das Gericht den Widerspruch für offensichtlich begründet hält.

Möchte der Antragsgegner sich nur gegen die Kostenfolge der einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen, weil er die Verfügung in der Sache für berechtigt hält, die regelmäßig erforderliche außergerichtliche Abmahnung jedoch unterblieben ist, so hat er folgende Möglichkeiten:

  • Er kann vor oder gleichzeitig mit dem (Voll-) Widerspruch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgeben. Folge: Die Hauptsache ist für erledigt zu erklären und die Kosten sind nach §§ 91a, 93 ZPO dem Antragsteller aufzuerlegen.

  • Er kann seinen Widerspruch von Anfang an auf die Kosten beschränken (sog. Kostenwiderspruch). Damit erkennt der Antragsgegner den Verfügungsanspruch konkludent an und er verzichtet konkludent auf die Einlegung eines Vollwiderspruchs. Über den Kostenwiderspruch wird durch Endurteil entschieden, §§ 936, 925 I ZPO.

3. Berufung

Ist die einstweilige Verfügung nach mündlicher Verhandlung durch Endurteil erlassen worden, so ist hiergegen nach § 511 ZPO grundsätzlich Berufung statthaft. Wurde im Urteil nur über die Kosten entschieden (z. B. bei bloßem Kostenwiderspruch), ist jedoch nur die sofortige Beschwerde nach § 99 II ZPO analog zulässig.

4. Antrag auf Anordnung der Klageerhebung, § 926 ZPO

Mit diesem Rechtsbehelf kann der Antragsgegner den Antragsteller nach Einreichung des Verfügungsantrages vor die Alternative stellen, entweder eine endgültige Entscheidung im Hauptsacheverfahren herbeizuführen oder die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu riskieren.

5. Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände, § 927 ZPO

Haben sich nach Erlass der einstweiligen Verfügung die Umstände, die zum Erlass derselben geführt haben, geändert, mit der Folge, dass die einstweilige Verfügung unter Berücksichtigung der neuen Umstände nicht mehr gerechtfertigt ist, so kann der Antragsgegner deren Aufhebung beantragen. Der Antrag ist nicht fristgebunden, unterliegt aber dem Einwand der Verwirkung und des Verzichts.

6. Schadensersatz, § 945 ZPO

Erweist sich die Anordnung der einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt, so kann der Gegner gegen den Antragsteller gemäß § 945 ZPO einen Schadensersatzanspruch geltend machen. Dieser ist verschuldensunabhängig, so dass das Erwirken einer einstweiligen Verfügung für den Antragsteller auch stets ein gewisses Kostenrisiko birgt.